So können wir die Demokratie stärken und schützen

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Nabil Atassi
Moderator Nabil Atassi aus dem SWR1 Team. Zu hören in der Talk-Sendung SWR1 Leute - immer 2 Stunden für einen Gast mit interessanten Themen. (Foto: SWR)

Wie wehrhaft muss Demokratie sein, wie kann jeder von uns sich engagieren - Themen für Prof. Michael Wehner, Leiter der Freiburger Außenstelle der Landeszentrale für politische Bildung.

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Demonstrationen und Proteste: ein demokratisches Grundrecht

Ein klares Bekenntnis gegen den Rechtsextremismus: Tausende in Baden-Württemberg und ganz Deutschland zeigten auf Demonstrationen Flagge gegen Rechts. Lautstarken Protest gegen geplante Sparmaßnahmen der Bundesregierung gab es von Landwirten, Spediteuren und anderen Gewerbetreibenden.

Auch in den Talkshows und auf Podien im ganzen Land werden politische und gesellschaftliche Themen aus unterschiedlichsten Blickwinkeln diskutiert - das alles sind Mittel der politischen und gesellschaftlichen Teilhabe. Gleichzeitig hat eine wachsende Zahl von Menschen im Land den Eindruck, dass es um die Meinungsfreiheit immer schlechter gestellt sei.

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Umfrage zeigt wachsende Unzufriedenheit mit der Demokratie

Eine repräsentative Umfrage des SWR aus dem Januar 2024 zeigte, dass 60 Prozent der befragten Menschen "beunruhigt" in die Zukunft schauen. Diese Unsicherheit geht einher mit einer wachsenden Unzufriedenheit mit der Demokratie: Eine Mehrheit von 56 Prozent äußert, "weniger zufrieden" (36 Prozent) oder "gar nicht zufrieden" (20 Prozent) mit der Demokratie zu sein. 

Diese Zahlen kennt Prof. Michael Wehner von der Landeszentrale für Politische Bildung (LpB) gut. Der Politikwissenschaftler leitet seit vielen Jahren die Außenstelle der LpB in Freiburg - seit 2020 steht er dort auch der Abteilung "Regionale Arbeit" vor. Als Honorarprofessor lehrt er am Seminar für wissenschaftliche Politik an der Universität Freiburg. 

Mit Engagement und Teilhabe für die Demokratie arbeiten

Die politisch extremen Ränder, aber auch ein mangelndes Interesse an demokratischen Strukturen und Institutionen: Michael Wehner weiß um die Gefahren für die Demokratie. Es gibt aber auch viele Menschen im Land, die in Initiativen, Vereinen, Organisationen, in Jugendparlamenten und im Ehrenamt Tag für Tag ihren Beitrag zu einer demokratischen und vielfältigen Gesellschaft leisten.

Wehner sieht die Bundesregierung bei der Erhaltung der Demokratie zwar in der Pflicht, ein Großteil der Verantwortung, um "Demokratie zu stärken und erhalten" sieht er aber bei den Bürgern und Bürgerinnen:

90 oder 80 Prozent der Bundesbürger erwarten von der Bundesregierung, dass sie die Demokratie verbessert. Ja, natürlich kann auch die Bundesregierung die Demokratie verbessern, aber die Demokratie ist unsere Angelegenheit, und es geht darum, dass wir uns einbringen und uns einmischen und nicht quasi die politischen Institutionen, die die Demokratie bewahren, retten oder verbessern können.

Mehr Polarisierung, weniger Diskussionskultur

Die Diskussionskultur, die verhärteten Fronten ganz links und ganz rechts im politischen Spektrum, die fehlende Gesprächsbereitschaft miteinander, um gemeinsam Konflikte zu lösen und die Probleme des anderen zumindest anzuerkennen - all das bereitet Wehner große Sorge.

Es kostet einfach mehr Energie, weil Sie merken: Menschen schotten ab.  Wenn Sie nur noch Diskussionen führen, in denen Menschen gar nicht mehr zugänglich sind für Argumentationen und Fakten der anderen, dann wird es zunehmend schwerer.

Protestbewegung als Zeichen lebendiger Demokratie

Die Proteste der vergangenen Wochen wie Bauerproteste oder die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus sieht Wehner positiv. Er merkt aber auch an: sie können nur ein Teil des demokratischen Prozesses sein.

Es ist ein Zeichen einer lebendigen Demokratie, wenn Menschen ihren Protest auf die Straße bringen. Aber es ist halt eine Form der Beteiligung neben vielen anderen, und es ist sicher die Form der Beteiligung, die weniger verändert als das, was in Parlamenten geschieht.

Wichtiger als Proteste: Wahlen

Viel entscheidender seien Wahlen, sagt Wehner, und vor allem, vom Wahlrecht Gebrauch zu machen. Auch bei Wahlen, die vielen Bürgerinnen und Bürgern in Baden-Württemberg und woanders im ersten Moment vielleicht nicht so wichtig erscheinen. Als Beispiel nennt er die Kommunal- und Europawahl.

Das ist das größte Rätsel, dem wir in der politischen Bildung begegnen: Dass die Politik vor der Haustüre, die mich vom Mülleimer bis zum Sportverein, von der Feuerwehr bis zum Kindergarten betrifft, dass da wenige Leute das Gefühl haben, sich einbringen zu müssen als beispielsweise bei Bundestagswahlen.

Wahlalter bei Kommunalwahl gesenkt

Bei der Kommunalwahl in Baden-Württemberg (am 9. Juni 2024) wird das Wahlalter das erste Mal auf 16 gesenkt. Kritiker sehen dies negativ und argumentieren, viele Jugendliche seien in dem Alter noch nicht reif genug, politische Entscheidungen zu treffen. Dem widerspricht Wehner.

Gerade in diesem Alter seien viele Jugendliche in der Schule mit Politik- oder Gemeinschaftskundeunterricht konfrontiert und könnten so womöglich fundiertere politische Entscheidungen treffen. Ein weiterer Punkt, den Wehner anmerkt: hört man auf Mediziner, setzt der Reifeprozess der Menschen immer früher ein - insofern könne man auch früher wählen gehen.

Da kann man ... aufgrund von Studien aus der Adoleszenz-Forschung sagen: das Erwachsenenalter verfrüht sich. Auch körperliche Reifungsprozess entstehen schneller. Insofern ist es auch gut, wenn Menschen mit 16 schon wählen gehen dürfen.

Politische Diskussionen könnten zu höherer Wahlbeteiligung führen

Die generell aufgeheizte politische Stimmung im Land könnte laut Wehner zu einer höheren - und nicht wie im ersten Moment vielleicht gedacht niedrigeren - Wahlbeteiligung führen. Polarisierung führe auch immer zu Politisierung. Deshalb würden dadurch die Menschen eher mobilisiet, zur Wahl zu gehen.

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