Die Türkei vor der Stichwahl: Zeitenwende oder noch einmal Erdoğan?

Stand
MODERATOR/IN
Jens Wolters
Moderator Jens Wolters aus dem SWR1 Team moderiert regelmäßig die Sendung SWR1 Leute mit spannenden und interessanten Gästen (Foto: SWR)

Die Türkei feiert dieses Jahr nicht nur ihren 100. Geburtstag, sie könnte auch vor einer Zeitenwende stehen.

»Es werden vor allem mehr junge Menschen das Land verlassen, weil sie einfach keine Perspektive sehen. ... Das ist der sogenannten "Brain Drain": das Land blutet aus - das ist eine Katastrophe für die Türkei.«

Audio herunterladen (41,6 MB | MP3)

Nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 14. Mai steht noch kein Ergebnis fest. Sowohl der amtierende Präsident Recep Tayyip Erdoğan als auch sein Herausforderer Kemal Kilicdaroglu liegen nach Auszählung der Stimmen knapp unter 50 Prozent. Am 28. Mai wird es daher eine Stichwahl geben. Wird Erdoğan seinen autoritären Kurs fortsetzen, oder erhält die Opposition eine Chance auf eine Demokratisierung des Landes?

Update Info: Das Gespräch wurde am 19.Mai 2023 geführt. Das Ergebnis der Stichwahl am 28.Mai in der Türkei war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Die Stichwahl hat Recep Tayyip Erdogan mit 52 Prozent der Stimmen für sich entschieden.

»Ein großer Teil der türkischen Bevölkerung ist ihm [Erdoğan] gegenüber sehr loyal: die religiösen, konservativen und nationalistisch geprägten Türken. ... Trotz wirtschaftlichen Schwierigkeiten, Inflation ... glauben sie immer noch, "er ist der Mann, der uns in eine sonnige Zukunft bringen wird". Das liegt auch daran, dass Erdoğan in den ersten 10 Jahren seiner Regierung, nach 2002, wirtschaftspolitische Erfolg hatte. [Sein Herausforderer] Kılıçdaroğlu ist jetzt nicht unbedingt der Typ von Politiker, den sich ein Großteil der Türkinnen und Türken als Anführer vorstellen können.«

Video herunterladen (984,9 MB | MP4)

Wahlen in der Türkei: Erdoğan will an der Macht bleiben

Oliver Mayer-Rüth kennt die Stimmung am Bosporus bestens: Sieben Jahre war er dort für die ARD Korrespondent und selbst nach seiner Rückkehr nach Deutschland fasziniert ihn die Türkei weiterhin. Anhand gesammelter persönlicher Geschichten und gut recherchiert hat Mayer-Rüth ein Buch über den türkischen Präsidenten geschrieben und beschreibt die Strategien und Tricks, mit denen Erdoğan weiter im Amt bleiben möchte.

»[Es gibt] ein Ungleichgewicht bei der Berichterstattung. Es gab eine Auswertung beim Staatssender TRT: im Monat April durfte Erdoğan zwischen 30 und 40 Stunden sprechen und seine Botschaften verkünden und der Oppositionskandidat Kılıçdaroğlu zwischen 30 und 40 Minuten.«