Ein Herz aus Kerzen für eine junge Frau, die der Amokfahrer in Trier tötete. Vor dem Landgericht Trier wird die Revision verhandelt. Nach dem Urteil zur Amokfahrt wird der Prozess in Teilen also neu aufgerollt. (Foto: dpa Bildfunk, Harald Tittel)

Landgericht Trier verhandelt erneut

Revision Amokprozess: Für Betroffene in Trier bleibt die Frage nach dem "Warum"

Stand

Am Landgericht Trier beginnt kommende Woche der Revisionsprozess zur Trierer Amokfahrt. Es wird eine emotionalen Belastung für Betroffene, sagt die Stiftung Katastrophennachsorge.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte die Revision zugelassen. Er hatte bemängelt, dass das Landgericht Trier die verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht ausreichend geprüft habe.

Bernd Steinmetz betreut Hinterbliebene und Angehörige. SWR Aktuell hat mit ihm darüber gesprochen, wie das neue Verfahren die Betroffenen der Amokfahrt belastet und wie sie damit umgehen.

SWR Aktuell: Was hat die Nachricht, dass der Bundesgerichtshof die Revision zugelassen hat, bei den Betroffenen ausgelöst?

Bernd Steinmetz: Für manche ist es eher eine Verunsicherung. Andere haben versucht, eine Distanz zu dem Prozess und der Tat herzustellen. Aber für den Großteil würde ich doch sagen, dass es die Betroffenen aufgewühlt hat.

Wir haben deshalb noch Anfang Februar, also vor dem Prozess, ein Nachsorge-Treffen angeboten. Gut ein Dutzend der Betroffenen haben das angenommen. Das waren sowohl Hinterbliebene, die Angehörige verloren haben, als auch traumatisierte Augenzeugen.

Trier

Gedenktag in Trier SWR-Reportage über Amokfahrt von Trier

Der SWR-Filmemacher Jürgen Schmidt hat sich mit Augenzeugen, Ersthelfern und Angehörigen von Opfern der Trierer Amokfahrt getroffen und sie interviewt. Die 45-minütige Reportage ist ab sofort in der ARD-Mediathek zu sehen.

Und das war wichtig, zu diesem Zeitpunkt das anbieten zu können, noch vor dem Prozess, aber auch in der Distanz zum Gedenktag am 1. Dezember, als die Nachricht der Revision die Angehörigen erreichte.

Das hat die Betroffenen in der Verarbeitung um ein Jahr zurückgeworfen.

SWR Aktuell: Wie gehen die Betroffenen damit um?

Bernd Steinmetz: In der jetzigen Situation ist es für die Betroffenen eher die Frage: Was bedeutet jetzt dieser Prozess in ihrer Verarbeitung? Man kann sagen, da sind sie ein Jahr zurückgeworfen. Also das heißt, das Ende des ersten Verfahrens war wie ein Meilenstein, denn in dem Moment war eine Etappe abgeschlossen. Die Betroffenen konnten sich danach mehr der individuellen Trauerverarbeitung widmen. Und das wurde jetzt aufgerührt. Wir sind jetzt quasi wieder auf den Zeitpunkt zurückgegangen.

SWR Aktuell: Wie kann die Nachsorge dabei den Betroffenen helfen?

Bernd Steinmetz: Für uns in der Nachsorge war es wichtig, ein Stück der Entlastung insofern anzubieten, das für sie gut einzuordnen ist, was jetzt passieren kann. Und dazu hatten wir einen Rechtsanwalt über den Weißen Ring eingeladen. Er stand Rede und Antwort und konnte wenigstens in einigen Teilen beruhigen.

Bernd Steinmetz kümmert sich für die Stiftung Katastrophennachsorge um Betroffene nach der Amokfahrt. Er sagt, für sie ist das Revisionsverfahren eine emotionale Belastung. Vor dem Landgericht Trier wird die Revision verhandelt. Nach dem Urteil zur Amokfahrt wird der Prozess in Teilen also neu aufgerollt. (Foto: SWR)
Bernd Steinmetz kümmert sich für die Stiftung Katastrophennachsorge um Betroffene nach der Amokfahrt. Er sagt, für sie ist das Revisionsverfahren eine emotionale Belastung.

Für viele Betroffene ist es eine Entlastung, dass sie wissen, es wird nicht mehr alles aufgerollt.

Das betrifft die sogenannten Tatmerkmale, die unwidersprochen sind. Da hat der BGH keinen Prüfungsauftrag erteilt. Aber er hat erklärt, was jetzt zu prüfen ist.

