„Heartstopper“ Staffel 2 (Foto: Pressestelle, Netflix)

Zweite Staffel der LGBTIQ*-Erfolgsserie

Warum „Heartstopper“ die Herzen queerer Menschen höherschlagen lässt

Stand
AUTOR/IN
Dominic Konrad

„Ich wusste gar nicht, wie sehr ich diese Show gebraucht habe“ – Solche und ähnliche Kommentare hört und liest man immer wieder, wenn queere Menschen sich über die Serie „Heartstopper“ äußern. Was auf den ersten Blick nach zuckersüß-banaler Coming-of-Age-Geschichte aussieht, wurde für sie zum Seelentröster. Am 3. August erscheint auf Netflix die zweite Staffel und die Vorfreude ist groß.

Heartstopper Staffel 1 (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / Everett Collection | ©Netflix/Courtesy Everett Collection)
Erster Tag nach den Schulferien: Rugby-Spieler Nick (Kit Connor, links) freundet sich mit seinem Sitzbank-Partner Charlie (Joe Locke) an.

Junge trifft Junge – dann knistert es gewaltig

Es ist der erste Tag nach den Schulferien und der schwule Zehntklässler Charlie muss erfahren, dass er von seinem Lehrer neben einen Rugby-Spieler gesetzt worden ist. Charlie schwant Übles, doch als Nick sich zu ihm dreht und ihn anlächelt, merkt der Junge schnell, dass dieses Jahr vielleicht doch nicht so schlimm wird wie befürchtet…

Am 22. April 2022 veröffentlichte Netflix die erste Staffel der Serie „Heartstopper“, basierend auf der gleichnamigen Web-Comic-Reihe der britischen Autorin Alice Oseman. Der Erfolg kam schnell: In den ersten drei Wochen allein sahen mehr als 70 Millionen Abonnent*innen die acht halbstündigen Folgen.

Ein großer Erfolg, gerade für eine Jugendserie mit schwulen Hauptfiguren. Die Ankündigung von zwei weiteren Staffeln ließ nicht lange auf sich warten.

„Heartstopper“ Staffel 2 (Foto: Pressestelle, Netflix)
Charlie und Nick sind jetzt offiziell ein Paar. Kommen sie sich in Staffel 2 auch körperlich näher?

In der Serie entwickelt sich die Beziehung von Charlie und Nick, gespielt von Joe Locke und Kit Connor, genretypisch schnell. Aus Sympathie wird schnell Freundschaft und bald kann und will Nick, der sich eigentlich als heterosexuell identifiziert, nicht mehr verleugnen, dass seine Gefühle für Charlie mehr als rein platonisch sind.

Queere Jugend (fast) ohne Selbstfindungsdrama

Das alles liest sich nicht nur wie eine relativ banale Coming-of-Age-Geschichte, das ist es auch. Doch während in anderen Jugendserien queere Figuren meist nur als Randfiguren mit dem immer gleichen Coming-Out-Drama vorkommen, stehen bei „Heartstopper“ queere Themen voll und ganz im Mittelpunkt, auch um die beiden Potagonisten herum.

Nicks erster Schwarm Tara erklärt sich ihm gegenüber als Lesbe und stellt ihm ihre Freundin Darcy vor. Außerdem knistert es zwischen Charlies besten Freund*innen: Elle, seit kurzem als Transgender geoutet, ist in Tao verliebt, für den sie bis vor kurzem noch ein (vermeintlich männlicher) Kumpel war.

„Heartstopper“ Staffel 2 (Foto: Pressestelle, Netflix)
Für Tao (William Gao) war Elle (Yasmin Finney) eigentlich immer nur eine gute Freundin. Doch je mehr Zeit Charlie mit seinem Boyfriend Nick verbringt, desto mehr spürt Tao die Anziehung zu Elle.

Das alles verhandelt „Heartstopper“ ohne Tränen und Weltschmerz, immer mit einer bewusst positiven Grundhaltung und einer erfrischenden Unaufgeregtheit. Alle Figuren sind mit sich, ihrer Identität und ihrem direkten Umfeld im Reinen, sie können ohne Scham und Scheu ihre Gefühle leben.

Sogar für Nick, der sich und seine Sexualität neu entdeckt, läuft das Outing vor seiner Mutter (Olivia Colman) wie die normalste Sache der Welt ab. So wie es sein sollte.

