Tumulte rund um den dann abgesagten Politischen Aschermittwoch der Grünen in Biberach sorgen in der Bundespolitik für Empörung. "Wenn eine politische Veranstaltung wegen Gepöbel und Gewalt abgesagt werden muss, dann ist eine rote Linie überschritten", kritisierte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).
Legitimer Protest ende dann, wenn Menschen eingeschüchtert und bedroht würden, sagte die Ministerin der Deutschen Presse-Agentur. Die Gewalt gegen Einsatzkräfte der Polizei müsse deutliche strafrechtliche Konsequenzen für die Täter haben. Sie warnte davor, das Geschehen zu verharmlosen.
Die Ereignisse in Biberach im Überblick:
- Verletzte Polizeibeamte bei Straßenblockade
- Stadthalle von Demonstranten blockiert
- Scheibe eines Özdemir-Begleitwagen eingeschlagen
- Kretschmann spricht von "Einschnitt"
- Bayaz fordert strafrechtliche Untersuchung
- Reaktionen der Parteien im Landtag
- Landesbauernverband distanziert sich von Protesten
Landwirte hatten seit dem Morgen mit ihren Traktoren in der Stadt für Chaos gesorgt und Straßen blockiert. Am Vormittag fand eine angemeldete Kundgebung von Landwirten auf dem Biberacher Gigelberg statt. Dort sprach Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) zu den Bäuerinnen und Bauern. Özdemir nannte die Kundgebung später "fair und anständig". Auch das Gespräch mit Vertretern der Landwirtschaft vor Ort sei sehr gut gewesen, so der Grünen-Politiker.
Vor der Biberacher Stadthalle, rund 300 Meter vom Gigelberg entfernt, eskalierte zeitgleich aber Protest. In der Halle wollten die Grünen ihren Politischen Aschermittwoch abhalten. Wie ein Polizeisprecher am frühen Nachmittag sagte, wurden beim Polizeieinsatz mehrere Polizeibeamte verletzt. Die Beamten seien unter anderem mit Gegenständen beworfen worden und hätten deswegen Pfefferspray gegen die Protestierenden eingesetzt. Eine Person sei festgenommen worden. Zu verletzten Demonstrantinnen und Demonstranten konnte der Sprecher nichts sagen.
Daraufhin sagten die Grünen die Veranstaltung ab. Als Grund nannte der Vorsitzende des Grünen-Kreisverbands Biberach, Michael Gross, aggressive Stimmungen bei Demonstrationen im Umfeld. In einer Mitteilung hieß es kurz darauf, dass die Absage in Absprache mit den Sicherheitsbehörden vor Ort erfolgt sei.
Oberbürgermeister Zeidler: "Da ging es nur um Tumult"
Biberachs Oberbürgermeister Norbert Zeidler (parteilos) berichtete, bereits am frühen Morgen um 3:30 Uhr hätten die Hupkonzerte der Demonstranten, darunter auch viele Bauern, begonnen. Immer wieder seien auch Böllerschüsse zu hören gewesen und die Aktionen seien immer weiter eskaliert. Die Feuerwehr sei zu zehn Einsätzen wegen gezielt gelegter Feuer gerufen worden. Außerdem seien Einsatzkräfte an der Durchfahrt gehindert und Helfer angepöbelt worden.
Bengalos seien abgebrannt, Pflastersteine aus dem Gehweg genommen und eine Autoscheibe eingeschlagen worden. "Die Stimmung war sehr aufgebracht, feindselig und aggressiv. Ich kann die Absage der Grünen komplett nachvollziehen", sagte Zeidler. "Da ging es nicht um Diskussion oder Protest, da ging es nur um Tumult."
Demonstranten stören Grünen-Veranstaltung Meinung: Was in Biberach passiert ist, ist eine Schande
Massive Proteste haben am Mittwoch in Biberach zur Absage des Politischen Aschermittwochs der Grünen geführt. Eine Schande für die Demokratie, kommentiert Knut Bauer aus der SWR-Redaktion Landespolitik.
Kein Herankommen an die Stadthalle
Laut dem Vorstand des Kreisbauernverbands, Karl Endriß, war an der Stadthalle kein Herankommen möglich gewesen - zu viele Demonstranten hätten sich um das Gebäude herum verteilt. Zu den Protesten hatten laut Endriß verschiedene Gruppierungen aufgerufen. Unter den Demonstrierenden seien hauptsächlich Bauern, aber auch Fuhrunternehmer gewesen.
Auf den Zufahrtsstraßen zur Stadthalle standen Dutzende Traktoren, Wege waren mit Sandsäcken blockiert. Vor der Halle wurde ein großer Misthaufen abgeladen. Zu hören waren lautes Gehupe und Musik. Die Bevölkerung war von der Polizei aufgefordert worden, den Innenstadtbereich nach Möglichkeit zu meiden.
