Wolfgang Hilsemer verlor bei der Amokfahrt in Trier seine Schwester, sein Schwager starb später an den erlittenen Verletzungen.  (Foto: SWR, Martin Schmitt)

Amokfahrer seit Dienstag erneut vor Gericht

Neuauflage Amokfahrt-Prozess Trier: Für Opfer-Angehörige nur schwer zu ertragen

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Martin Schmitt
Martin Schmitt am Mikrofon (Foto: SWR)

Wolfgang Hilsemer verlor bei der Amokfahrt in Trier seine Schwester, sein Schwager starb später an den erlittenen Verletzungen. Dass sich der Amokfahrer seit Dienstag erneut vor Gericht verantworten muss, reißt bei ihm Wunden wieder auf.

Der Amokfahrer von Trier steht seit Dienstag wieder vor Gericht. Diesen Satz kann Wolfgang Hilsemer noch immer nicht richtig begreifen. "Was ist nur mit unserer Gerechtigkeit los?" habe er sich in den vergangenen Monaten immer wieder gefragt.

Der Bundesgerichtshof hat meiner Meinung nach vollkommen versagt.

"Es wird gar nicht mehr an die Opfer gedacht. Es geht nur noch um den Mörder. Warum ist der krank, was hat er und warum hat er das gemacht? Der Bundesgerichtshof hat meiner Meinung nach vollkommen versagt", stellt Hilsemer verbittert fest.

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Bundesgerichtshof stellte Mängel im Urteil zur Amokfahrt fest

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte das Urteil des Trierer Landgerichts zum Teil aufgehoben. Der Amokfahrer war 2022 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Zugleich wurde die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik angeordnet, weil er an einer paranoiden Schizophrenie leide. Er sei vermindert schuldfähig.

Der BGH hatte kritisiert, dass das Landgericht Trier in seinem Urteil die Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht korrekt geprüft hatte. Daher kommt es jetzt zu einer Teil-Neuauflage des Prozesses gegen den Täter.

Wolfgang Hilsemer will zu allen Verhandlungstagen der Neuauflage des Amokprozesses von Trier kommen. Das sei er seiner Schwester und seinem Schwager schuldig. (Foto: SWR, Martin Schmitt)
Er werde wieder schlaflose Nächte vor den Verhandlungstagen haben, sagt Wolfgang Hilsemer.

Ich werde zu allen Verhandlungstagen kommen. Das bin ich meiner Schwester und meinem Schwager schuldig.

Wolfgang Hilsemer ist einer von 15 Nebenklägern in dem Prozess. Für das Verfahren sind vom Landgericht Trier zehn Verhandlungstage geplant. Obwohl alles wieder bei ihm hochkommt, wolle er trotzdem zu allen Prozessterminen kommen. "Ich werde zu allen Verhandlungstagen kommen. Das bin ich meiner Schwester und meinem Schwager schuldig."

Eine Gedenkplakette in der Brotstraße in Trier erinnert an Wolfgang Hilsemers Schwester und Schwager. Die Plakette ist genau an der Stelle verlegt, an denen die beiden vom Amokfahrer erfasst wurden. (Foto: SWR, Martin Schmitt)
"Uli und Jupp": Eine Gedenkplakette in der Brotstraße in Trier erinnert an Wolfgang Hilsemers Schwester und Schwager. Die Plakette ist genau an der Stelle verlegt, an der die beiden vom Amokfahrer erfasst wurden.

Hilfe von Familie und Psychologen

Auch wenn es ihm schwerfalle, er werde das schon schaffen - auch mit der Unterstützung seiner Familie. Wenn es ihm ganz schlecht gehen sollte, werde er mit Psychologe Bernd Steinmetz sprechen, der die Hinterbliebenen und Angehörigen der Amokfahrt betreut. "Der ist jederzeit für uns da und macht seine Arbeit sehr gut", so Hilsemer.

Ich werde wieder schlaflose Nächte haben.

Ganz spurlos werden die Verhandlungen wohl nicht an Wolfgang Hilsemer vorbeigehen: "Ich werde wieder schlaflose Nächte haben. Die Nacht vor der Verhandlung wird schlimm und die Nächte danach werden schlimm. Wenn ich das Gesicht des Angeklagten sehe, dann kommen mir auch manchmal Tränen der Wut."

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Äußert sich der Amokfahrer erstmals vor Gericht?

Nach Recherchen des SWR besteht die Möglichkeit, dass sich der 54-Jährige in diesem Prozess erstmals auch äußern könnte. Konkrete Angaben, in welchem Umfang oder in welcher Art wollten die Prozessbeteiligten vorab nicht machen.

Es ist mir eigentlich total egal, was der sagt. Das interessiert mich überhaupt nicht.

Wolfgang Hilsemer vermutet, dass ein taktisches Kalkül dahinterstecken könnte. "Es ist mir eigentlich total egal, was der sagt. Das interessiert mich überhaupt nicht. Ich vermute ohnehin, dass das eine taktische Sache seines Anwalts ist."

Wolfgang Hilsemer steht in der Brotstraße in Trier. Genau an dieser Stelle tötete der Amokfahrer seine Schwester. Sein Schwager starb später an den erlittenen Verletzungen. (Foto: SWR, Martin Schmitt)
Wolfgang Hilsemer steht in der Brotstraße in Trier. Genau an dieser Stelle tötete der Amokfahrer seine Schwester. Sein Schwager starb später an den erlittenen Verletzungen.

Freispruch des Amokfahrers wäre "Horrorvision"

In dem neuen Prozess wird eine andere Kammer des Landgerichts Trier prüfen, ob der Amokfahrer schuldfähig war oder am Ende sogar freigesprochen werden muss. Selbst bei einem Freispruch käme der Angeklagte aber sehr wahrscheinlich nicht frei. Denn das Gericht hat dann die Möglichkeit, ihn in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen.

Das Wichtigste für mich ist, dass dieser Mensch nie mehr rauskommt - egal wo.

Aber allein die Vorstellung, dass der Täter am Ende strafrechtlich freigesprochen wird, sei für ihn eine "Horrorvision", so Hilsemer. "Das Wichtigste für mich ist, dass dieser Mensch nie mehr rauskommt - egal wo."

Sein Rechtsanwalt habe in seinem Plädoyer zu dem Angeklagten gesagt: "Sie werden Ihre Augen entweder im Gefängnis oder in der Psychiatrie schließen." Wenn es so kommt, sei das für ihn eine Befriedigung, so Hilsemer.

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