Konflikte, Kriege, Gewalt: Darum findet die Welt keinen Frieden

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MODERATOR/IN
Nicole Köster
Moderatorin Nicole Köster aus dem SWR1 Team moderiert täglich ausßer samstags zwischen 10 und 12 Uhr die Sendung SWR1 Leute (Foto: SWR)

Carlo Masala ist Professor für internationale Politik an der Bundeswehr-Uni München. Seine Analyse des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine machte ihn zu einem der gefragtesten Militärexperten im deutschsprachigen Raum.

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Wir verlieren schneller die Lust am Lieben, Essen und Tanzen, als am Krieg führen.

Mit diesem Zitat eines griechischen Philosophen bringt Carlo Masala das Thema dieses SWR1 Leute-Talks auf den Punkt: Warum sind Konflikte, Kriege und Gewalt ein Kennzeichen des internationalen Systems? Und welche Spielregeln gelten dort? Carlo Masala ist überzeugt: Wenn wir diese Fragen verstehen, können wir in Zukunft politisch als auch in der Gesellschaft besser damit umgehen.

Gut vs. Böse: Welche Menschen führen eher Kriege?

Es sei völlig egal, ob der Mensch von Grund auf Böse oder Gut ist, meint Masala, das erkläre Kriege nicht.

Wenn der Mensch von Grund auf Böse ist, müssten wir viel mehr Krieg haben [umgekehrt viel weniger] – beide Annahmen tragen nicht dazu bei, zu erklären, warum es Kriege gibt. Dass es risikofreudigere Menschen gibt, die eher dazu neigen, einen Krieg zu beginnen, das steht auf einem anderen Blatt.

Weltregierung als Lösung gegen Krieg?

Auch die Tatsache, dass wir uns über die Jahrhunderte als Menschen und Gesellschaften weiterentwickelt haben, dass wir aufgeklärter sind, helfe in der Frage nicht weiter, warum es immer noch Kriege gibt. Carlo Masalas These: Es liegt an der Art, wie die Gesellschaften heute organisiert sind.

Wir leben in einem internationalen System, in dem es keine den Staaten übergeordnete Gewalt, keine Herrschaft gibt, die dafür sorgt, dass Regeln eingehalten werden und Regelverletzungen sanktioniert werden.

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Die Vereinten Nationen - in Sachen Frieden ein zahnloser Tiger?

Würden er und Leute-Moderatorin Nicole Köster etwas falsch machen, würden beide automatisch durch Polizei und Justiz sanktioniert. Im internationalen System gebe es das aber nicht.

Beispiel Vereinte Nationen: Niemand werde automatisch sanktioniert, und "definitiv auch nicht die Veto-Mitglieder im Sicherheitsrat". Und genau weil es keine Sanktionsmechanismen gebe, müsse jeder für seine Sicherheit selbst Sorge tragen. Hilft für Frieden und gegen Krieg also nur noch eine große, übergeordnete Weltregierung als Ordnungsmacht?

Wenn wir eine Weltregierung hätten, gäbe es keine internationale Politik mehr und es wäre alles nur noch Innenpolitik. Dann hätten wir [wie Kant sagt] Ruhe, aber es wäre eine Friedhofsruhe. Diese Weltregierung müsste an allen Ecken und Enden dafür sorgen, dass aufbrechende Konflikte gegebenenfalls mit Waffengewalt nieder gehalten werden.

Spielt der internationale Strafgerichtshof in Den Haag keine Rolle?

Die Konsequenzen von Schiedssprüchen des Internationalen Strafgerichtshofs hätten letztlich keine Auswirkungen auf die angeklagten Staaten. Vielen seien die Schiedssprüche egal. Kriege über den Gerichtshof zu verhindern, sei nicht möglich. Aber wichtig seien die Urteile der Richter:innen in Den Haag dennoch.

