Der Arbeitsmarkt für Erzieherinnen und Erzieher ist leer gefegt. Doch der Bedarf an der frühkindlichen Betreuung steigt. Viele Kommunen sind mittlerweile dazu gezwungen, sich kreative Lösungen einfallen zu lassen, um neue Fachkräfte zu gewinnen oder die bisherigen zu behalten. Der Blick ins Land zeigt: Die eine Lösung für alle gibt es nicht.
Erzieherinnen aus Spanien in Schwäbisch Hall
Wenn einen die Kinder im Kinderhaus am Badtorweg in Schwäbisch Hall begrüßen, dann kann das schon mal mit einem spanischen "Hola" sein. Seit 2019 schon wirbt die Stadt in Spanien um Erzieherinnen und Erzieher. Anfang April kam die dritte Runde an Bewerbern nach Hall, nachdem alle bereits in Spanien einen ersten Sprachkurs absolviert haben. In Deutschland folgt dann die Anerkennung, die ein bis zwei Jahre dauert. 30 Kräfte sind dadurch bisher gekommen. So wie Maria Garcia.
Maria Garcia ist bereits seit drei Jahren im Kinderhaus. Für sie war der Aufruf ein Glücksfall, sagt sie: In Spanien hätte es für sie nach dem Studium keine Arbeit gegeben. Die Sprache macht ihr noch zu schaffen, wird aber von Tag zu Tag besser. Die Kinder sind wiederum daran interessiert, Spanisch zu lernen. Da hilft, dass es im Kinderhaus auch gerne mal etwas international zugeht und es auch Spiele beispielsweise auf Englisch gibt.
Der Aufwand für die Anerkennung sei vergleichbar mit einer Auszubildenden, sagt die Leiterin Sandra Stucke. Auch bei den Eltern kommt es gut an. Aber sie betont auch: Nur weil das hier im Kinderhaus so gut klappe, sei das nicht automatisch die Lösung für alle anderen Kitas.
Kita-Krise: Landesweit fehlt es an Erzieherinnen und Erziehern
Laut einer Bertelsmann-Studie aus dem vergangenen Jahr fehlen in Baden-Württemberg mehr als 59.000 Kita-Plätze. Über 18.000 Erzieherinnen und Erzieher bräuchte es, um den Bedarf zu decken. Von Jahr zu Jahr steigen die Zahlen. Denn trotz des Ausbaus an Plätzen: Der Bedarf der Eltern an einem Betreuungsplatz für die Kleinen wächst noch schneller. Bundesweit fehlen sogar rund 400.000 Plätze.
In Konstanz sollen Kita-Einstiegsgruppen mit Ukrainerinnen helfen
Um mehr Betreuungsplätze für Kinder ab drei Jahren zu schaffen, hat der Konstanzer Gemeinderat 2022 beschlossen, fünf sogenannte Kita-Einstiegsgruppen zu schaffen. Ziel war es, Kindern ab drei Jahren, denen kein regulärer Kita-Platz angeboten werden kann, bis zum Schuleintritt trotzdem eine Betreuung zu ermöglichen. In den Einstiegsgruppen sollten maximal 20 Kinder 20 Stunden pro Woche betreut werden.
Außerdem wurden die Vorgaben gelockert: Die Gruppen benötigten nur eine Fachkraft anstatt zwei, ergänzt von einer Betreuungskraft. Bei den Betreuungskräften setzte Konstanz auf geflüchtete Ukrainerinnen. Das Projekt wurde zunächst bis Ende August 2024 befristet, ist aber jetzt noch einmal bis Ende August 2025 verlängert worden.
Was ist daraus geworden? Tatsächlich gibt es in Konstanz nur eine einzige Kita-Einstiegsgruppe, nicht fünf. Der Grund, so eine Sprecherin der Stadt: Fachkräfte- und Platzmangel. Die Errichtung weiterer Kita-Einstiegsgruppen sei daran gescheitert, dass für jede Kitaeinstiegsgruppe eine Fachkraft benötigt werde und der Fokus momentan auf dem stabilen Betrieb der bestehenden Einrichtungen und Gruppen liege. Ein weiterer Grund sei, dass an oder in bestehenden Einrichtungen die benötigten Räumlichkeiten häufig anderweitig genutzt werden müssten, zum Beispiel als Multifunktionsräume.
Die bestehende Konstanzer Kita-Einstiegsgruppe hat zudem eine Besonderheit: Sie wurde an einer Kita eingerichtet, in der die Kinder nicht in separaten Gruppen betreut werden - sondern in sogenannten Bildungsräumen. Es gibt ein Atelier, eine Bibliothek, einen Turnraum, einen Raum zum Bauen. Die Kinder der Einstiegsgruppe vermischen sich also mit den anderen Kindern. Als Betreuungskräfte werden vier Ukrainerinnen beschäftigt: Frauen, die zwar pädagogische Abschlüsse haben, deren Ausbildung aber bislang noch nicht in Deutschland anerkannt wurde.In Radolfzell übernahmen Eltern teilweise die Betreuung in der Kita
Die Stadt Radolfzell (Kreis Konstanz) und Eltern dort haben im vergangenen Jahr eine unkonventionelle Lösung für den Personalmangel gefunden: Dort haben Eltern von Kita-Kindern die Kinder teilweise mitbetreut. Die Zeit mit den Kindern war für die mitbetreuenden Eltern toll, sagt Isabelle Steidle, Elternbeirätin der Ganztages-Gruppe der Kita Bullerbü: "Es hat den Zusammenhalt in der Gruppe und unter uns Eltern gestärkt. Aber jetzt sind wir doch erleichtert, dass wir nicht mehr gefragt sind."
