Italiens erfolgreichster Film 2023

„Morgen ist auch noch ein Tag“ – Bizarr-komische Tragikomödie von Paola Cortellesi

Stand
AUTOR/IN
Rüdiger Suchsland

Das Regiedebüt von Paola Cortellesi ist Italiens meistgesehener Film 2023. Er spielt im Rom der Nachkriegszeit und ist in der Film-Ästhetik des legendären italienischen Autorenkinos gedreht. Cortellesi spielt auch die Hauptrolle: eine Frau zwischen Aufbruch und Tradition in einer Macho-Gesellschaft.

Audio herunterladen (3,9 MB | MP3)

Ehefrau und Mutter: die Rolle der italienische Frau vor 80 Jahren

Delia ist Ehefrau und Mutter von drei Kindern. Das sind die Rollen, die sie definieren, denn wir befinden uns im Italien der Nachkriegszeit, in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre. Die ganz normale Familie lebt in einem Rom, das zwischen dem positiven Schub der Befreiung und dem Elend des Krieges zerrissen ist. Ihr Mann Ivano ist der oberste Chef und Herr der Familie, er arbeitet hart, um das wenige Geld nach Hause zu bringen.

Filmstill (Foto: Tobis Film)
Rom 1946 nach der Befreiung vom Faschismus: Delia (Paola Cortellesi) ist die Frau von Ivano (Valerio Mastandrea) und Mutter dreier Kinder. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill (Foto: Tobis Film)
Zwei Rollen, in die sie sich voller Hingabe fügt. Obendrein bessert sie die Haushaltskasse mit vielen kleinen Hilfsarbeiten auf, um die Familie über Wasser zu halten. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill (Foto: Tobis Film)
Ivano hingegen fühlt sich berechtigt, alle daran zu erinnern, wer der Ernährer ist. Nicht nur mit Worten. Körperliche und psychische Gewalt gehören für Delia zum Alltag. Delia (Paola Cortellesi), Ottorino (Giorgio Colangeli), Ivano (Valerio Mastandrea) Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill (Foto: Tobis Film)
Bis ein mysteriöser Brief eintrifft, der ihr den Mut gibt, alles über den Haufen zu werfen und sich ein besseres Leben zu wünschen, nicht nur für sich selbst. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill (Foto: Tobis Film)
Delias älteste Tochter Marcella (Romana Maggiora Vergano) hofft darauf, möglichst schnell Giulio (Francesco Centorame), einen netten Jungen aus der Mittelschicht, zu heiraten, um endlich ihrem unangenehmen Zuhause zu entfliehen. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill (Foto: Tobis Film)
Delias einziger Trost ist ihre Freundin Marisa, mit der sie Momente der Heiterkeit und ein paar intime Vertraulichkeiten teilt. Marisa (Emanuela Fanelli), Delia (Paola Cortellesi) Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill (Foto: Tobis Film)
Familienidylle: Schwiegertochter Delia ist für Ivanos Vater Ottorino nicht mehr als die ideale Pflegerin. Delia (Paola Cortellesi), Marcella (Romana Maggiora Vergano), Ottorino(Giorgio Colangeli), Ivano (Valerio Mastandrea) Bild in Detailansicht öffnen

Dem häuslichen Elend durch Heirat entkommen

Respekt hat er nicht vor seiner Frau, sondern nur vor seinem Vater Ottorino, einem zänkischen und despotischen alten Mann, für den Schwiegertochter Delia vor allem die ideale Pflegerin ist. Delias einziger Trost ist ihre Freundin Marisa, mit der sie Momente der Heiterkeit und ein paar intime Vertraulichkeiten teilt. Es ist Frühling, und die ganze Familie ist in Aufruhr wegen der bevorstehenden Verlobung der geliebten ältesten Tochter Marcella, die ihrerseits nur darauf hofft, schnell Giulio, einen netten Jungen aus der Mittelschicht, zu heiraten und endlich ihr unangenehmes Zuhause loszuwerden.