Eine SWR-Reporterin war bei den Protesten vor Ort. In einem Gespräch am Mittag schilderte sie ihre Beobachtungen:
Scheibe eines Özdemir-Begleitfahrzeugs eingeschlagen
An einem der Fahrzeuge, das auf dem Weg zur Veranstaltung war, wurde eine Scheibe eingeschlagen. Nach SWR-Informationen handelt es sich um ein Begleitfahrzeug Özdemirs, der als einer der Redner beim Politischen Aschermittwoch vorgesehen war. Auch ein Polizeifahrzeug wurde beschädigt.
Beim Politischen Aschermittwoch der Grünen sollten in diesem Jahr neben Özdemir und BW-Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Bundesvorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, und der ehemalige Umweltminister Jürgen Trittin sprechen, der vor fünf Wochen aus dem Bundestag ausgeschieden ist.
Özdemir habe mit Teilnehmern der Demonstration von Landwirten gesprochen "und den Dialog gesucht", erklärte eine Sprecherin der baden-württembergischen Grünen. "Wir haben bereits im Vorfeld der Veranstaltung Gesprächsangebote unterbreitet und werden den Austausch in kleiner Runde fortführen." Auch in Zukunft wolle die Partei einen Dialog führen "mit all denjenigen, die an einem konstruktiven Austausch interessiert sind".
Landesbauernverband distanziert sich von Tumulten
Der Landesbauernverband in Baden-Württemberg hatte nach eigener Auskunft weder zu den Protesten aufgerufen noch diese im Vorfeld unterstützt. Am Nachmittag teilte der Verband mit, "dort, wo von Kundgebungsteilnehmern verbale Entgleisungen, Bedrohungen oder gar Gewalt ausgegangen" sei, distanziere sich der Verband von solchen Vorfällen. "Wir standen immer und stehen nach wie vor für friedlichen und demokratischen Protest“, teilte die Landesvize-Präsidentin des Verbands Roswitha Geyer-Fäßler mit.
"Es ist schade, dass die Veranstaltung der Grünen nicht stattfinden konnte, schließlich hätte sie uns Gelegenheit gegeben, unsere Forderungen innerhalb der Partei zu diskutieren", erklärte Geyer-Fäßler weiter. Trotz des abgesagten Parteitages habe der Bauernverband mit Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir ein Gespräch führen können.
Kritik kam von Grünen-Politiker Trittin. Er sagte der "taz", die Polizei in Baden-Württemberg müsse sich ernste Fragen stellen lassen, "warum sie nicht in der Lage war, eine Veranstaltung des eigenen Ministerpräsidenten so abzusichern, dass sie durchgeführt werden kann." Es sei bitter für die Grünen und den Staat, dass diese jährlich größte Veranstaltung der Grünen nicht durchgeführt werden konnte.
Kretschmann spricht von einem Einschnitt
Kretschmann sagte im SWR-Interview am frühen Abend, Özdemir habe gegenüber der Stadthalle auf dem Biberacher Gigelberg bei einer Kundgebung von Bauern gesprochen und dort ihre Fragen beantwortet. "Welche Randalierer und gewaltbereiten Extremisten sich da unten (vor der Stadthalle, Anmerkung der Redaktion) getummelt haben, das können wir noch nicht sagen. Ob das überhaupt Bauern waren, wissen wir nicht. Aber sowas geht natürlich wirklich überhaupt gar nicht", sagte der Grünen-Politiker.
Über die Äußerung von Trittin, die Absage der Parteiveranstaltung in Biberach sei eine "Niederlage für die Demokratie", sagte Kretschmann, man müsse die Dinge "nicht gleich überdramatisieren". Es sei jedoch ein "Einschnitt" und man müsse genauer verfolgen, wie es dazu kommen konnte, dass eine demokratische Partei eine wichtige Veranstaltung nicht abhalten konnte. Wenn die Polizei mit ihren Berichten über die Geschehnisse in Biberach fertig sei, "dann können wir das auch bewerten, wenn wir alle Fakten wirklich haben", sagte Kretschmann.
Bauern-Proteste: Bayaz fordert strafrechtliche Ermittlungen
Nach der Absage äußerten mehrere Grünen-Politiker Kritik an den Methoden der Demonstrantinnen und Demonstranten in Biberach: Der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) forderte strafrechtliche Ermittlungen. "Wer glaubt, mit gewaltvollen Aktionen seine politischen Ziele zu erreichen, wird dabei nicht nur scheitern, sondern hat den Boden unseres demokratischen Gemeinwesens längst verlassen", kommentierte der Politiker die Tumulte rund um die Veranstaltungshalle in Biberach auf X (früher Twitter). "Für diese Art Protest darf es keine Toleranz geben, dafür aber rechtsstaatliche Konsequenzen."
Grünen-Landeschefin Lena Schwelling kritisierte ebenfalls die Methoden der Demonstrantinnen und Demonstranten. "Vor der Halle ist niemand bereit zu einem Dialog. Da geht es nur darum, die Veranstaltung zu verhindern - mit Methoden, die jenseits der Grenze sind", sagte Schwelling. So sei es etwa problematisch, wenn Scheiben von Autos eingeschlagen würden. Sie sei enttäuscht und traurig, dass der Politische Aschermittwoch, ein "Hochfest der Demokratie", nicht habe stattfinden können.