Seit September 2023 läuft in Radolfzell das sogenannte Offenburger Modell. Das heißt: Drei Mitarbeiterinnen des Malteser-Hilfsdienstes betreuen die Kinder nachmittags stundenweise und entlasten so die Erzieherinnen und Erzieher.
Zwar seien die Malteserinnen keine ausgebildeten Pädagoginnen, aber sie bieten beispielsweise Basteln und Spielen an - eine wertvolle Betreuungszeit, sagt Steidle: "Alle sind jetzt viel entspannter, die Personalsituation hat sich enorm gebessert. Es läuft sehr gut." Sie hofft, dass noch mehr Kommunen solche Modelle in Betracht ziehen, um dem Personalmangel in Kindergärten entgegenzuwirken.
Fast alle Stellen für Erzieherinnen und Erzieher seien mittlerweile besetzt, heißt es von der Stadt - dank großer Bemühungen: Beispielsweise wurden die Betreuungszeiten angepasst, es gab eine groß angelegte Marketingkampagne und finanzielle Anreize für Auszubildende. Oberbürgermeister Simon Gröger (parteilos) betont aber: Das sei kein unveränderlicher Zustand. Damit die Lage so positiv bleibe, sei weiterhin ein enger Austausch zwischen den Einrichtungen und Elternvertretern nötig.
In Staig will man mit nagelneuer Kita punkten
Ein großer Bau für die 3.300 Einwohner-Gemeinde Staig (Alb-Donau-Kreis): Vier Millionen hat die neue Kita gekostet, das werde man noch über Jahre im Haushalt spüren, sagt Bürgermeister Sascha Erlewein (CDU). Aber die bisherige Einrichtung konnte den Bedarf einfach nicht mehr decken. Der Neubau soll 70 Kinder in vier Gruppen beherbergen. Das bedeutet: Es braucht zehn bis zwölf Fachkräfte. Die Suche war nicht einfach, zumindest die Hälfte des Personals steht.
Von Anfang an klar war das aber nicht. Die Gemeinde ist ein hohes Risiko eingegangen. Es hätte auch anders laufen können und der Neubau wäre mangels Personal erst einmal leer geblieben. Doch im Moment sieht es so aus, als habe sich das Risiko gelohnt.
Die Erzieherinnen und Erzieher hätten von Anfang an in der neuen Kita die Möglichkeit mitzugestalten. Das kam wohl bei der Personalsuche gut an, sagt Erlewein. Aber das sei natürlich keine Dauerlösung, denn irgendwann ist auch hier nichts mehr "neu" - und jedes Mal eine neue Kita zu bauen, sei natürlich keine Option. Dann sei es wichtig, die bestehenden Kräfte halten zu können.
Erlewein ist auch klar: Dass Fachkräfte nach Staig kommen, bedeutet, dass sie woanders gehen. Unter Umständen aus der direkten Nachbarschaft. Ein bisschen hat er deswegen auch ein schlechtes Gewissen. Er sieht die Situation pragmatisch: Eventuell müsse die Gesellschaft auf Dauer die Ansprüche herunterschrauben, was zum Beispiel die Betreuungszeiten angehe. Während es gleichzeitig immer wichtiger werde, den Beruf der Erzieherinnen und Erzieher auch entsprechend wertzuschätzen.
Kita-Krise: Viele Lösungsansätze, aber kein Patentrezept
In Schwäbisch Hall wird man zukünftig erst einmal etwas auf die Bremse treten, was die Anwerbung aus dem Ausland angeht. Zwar ist man sehr zufrieden mit der Quote an Erzieherinnen und Erzieher, die bleiben wollen: Nur vier sind im Laufe der Jahre zurück nach Spanien gegangen. Aber es sei eben doch ein besonderer Aufwand, auch für die Kitas selbst, die Personen weiterzubilden und für die nötigen Sprachkenntnisse zu sorgen. Immerhin: Ohne das Programm wären 175 Kinder ohne einen Betreuungsplatz.
Letztlich sei der Markt aber auch in Spanien langsam leer gefegt. Und immerhin beträgt der Anteil an spanischen Fachkräften bereits 15 Prozent in Schwäbisch Hall, in manchen Einrichtungen ist es sogar fast ein Drittel des Personals. Eigentlich bräuchte es noch mehr Erzieherinnen und Erzieher, die Stadt schätzt weitere 20 für die größten Lücken, für den eigentlichen Bedarf noch einmal 40 obendrauf. Doch dafür bedarf es jetzt eben noch anderer Maßnahmen, so die Stadt.
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