Das ist die Frage der Schuldfähigkeit in Kombination mit dem Alkohol bei allen Tatmerkmalen. Es gab ja mehrere Morde, die vorgeworfen werden und ob das wirklich bei allen ausreichend geprüft worden ist. Und das bedeutet:

Es liegt wirklich der Fokus ganz auf dem Täter, was dann auch legitim ist, was Zeugen entlastet, die noch etwas zur Tat sagen müssten. Das ist also für viele der Betroffenen auch eine Entlastung, dass sie wissen, das wird nicht mehr aufgerollt.

SWR Aktuell: Aber wie stark fühlen sich die Betroffenen durch den Prozess belastet?

Bernd Steinmetz: Diejenigen, die den Weg der Nebenklage beschritten haben, sind durch ihre Anwälte gut unterstützt. Trotzdem bedeutet es auch für diese Menschen, dass sie jetzt wieder voraussichtlich bis zum Mai Termine auf Gericht verbringen werden und auch wieder das ganze Geschehen damit vor dem inneren Auge erleben werden.

Einige der Betroffenen sind sehr froh, dass sie nicht mehr vor Gericht müssen.

Denn sie haben ihren getöteten Familienmitgliedern versprochen, dass sie den Prozess bis zur Bestrafung des Täters verfolgen werden. Ich habe es bei einigen wie einen Schwur gehört, dass dies der letzte Dienst ist für ihre getöteten Angehörigen. Für die Menschen bleibt es natürlich eine Riesenbelastung. Und andere sind sehr froh, dass sie nicht mehr vor Gericht müssen, weil sie nicht als Zeuge gefragt werden. Und sie werden auch nicht hingehen, um den Prozessverlauf zu beobachten.

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Für alle gemeinsam kommt aber auch wieder die Frage nach dem Warum auf. Es gibt ja kein rationales Motiv für so eine Gewalttat. Und trotzdem kommt für die Betroffenen die Frage auf - Warum wurde ich verletzt? Warum musste das überhaupt geschehen? Konnte man das nicht verhindern? Diese Frage steht jetzt bei allen über der Revision. Das wird sie begleiten bis zum Ende des Prozesses, obwohl sie ja keine Antwort erwarten können.

Das andere, was sehr stark auch eine Sorge war: Wird sich der Angeklagte, also der Täter, besserstellen? Eine Revision hat ja auch das Ziel, dass ich ein anderes Strafmaß bekomme. Und das ist jetzt natürlich vorab nicht abzuschätzen. Das ist die Verunsicherung. Der Jurist sagte, das Gutachten werde zeigen, ob der Täter möglicherweise schuldunfähig ist. Das würde aber vermutlich aufgrund der Schwere der Tat nicht bedeuten, dass der Täter auf freien Fuß kommt.

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SWR Aktuell: Welche Gefühle der Betroffenen und Hinterbliebenen haben Sie erlebt, dass nochmals verhandelt werden wird?

Bernd Steinmetz: Ärger und Wut habe ich erlebt. Das hat sich aber weniger auf die Hauptverhandlung bezogen, weil die Beteiligten die Verhandlung als gründlich erlebt haben. Für juristische Laien, die die Betroffenen ja sind, haben sie den Prozess als akribisch wahrgenommen. Sie haben ja auch die Urteilsbegründung bekommen, als Nebenklägerinnen oder Nebenkläger, wie die einzelnen Tatmerkmale beschrieben waren. Und sie haben auch das Gutachten zum Täter bekommen.

Insofern ist es weniger ein Ärger auf dieses Urteil, dass das nochmals in Revision geht. Sondern es ist wirklich ein Ärger, dass überhaupt noch mal ein Prozess beginnt, wo aus Sicht der Betroffenen eigentlich alles geklärt ist.

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SWR Aktuell: Sie treffen sich regelmäßig zur Nachsorge. Wie werden die Betroffenen noch unterstützt?

Bernd Steinmetz: Wir werden noch während des Prozesses ein weiteres Treffen anbieten. Das ist besonders für diejenigen wichtig, die den Prozess nicht begleiten wollen oder können. Außerdem werden an jedem Verhandlungstag der Landesopferbeauftragte und ich vor Ort sein, um die Angehörigen zu begleiten. Es gibt für sie dann die Möglichkeit, kurz nach der Verhandlung mit uns zu sprechen. Das hat sich beim ersten Prozess als sehr sinnvoll erwiesen.

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