Weil sie zumindest den Versuch unternehmen, Sachen völkerrechtlich zu beurteilen. Es ist ein Phänomen, dass, obwohl Großmächte Völkerrechte ganz gerne ignorieren, es ihnen aber doch wichtig ist, ihr Handeln mit Argumenten zu versehen, die Völkerrechts-konform sind.

Völkerrecht und Krieg: legal vs. legitim

Das sehe man gut am Beispiel des Angriffskriegs von Russland auf die Ukraine und am Irak-Krieg 2003. "In beiden Fällen ein Angriffskrieg, der völkerrechtlich verboten ist, Punkt!", sagt Masala deutlich und argumentiert wie folgt:

2003: die USA sind entschlossen, den Irak anzugreifen. Dennoch versucht Amerika, dafür ein Mandat im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu bekommen. Denn: Hat man dieses Mandat, dann ist der Irak-Krieg in den Augen vieler anderer Staaten nicht nur legal, sondern auch legitim. 

Beispiel zwei von Carlo Masala: Russland greift die Ukraine an und versucht, Völkerrechts-konform zu argumentieren, das sei nur ein Akt der Selbstverteidigung – die ist ja erlaubt – weil man die russische Minderheit im Donbas schützen wolle. Also auch hier der Versuch, Legitimität zu erzeugen. 

Man nutzt solche Institutionen, um an die Öffentlichkeit zu appellieren. Die Klage Südafrikas gegen Israel: Die Konsequenzen, wenn der Internationale Gerichtshof entscheidet, sind für Israel egal, die werden ignoriert. Aber in der Öffentlichkeit hat das ein ganz anderes Gewicht. Wenn Israel verurteilt worden wäre - was es ja nicht ist - dass es einen Genozid betreibt, das hätte der Legitimität des israelischen Vorgehens im Gaza-Streifen nachhaltig geschadet.

Ähnlich schätzt Masala auch die Konsequenzen für Putin und dessen Angriffskrieg auf die Ukraine ein. "Völlig unwahrscheinlich und abwegig" sei es, dass Putin für die Kriegsverbrechen in der Ukraine vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verurteilt wird.

Nur, wenn es in Russland einen kompletten Systemwechsel geben würde, würde man jemanden wie Putin ausliefern. Da der nie zu erwarten ist, werden wir Putin nie in Den Haag sehen.

Demokratien als Friedensstifter, Autokratien als Kriegstreiber?

Statistiken zeigen, dass Demokratien untereinander nach 1945 keine Kriege mehr geführt haben. Nur: Keiner wissen genau, warum das so ist, betont Carlo Masala. Der Grund könne ja auch sein, dass Demokratien immer noch in der Minderheit in der Welt und deshalb der Auffassung sind, dass man Konflikte untereinander anders regeln müsse. Aber: "Gilt das dann auch noch, wenn die Welt voller Demokratien ist?", fragt Masala.

Das demokratische System an sich ist ja nicht friedliebender. [Aber] Alteingessene Demokratien mit etablierten Institutionen sind weniger kriegsanfällig als neue Demokratien. 

Hat Putins Angriffskrieg die Ukraine geeint?

Aktuelle Statistiken nach 1990 zeigen, so Masala: Junge Demokratien sind sehr kriegsanfällig. Die Institutionen seien noch schwach, man brauche Kriege auch, um ein nationales Bewusstsein zu schaffen ("man ist ja noch ein neuer Staat"). Das habe man so bei den ehemaligen Sowjetrepubliken gesehen: Da habe der Krieg zu einem "Nationenbildungsprozess" geführt - der berühmte “rally ‘round the flag”-Effekt, das "sich um die Flagge versammeln", das eine neue nationale Identität schafft.

Auf diese Erkenntnis stützt sich auch diese These von Masala: Wenn die Ukraine bis zum Angriffskrieg von Putin kein Nationalstaat gewesen sein sollte – Putin hat einen daraus gemacht.

Putin hat mehr für die Staatenbildung der Ukraine getan, als die Prozesse, die es vorher gab.

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