2012 fanden Archäologen unter einem Parkplatz in Leicester die Gebeine von König Richard III. So sensationell der Fund war, so überwältigend und unbekannt ist seine Vorgeschichte. Die erzählt jetzt Stephen Frears in seiner warmherzigen Tragikomödie „The Lost King“.
Stephen Frears erzählt in „The Lost King“ eine wahre Geschichte
Auf dem Parkplatz des Sozialamtes von Leicester ist ein großes „R“ auf den Boden gepinselt: es steht für „reserviert“. Doch für Philippa Langley bedeutet es „Richard“. Ihre Intuition sagt ihr: Genau hier, unter dem „R“, liegen die Gebeine Richards III. begraben. Jahrelang hat sie nach ihnen gesucht. Und wirklich: Unter dem Beton stoßen die Archäologen auf ein Skelett mit verkrümmter Wirbelsäule. DNA-Tests bestätigen später die Identität des berühmten Königs. Für Philippa Langley ist es der Abschluss eines Herzensprojekts und einer Reise zu sich selbst.
Es ist eine wahre Geschichte, die Regisseur Stephen Frears in „The Lost King“ erzählt. Mit einer völlig unwahrscheinlichen Heldin in der Hauptrolle. Denn Philippa Langley ist keine Wissenschaftlerin.
Sally Hawkins spielt sie als unsichere Mutter zweier pubertärer Jungs, zermürbt von einer chronischen Krankheit und frustriert darüber, dass im Job Jüngere an ihr vorbeiziehen. Eine Aufführung von Shakespeares Historiendrama „Richard III.“ wird für die Mittvierzigerin zum Erweckungserlebnis.
Richard III. geistert durch den Alltag von Philippa Langley
Frears lässt die Figur des Königs fortan durch Philippas Alltag geistern. Sie will mehr über ihn erfahren und schließt sich der Richard III.-Society an. Dieser Club setzt sich seit 1924 für ein besseres Bild des als Mörder und Thronräuber verschrienen Herrschers ein.
Seit der Schlacht von Bosworth 1485 galten die Gebeine Richards als verschollen. Über einen Zeitraum von siebeneinhalb Jahren hat die echte Philippa Langley historische Puzzlestücke zusammengetragen und für ihr Grabungsprojekt gekämpft. Stephen Frears verdichtet diese Zeit im Film auf einen deutlich kürzeren Zeitraum. Aber auch so wird klar, wie aussichtslos das Unterfangen lange scheint. Wissenschaftler belächeln die historische Laiin. Kaum eine Institution will sie finanziell unterstützen.
Mit Crowdfunding bringt Philippa Langley schließlich das Geld auf, um die Grabung durchzuführen.
Warmherzige Tragikomödie mit britisch-schrägem Einschlag
Stephen Frears erzählt „The Lost King“ als warmherzige Tragikomödie mit britisch-schrägem Einschlag und einer wundervoll eigensinnigen Sally Hawkins in der Hauptrolle.
Einmal mehr stellt Frears eine weibliche Figur im Kampf gegen eine patriarchale Welt in den Mittelpunkt eines Films. So schwer es Langley hatte, im männlich dominierten Wissenschaftsbetrieb gehört zu werden: Am Ende findet sie nicht nur die Gebeine Richards, sondern sorgt auch dafür, dass ihn das britische Königshaus über 500 Jahre nach seinem Tod als rechtmäßigen Herrscher anerkennt.
Eine ermutigende Geschichte, die dazu anregt, mit offenem Blick durch die Welt zu gehen und vermeintliche Wahrheiten nicht unhinterfragt hinzunehmen.
Trailer zu „The Lost King“ – ab 5.10.23 im Kino:
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Deshalb macht sein Vater mit ihm einen Deal: Zusammen besuchen die beiden ein Fußballstadion nach dem anderen, um herauszufinden, welcher Verein der richtige für Jason ist. Und Jason soll sich dafür in der Schule nicht mehr so leicht reizen lassen. SWR2-Filmkritikerin Simone Reber sagt: "Mit liebevoller Ironie, ohne erhobenen Zeigefinger oder rosarote Brille erzählt der Film von der Reise zum Herzen dieses Landes. Er erzählt von Jasons Einschränkungen, aber auch von seinen besonderen Fähigkeiten. Am Ende hält er sogar die Gesänge in der Fankurve aus. Das muss man erst einmal schaffen."