„Heartstopper“ Staffel 2 (Foto: Pressestelle, Netflix)
Bei jeder Berührung sprühen die Funken: Ganz wie in der Comic-Vorlage werden die Gefühle von Nick und Charlie mit kleinen Animationen verdeutlicht.

Eine Serie wie eine Umarmung

Für die Fans ist die schüchterne Verlegenheit, mit der Charlie und Nick ihre gegenseitige Verliebtheit entdecken, Balsam für die Seele. Auch viele deutsche Fans teilten ihre Freude über die erste Staffel in den sozialen Medien mit:

Habe #Heartstopper angefangen und wusste gar nicht, sie sehr ich diese Show gebraucht habe. Das ist das Level von mutual pining, das sonst nur Fanfictions schaffen.🥹❤️

Und liege jetzt auf der Couch und schaue Heartstopper und ich weiß dass alles sehr furchtbar ist in der Welt, aber wir haben Solidarität und gemeinsame Kämpfe und das macht den Blick auf die Welt etwas leichter.

Heartstopper Staffel 1 (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / Everett Collection | ©Netflix/Courtesy Everett Collection)
Fürsorge im Krankenzimmer: Nick kümmert sich um Charlie, der für seinen Schwarm ins Rugby-Team eingetreten ist.

Doch es sind nicht nur Jugendliche, die sich durch das Storytelling von „Heartstopper“ angesprochen fühlen. Auch erwachsene queere Personen erkennen sich in den Figuren wieder, mit etwas Melancholie. Gerne hätten sie auch eine Jugend erlebt, in der sie mit solcher Selbstverständlichkeit ihre Gefühle hätten ausleben können:

Vier Folgen »Heartstopper« am Stück geschaut.Es ist wundervoll 😊🌈Wieder zeigt sich, wie viel Representation ausmacht. Wie krass es ist, dass es keine queeren Serien gab, als ich Teenager war. Mein queeres Ich freut sich sehr über diese Serie.

„Heartstopper“ Staffel 2 (Foto: Pressestelle, Netflix)
Auch für Tara (Corinna Brown) und ihre Freundin Darcy (Kizzy Edgell) läuft die Beziehung richtig gut. Jetzt müssen sie überlegen, ob sie sich offiziell vor der ganzen Klasse outen wollen.

Was die Serie aber vor allem macht: Sie gibt Mut, zu sich selbst und seinen Gefühlen zu stehen und das Umfeld auch daran teilhaben zu lassen. Gerade jüngere Zuschauer*innen schöpfen aus der Serie die Kraft, sich gegenüber ihren Eltern oder Freunden zu outen:

🏳️‍🌈🏳️‍🌈🏳️‍🌈🏳️‍🌈🏳️‍🌈🏳️‍🌈🏳️‍🌈🏳️‍🌈🏳️‍🌈🏳️‍🌈🏳️‍🌈Hab mich gerade bei meinen Eltern geoutet und es war einfach so gut, ich liebe sie🏳️‍🌈🏳️‍🌈🏳️‍🌈🏳️‍🌈🏳️‍🌈🏳️‍🌈🏳️‍🌈🏳️‍🌈🏳️‍🌈🏳️‍🌈🏳️‍🌈(this tweet & action was inspired by heartstopper)

„Heartstopper“ Staffel 2 (Foto: Pressestelle, Netflix)
Kommen sich Elle und Tao in Paris – immerhin die Stadt der Liebe – auch richtig nahe?

Fans zwangen Hauptdarsteller zum Coming-Out

Dass es im echten Leben allerdings nicht immer so harmonisch läuft, musste Hauptdarsteller Kit Connor am eigenen Leib erfahren. Nachdem Fotos ihn händchenhaltend mit einer Schauspiel-Kollegin zeigten, attackierten ihn Fans der Serie in den sozialen Medien und warfen ihm „Queerbaiting“ vor: Connor spiele eine queere Rolle, um mehr Publicity zu erhalten.

Connor outete sich daraufhin, mit deutlichen Worten, via Twitter:

„Ich bin bi. Glückwunsch dafür, einen 18-Jährigen dazu zu zwingen, sich zu outen. Ich denke, einige von euch haben den Kern der Serie nicht verstanden.“

„Heartstopper“, Teaser für Staffel 2, ab 3. August auf Netflix

Zweite Staffel: Auf zur Klassenfahrt nach Paris!

Der Ärger über das unfreiwillige Outing scheint angesichts des großen Fan-Zuspruchs allerdings verraucht zu sein. Erst kürzlich marschierte der Hauptdarsteller zusammen mit seinen „Heartstopper“-Kolleg*innen bei der London Pride mit und stellte dabei den neuesten Teaser für die zweite Staffel vor.