Grünen wollen mit Bauern im Dialog bleiben
Im SWR sagte Schwelling am Donnerstag: "Das war ein einschneidendes Erlebnis. Ich kann es mir nicht wirklich erklären." Bei wenigen habe sich anscheinend eine Protestkultur entwickelt, die "laut und störend" sei. Dennoch wollten die Grünen weiterhin das Gespräch mit den Landwirten suchen, betonte die Landesvorsitzende: "Wir sind um den Dialog sehr bemüht und stehen dafür auch jederzeit zur Verfügung." Voraussetzung dafür sei aber, dass man sich gegenseitig zuhöre und ausreden lasse.
Schwelling räumte ein, dass die Grünen wegen der aktuellen politischen Krisen im Fokus der Diskussion stünden. "Wir eignen uns ganz gut als Feindbild. Das hat sicherlich ein bisschen auch mit uns zu tun. Wir sind eine Partei, die etwas verändern will. Wir werden mit vielem in Verbindung gebracht, was gerade schiefläuft."
Das Interview mit der Grünen-Landesvorsitzenden Lena Schwelling:
Auch Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) verurteilte die Gewalt in Biberach: "Proteste gehören zu den Herzstücken einer lebendigen Demokratie, aber solche gewalttätigen Handlungen sind Straftaten", so Aras.
Grünen-Chefin Ricarda Lang, die eigentlich auch in Biberach sprechen sollte, war am Mittwochabend bei einer Grünen-Veranstaltung in Schorndorf (Rems-Murr-Kreis) zu Gast. Nach der Veranstaltung wurde sie von Demonstrierenden beschimpft und verfolgt. Mehr dazu haben wir hier zusammengefasst:
Demonstrierende blockieren Kreuzung Aschermittwoch: Ricarda Lang in Schorndorf beschimpft und bei Abreise behindert
Wegen gewalttätiger Proteste mussten die Grünen in Biberach ihre Veranstaltung zum Politischen Aschermittwoch absagen. Am Abend kam es in Schorndorf erneut zu einem Vorfall.
Özdemir: "Das ist nicht die deutsche Landwirtschaft"
Bundesagrarminister Özdemir nahm die Landwirte prinzipiell in Schutz. "Die, die da jetzt über die Stränge geschlagen haben, das ist nicht die deutsche Landwirtschaft", so Özdemir. "Das waren Einzelne, die sich da so benommen haben." Die Demonstrantinnen und Demonstranten hätten der Landwirtschaft und den Anliegen der Landwirtschaft so keinen Gefallen getan, sagte Özdemir.
Möglicherweise für Irritation sorgten kurzzeitig Äußerungen des Grünen-Vorsitzenden Omid Nouripour. "Ich bin extrem dankbar für alle Bauernproteste", sagte er beim Politischen Aschermittwoch seiner Partei im bayerischen Landshut. "Es gab viele Leute, die vorher gesagt haben: 'Oh, Gott, die sind unterwandert von den Rechtsextremen.' Das ist nicht passiert, weil vor allem der Bauernverband, andere Verbände und die Bauern selbst sich gewehrt haben", betonte Nouripour. "Dafür habe ich einen Riesendank auszusprechen. Herzlichen Dank dafür, dass Sie das gemacht haben!" Nouripour wusste zum Zeitpunkt seiner Rede noch nichts von der Absage des Grünen-Aschermittwochs in Biberach.
CDU kritisiert Ausschreitungen
Der CDU-Landesvorsitzende Manuel Hagel bezeichnete es als "inakzeptabel", dass der Politische Aschermittwoch der Grünen abgesagt werden musste. "Die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung - etwa der Landwirte, der Handwerker oder der Logistiker im Land ist legitim", so Hagel. Bei Protesten müssten aber "Maß und Mitte" gelten. "Es muss immer friedlich und gewaltfrei bleiben - so wie bei den allermeisten Kundgebungen der letzten Wochen."
Auch Innenminister Thomas Strobl (CDU) kritisierte die Ausschreitungen: "Diese Demonstranten haben der Sache der Bauern einen Bärendienst erwiesen", so Strobl. Er kündigte an, "Straftäter zügig und rückstandlos zur Rechenschaft" zu ziehen.
AfD äußert Verständnis
Der SPD-Landesvorsitzende Andreas Stoch bezeichnete das aggressive Verhalten einiger Demonstranten als "absolutes No Go". Dissens gehöre zur Demokratie, Diskussionen auch: "Nur wer keine Argumente hat, wirft mit Steinen. Das ist die Sprache derer, die unsere demokratischen Prinzipien missachten."
Die AfD Baden-Württemberg hingegen bezeichnete die Absage als "Resultat gelebter Demokratie". Der agrarpolitische AfD-Fraktionssprecher Dennis Klecker sagte, er habe "vollstes Verständnis", dass "die grünen Politiker den Frust der Bauern hautnah erleben durften". Gleichzeitig sprach er sich dafür aus, dass die Proteste gewaltfrei verlaufen. Sachbeschädigung sei nicht akzeptabel.