Ein Kranz steht für die Opfer einer Amokfahrt vor drei Jahren an der Gedenktafel neben der Porta Nigra. Bei der Amokfahrt am 1. Dezember 2020 war ein Mann mit seinem Geländewagen durch die Fußgängerzone gerast. Fünf Menschen starben, zahlreiche weitere Menschen wurden verletzt und traumatisiert. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/dpa | Harald Tittel)

Bekanntgabe am 3. Jahrestag der Katastrophe

Wie geht es Betroffenen der Amokfahrt Trier nach BGH-Urteil

Stand

Es sollte ein stilles Gedenken der Betroffenen sein, am dritten Jahrestag der Amokfahrt. Dann kam die Nachricht, dass der BGH den Prozess teils neu aufrollen lassen will.

Bernd Steinmetz betreut für die Stiftung Katastrophen-Nachsorge Angehörige von Opfern und Augenzeugen der Amokfahrt. Er hat noch am Freitag mit einigen Betroffenen gesprochen, als die Nachricht kam, dass der Bundesgerichtshof das Urteil nach dem Prozess Amokfahrt teils neu aufrollen lassen will.

SWR Aktuell: Herr Steinmetz, wie haben die Angehörigen auf diese Nachricht reagiert, die ja ausgerechnet am dritten Jahrestag kam?

Bernd Steinmetz: Das war am Nachmittag, nach dem stillen Gedenken und dem Glockengeläut. Wir hatten gemerkt, es war für die Angehörigen ein Tag, wo die Verarbeitung ein Stück weitergegangen ist. Dann die Nachricht, dass der BGH die Revision fordert. Für uns war es schwierig, weil wir da nicht mehr mit allen Betroffenen sprechen konnten. Aber die erste Reaktion von einigen Betroffenen, mit denen wir Einzelgespräche hatten, war Unverständnis. Gerade an dem Tag fanden sie es unsensibel, unpassend und völlig unüberlegt. Ein Hinterbliebener sagte wörtlich zu mir: Das löst Wut und Trauer in mir aus. Es ist einfach pietätslos.

Unklar wie es weiter geht

SWR Aktuell: Wie können Sie den Angehörigen und Augenzeugen jetzt helfen?

Steinmetz: Wir hatten ja damals den Prozess als Meilenstein in der Verarbeitung bezeichnet. Dieser Meilenstein rückt jetzt beiseite und es entsteht so eine Art Loch der Verunsicherung. Wir selbst können auch nicht einordnen, was es genau bedeutet und wie das Landgericht den Prozess genau gestalten wird. In der Folge werden wir die Menschen, die mit uns in Kontakt stehen, so gut es geht informieren. Damit sie es sachlich einordnen können.

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Betroffene müssen umfassend informiert werden

Die erste Information ist ja laut BGH schon, dass das Tatgeschehen nicht mehr rekonstruiert werden muss. Sondern es geht speziell um die Psyche des Täters. Aber als Nicht-Juristen können wir nicht gut beurteilen, was das heißt.

Daher ist Information für die Betroffenen wichtig von einer Stelle, zu der sie Vertrauen haben. Da sind die Betroffenen, die Nebenkläger sind, im Vorteil. Sie werden von ihrem Nebenklage-Anwalt gut begleitet. Aber nicht jeder Traumatisierte ist in die Nebenklage gegangen und braucht daher Information und auch Begleitung.

Bernd Steinmetz betreut für die Stiftung Katastrophennachsorge Hinterbliebene und Augenzeugen der Amokfahrt in Trier. (Foto: SWR, Jutta Horn)
Bernd Steinmetz betreut für die Stiftung Katastrophennachsorge Hinterbliebene und Augenzeugen der Amokfahrt in Trier.

Für die Hinterbliebenen bedeutet es, sie werden jetzt wieder neu, mit allen psychischen Belastungen, am Prozess teilnehmen.

SWR Aktuell: Was bedeutet es für die Angehörigen und Augenzeugen, wenn der neue Prozess startet?

Steinmetz: Gerade bei den Hinterbliebenen, von denen ein Angehöriger oder eine Angehörige ermordet wurde, die haben den Opfern fast so etwas wie ein stilles Versprechen gegeben, alles bis zum Urteil zu begleiten. Damit die Schuld, die ihnen angetan wurde, auch gesühnt wird. Für die Hinterbliebenen bedeutet es, sie werden jetzt wieder neu, mit allen psychischen Belastungen, am Prozess teilnehmen.

Für Andere ist es die Angst: Muss ich jetzt wieder als Zeugin oder Zeuge aussagen? Da ist es so, dass unser Rechtssystem auf Traumata gar nicht vorbereitet ist.

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SWR Aktuell: Welche Folge hat das für die Betroffenen?

Steinmetz: Unser System versucht, eine Tat zu versachlichen. Emotionen sollen draußen bleiben. Das ist ja auch gut und richtig bei "normalen" Taten. Aber wenn es um Traumatisierung geht: Sie ist in vielen Fällen trotz Therapie nicht nach drei Jahren abgeschlossen. Wenn es eine Traumatisierung ist, kann ich Gefühle nicht aussperren. Die werden durch die Erinnerung wie durch einen Flashback wieder aktiviert. Das heißt, das wird auch die Frage sein, wie diese Menschen begleitet werden, während des Prozesses. Damit das Trauma nicht wieder hochkommt.