In ihrem neuesten Abenteuer begeben sich Nick, Charlie und ihre Freunde auf Klassenfahrt nach Paris. Sofern die Comics ein Indikator für die Storylines sind, werden Nick und Charlie nicht nur immer mehr über die körperlichen Seiten ihrer Beziehung nachdenken, für Nick steht eine Konfrontation mit seinem abwesenden Vater und für Charlie das Eingeständnis seiner Essstörung bevor.

Auch wenn die Welt nicht immer so rosarot ist, wie „Heartstopper“ einen glauben lassen will: Für queere Zuschauer ist es eine willkommene Flucht aus einer Realität, in der Outings nicht immer positiv aufgenommen werden und Kinderbuch-Lesungen von Drag Queens für Entrüstungsstürme sorgen. Ein bisschen Eskapismus hat noch niemandem geschadet.

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Die Gruppe “Queer Cheer” hat beim Deutschen Jazzpreis den Sonderpreis der Jury gewonnen. Als erste queere Community in der deutschen Jazzszene setzt sie sich mit Themen wie Diversität, Intersexualität, Multiperspektivität oder auch Interdisziplinarität auseinander.

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Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. Dragqueens erobern die Popkultur: Mehr Mainstream, weniger Hass?

Erst haben sich Dragqueens über ihr Make-Up amüsiert, dann hat die Schauspielerin Melissa McCarthy doch noch weltweit die Fans von sich überzeugt: als Meereshexe Ursula im Kinofilm “Arielle, die Meerjungfrau”. Ihre Figur soll von der Dragqueen-Ikone Divine inspiriert sein. Aber wie so oft bei Disney: Die queeren Rollen sind Bösewichte.
Was immer noch besser sei als gar keine queeren Menschen in der Popkultur zu haben, meint der Soziologe Jeff Manners. Dass die Dragkultur längst auch positiv den Mainstream prägt, betont die Dragqueen Betty BBQ aus Freiburg. Ihr Markenzeichen ist der Schwarzwald-Bollenhut. „Angekommen sind wir definitiv“, sagt sie. Was nicht gleichzusetzen sei mit sozial akzeptiert.
Drag-Kultur im Mainstream bedeutet nicht automatisch weniger Hass und Hetze gegen queere Menschen. Besonders in den USA tobt ein Kulturkampf: Ein Dutzend republikanisch geführter Bundesstaaten wollen Drag-Shows gesetzlich verbieten. Und in München platzt die CSU vor Wut über eine Kinderbuchlesung mit einer Dragqueen. “Populisten haben erkannt, dass man aus queeren Themen politisches Kapital schlagen kann, indem man Minderheiten zu Sündenböcken macht“, sagt Jeff Mannes. Für Betty BBQ eine beängstigende Entwicklung: „Ich habe mich die letzten 20 Jahre nie in einem Kulturkampf gesehen. Auf einen Schlag ist das anders, das belastet mich sehr.“
Diese Gleichzeitigkeit von Emanzipation und Repression - sie ist nicht neu, wie der Blick in die Geschichte zeigt. Der Historiker Benno Gammerl zieht mit uns Parallelen zum Deutschland der 1920er Jahre.
Habt ihr auch schon alle Staffeln der Serie „Pose“ über die Ballroom-Szene gesehen, irgendwann mal zu Madonnas „Vogue“ getanzt und sucht noch mehr Inspiration zum Thema? Mailt uns, auch mit Feedback und Themenvorschlägen, an kulturpodcast@swr.de!
Hosts: Kristine Harthauer und Philine Sauvageot
Showrunner: Stephanie Metzger
Benno Gammerls Buch “Queer. Eine deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis heute”: https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/queer/978-3-446-27607-9/
Die fünfteilige SWR-Dokuserie “Drags of Monnem”: https://www.ardmediathek.de/serie/drags-of-monnem/staffel-1/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9zZGIvc3RJZC8xNTMw/1

Sachbuch Bunte Historie: „Queer” – Die erste queere Geschichte Deutschlands

Das Buch „Queer. Eine deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis heute“ stellt Verbindungen zwischen historischen Fakten und aktuellen Debatten her. Autor Prof. Benno Gammerl beleuchtet 150 Jahre queerer Subkultur mit vielen Quellen und Verweisen – darunter Perspektiven, die von der cis-schwulen und cis-lesbische Geschichtsschreibung bislang überschattet wurden.

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