Der Streit hat glaube ich zu Unrecht einen schlechten Ruf. Man denkt ja immer, wenn man streitet, entzweit man sich, aber ich versuche eigentlich eher umgekehrt zu zeigen, dass jede Einheit – ob im Privaten oder Politischen – durch den Streit gestiftet werden kann.
Svenja Flaßpöhler sagt selbst, sie ein "Störenfried", andere nennen sie "streitlustig". Sie hat das Streiten schon als Kind miterlebt, wenn ihre Mutter und ihr Stiefvater heftig stritten und teilweise sogar handgreiflich wurden.
Deshalb ist Streit und Streiten so wichtig
Streit soll stattfinden, sagt Svenja Flaßpöhler. Im Streit kommen alte Ordnungen in Bewegung und das kann sehr befreiend sein für die Beteiligten. Die Philosophin stört es immer, wenn sich alle viel zu einig sind, sagt sie und Menschen würden zu schnell abgestempelt, die sich öffentlich mit einer anderen Auffassung äußern. Auch das hätte in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass ein Eliten- und Medien-Misstrauen entstand und beispielsweise die AfD immer mehr Zuspruch erhielt.
Ich glaube, man muss einen Konsens aufstören in bestimmten Momenten, auch wenn es unangenehm ist. Ich habe auch das Gefühl, dass sich der Diskurs insgesamt jetzt im Augenblick wieder ein bisschen öffnet – das ist heilsam und für die Menschen auch extrem wichtig.
Streit auf Social Media – deshalb funktioniert es nicht
Die Philosophin hat den Eindruck, dass Streiten auf Social Media nicht gut funktioniert. Wenn wir jemandem in die Augen schauen, streiten wir anders. Außerdem gebe es durch die digitalen Medien neue Formen der Skandalisierung. Schnell könne man sich einzelne kurze Momentaufnahmen herauspicken und daran ganze Personen messen. Deshalb sollte man sich bewusst machen: Auch im Internet sollte man sich versuchen zu kontrollieren und die eigenen Abgründe fest im Blick behalten.
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Svenja Flaßpöhler: Grundregeln im öffentlichen Streiten sind wichtig
Laut der Philosophin gebe es in jedem Streit einen Augenblick, in dem man sich entscheiden muss: Halte ich die Verbindung zum anderen? Formuliere ich den nächsten Satz so, dass der andere trotzdem noch anknüpfen kann? Oder kappe ich die Verbindung und gehe?
Das Verhalten im Streit hat auch mit persönlichen Erfahrungen zu tun. Doch trotzdem sollten wir uns im Streit an Regeln halten – vor allem beim öffentlichen Streit:
- Die Situation muss fair sein, die Runden müssen ausgewogen sein und es braucht einen fairen Schiedsrichter
- Es muss möglich sein, dass der Verlierer erhobenen Hauptes vom Platz gehen kann
- Den Zuschauer:innen darf nicht vorgegeben werden, welche die "gute" und welche die "böse" Meinung sei
Streit kann auch mal Pause machen
Eine Person an nur einer Entscheidung oder einer Meinung zu messen, hält Svenja Flaßpöhler auch im Privaten für falsch. Gerade in Familien, die sich zerstritten haben, sollte man sich bewusst machen, was einen noch verbindet. Man kann einen Streit auch einfach mal ruhen lassen und sich klarmachen, dass jeder mit seiner ganz eigenen Wahrnehmung in eine Diskussion hineingeht. Gut sei, wenn man nicht gleich die Tür zuschlägt.