Trauma kann jederzeit hochkommen

Jede Situation, wo jemand unvorbereitet etwas sagen muss, was ihm oder ihr schwer fällt, weil er oder sie dann in diese Situation hineingeht. Ohne dass der Mensch von einer Vertrauensperson begleitet wird, die ihn stützt, wo er sich auf stabilen Boden befindet - dann taucht er in dieses Geschehen wieder ein.

SWR Aktuell: Das Gericht geht nach formalen Kriterien vor. Wo müsste man mal hinschauen, wenn es um traumatisierte Menschen geht?

Steinmetz: Ja, das habe ich über die Begleitung des Prozesses erfahren müssen, dass wir da eher am Anfang stehen. Dass Traumatisierung gar nicht gesehen wird, zum Beispiel in der Strafprozess-Ordnung. Ich nenne mal ein Beispiel: Wenn jemand als Zeuge geladen wird, dann liest er auf dieser Ladung fett gedruckt, was alles passiert, wenn er nicht vor Gericht erscheint. Danach kommt ein kleiner Absatz, den die Betroffenen, mit denen ich gesprochen habe, überhaupt nicht gesehen haben. Also da gibt es einen kleinen Hinweis, eine Telefonnummer für diejenigen, die eine Aussage besonders belastet, um dann begleitet zu werden.

Das macht dann der Weiße Ring. Aber so etwas ist nicht automatisch vom Gericht vorgesehen. Dabei ist es eine sehr große Herausforderung, als Traumatisierter vor Gericht aussagen zu müssen. Bei aller Feinfühligkeit der Richter. Das ist nicht das Thema. Die Situation wird nicht richtig eingeschätzt vom System.

Erneute Nachsorge-Treffen geplant

SWR Aktuell: Was können Sie denn tun für die Angehörigen im Hinblick auf den zweiten Prozess?

Steinmetz: Als der erste Prozess damals begonnen hat, haben wir im Vorfeld ein Nachsorge-Treffen angeboten. Diese Treffen sind ja immer offen für alle Betroffenen, keiner muss sich verpflichten. Jeder von ihnen kann dazukommen. Wir haben damals gemeinsam mit dem Weißen Ring, einem Anwalt und der Polizei darüber informiert, was das jetzt bedeutet, wenn der Prozess eröffnet wird. Und wir werden das jetzt mit der Revision, sobald der Zeitplan des Landgerichts steht, nochmals anbieten. Wir denken, dass das sinnvoll ist.

Es sind starke Emotionen dabei, die vor Gericht keinen Platz finden werden. Aber wenn die Menschen gut informiert sind, welche unterschiedlichen Denkweisen die Systeme ausmachen, also Strafprozess und psychosoziale Begleitung, können sie leichter damit umgehen.

Außerdem hat der Landesopfer-Beauftragte in Rheinland-Pfalz einen direkten Draht zum Gericht und wird in Kontakt treten. Wir gehen davon aus, dass auch geschaut wird, ob die Situation für Traumatisierte besser berücksichtigt werden kann.

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Hilfe ist immer noch gefragt

SWR Aktuell: Was haben Sie gelernt, dadurch dass Sie die Menschen so eng begleitet haben?

Wir können keine Hilfe anbieten für Menschen, die sie nicht anfragen. Aber wir müssen wach sein, wenn sie die Hilfe wollen, diesen Weg dann mit ihnen zu gehen. Im Prozess durften wir uns neben sie setzen. Das hat vielen Sicherheit gegeben. Der Prozess selbst hat mich zweierlei gelehrt:

Einmal, wie unterschiedlich die Menschen mit der Belastungssituation umgehen und wie wichtig es ist, in einem einfühlendem Verstehen, ihre konkrete Situation wahrzunehmen. Ihnen eine Brücke zu bauen. Das zweite ist: Die Gestaltung des Prozesses am Landgericht habe ich als sehr behutsam erlebt. Zum Beispiel das Richterkollegium aber auch Staatsanwaltschaft und Verteidigung, die in fast allen Fällen sehr empathisch mit den Zeugen umgegangen sind.

SWR Aktuell: Wie haben die Betroffenen den Prozess empfunden?

Steinmetz: Mir haben die Betroffenen zurückgemeldet, dass für sie eins kaum vorstellbar war: Die Psyche des Täters stand im Mittelpunkt. Er, der sich ja selbst gar nicht geäußert hat und im Saal wie ein Prozessbeobachter saß, als ob er mit der Tat als Angeklagter gar nichts zu tun gehabt hätte. Er hat sich während des Prozesses Notizen gemacht.

Erst, so die Beobachtung der Betroffenen, durch die Nebenklage-Anwälte kam das Leid überhaupt zum Ausdruck. Wären die nicht da gewesen, wäre es eine sehr formale Verhandlung gewesen, die nach einem bestimmten Muster abgearbeitet wurde.

Bei aller Kritik, die sich auf das Justiz-System und auch auf die konkrete Prozessführung bezieht, habe ich selbst auch so große Achtung für die akribische Arbeit des Gerichtes empfunden, dass ich mich entschieden habe, mich als Schöffe zu bewerben.

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SWR