Gelungene Hommage an Italiens neorealistisches Kino

Hauptdarstellerin Paola Cortellesi ist mit einer langen Fernseh-Karriere und über 30 Filmen auch Drehbuchautorin und Regisseurin dieses One-Woman-Projekts, das ihr Regiedebüt ist. Ihr Film ist eine sehr gelungene Hommage an das neorealistische Kino im Italien nach dem Zweiten Weltkrieg.

Der Film ist deshalb auch in eindrucksvollem Schwarz-Weiß gedreht. Cortellesi lässt uns in ein Rom des Jahres 1946 eintauchen, das wie der Rest Italiens arm und zerstört ist. Der Film weist einige interessante erzählerische Kunstgriffe auf. Vor allem wird die körperliche Gewalt, die Delia von ihrem Ehemann Ivano häufig angetan wird, nicht gezeigt.

Filmstill (Foto: Tobis Film)
Ivano hingegen fühlt sich berechtigt, alle daran zu erinnern, wer der Ernährer ist. Nicht nur mit Worten. Körperliche und psychische Gewalt gehören für Delia zum Alltag. Delia (Paola Cortellesi), Ottorino (Giorgio Colangeli), Ivano (Valerio Mastandrea)

Stark patriachalisch geprägtes Frauenbild

Der Film macht deutlich, dass ganze Generationen mit der Idee aufgewachsen sind, dass Frauen Eigentum sind, ihre Emanzipation ist gleichbedeutend mit mangelndem Respekt vor dem Mann. Als wäre das nicht genug, wird auch noch vermittelt, dass es ein Zeichen von Männlichkeit ist, wenn man gelegentlich die Hände gegen die Partnerin erhebt, und dass Eifersucht und Besitzgier Ausdruck von Liebe sind.

Ein schöner und wütender Film von Paola Cortellesi

„Morgen ist auch noch ein Tag" ist eine gelungene Mischung aus Drama und Komödie, die Ironie von Cortellesi als Schauspielerin verleiht selbst den schwierigsten Szenen, wie Delias ständiger Demütigung durch ihren kleinlichen und überheblichen Ehemann, eine unterschwellige Leichtigkeit. Es ist diese Leichtigkeit, diese subtile, aber spürbare Sehnsucht nach einem besseren Morgen, nach einem anderen Morgen, die den Film über die reine Unterhaltung hinaushebt. Ein ebenso schöner und bizarr-komischer, wie wütender Film.

Trailer „Morgen ist auch noch ein Tag“, ab 4.4. im Kino

Mehr Kino bei SWR Kultur

Dramen auf dem Mitttelmeer Der Traum von Europa: Drama „Ich Capitano“ über zwei Teenager auf der Flucht

Zwei Jugendlichen aus dem Senegal, die sich auf den Weg nach Italien machen: Ein Film über das Erwachsenwerden, gedreht für die große Leinwand in den satten Farben eines Western.

SWR2 am Morgen SWR2

Kinofarce aus Niederösterreich Kaberettist Josef Hader über seine derbe Provinzkomödie „Andrea lässt sich scheiden“

Josef Hader macht sich als Regisseur einen Namen. „Andrea lässt sich scheiden“ ist eine derbe Tragikomödie in der niederösterreichischen Provinz mit Birigit Minichmayer.

SWR2 am Morgen SWR2

Schmähbriefe in Schönschrift Tragikomödie „Kleine schmutzige Briefe“ erzählt von einer frauenfeindlichen Gesellschaft der 1920er

Die Tragikomödie „Kleine schmutzige Briefe“ erzählt nach wahren Begebenheiten von einem Skandal um Schmähbriefe, die Anfang der 1920er-Jahre ein englisches Städtchen in Atem hielten. Regisseurin Thea Sharrock zeichnet das Bild einer scheinheiligen und frauenfeindlichen Gesellschaft, unter deren Oberfläche es kräftig brodelt.

SWR2 am Morgen SWR2

Stand
AUTOR/IN
Rüdiger Suchsland