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Flüchtlingsdrama „Me, we“ – Wem helfen die Helfer?

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AUTOR/IN
Julia Haungs

Wenn im europäischen Film von Flucht erzählt wird, dann zumeist aus der Perspektive der Flüchtenden. Der österreichische Film „Me, we“ von David Clay Diaz dreht die Perspektive um und erzählt von vier Menschen, die helfen wollen, an ihre Grenzen stoßen und problematische Entscheidungen treffen. Ein starker und differenzierter Film, findet SWR2 Filmkritikerin Julia Haungs, und keinesfalls eine billige Abrechnung mit dem „Gutmenschentum“.

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Moralischer Anspruch und Realität klaffen auseinander

Gerald leitet mit viel Engagement ein Wiener Flüchtlingsheim, das von der Schließung bedroht ist. Die Redakteurin Petra adoptiert den minderjährigen Flüchtling Mohammed aus Syrien und kümmert sich um dessen Integration. Die Studentin Marie geht als Freiwillige nach Griechenland, um Menschen aus dem Mittelmeer zu retten. All diese Vorhaben entpuppen sich als schwieriger denn gedacht.

 

Alle wollen helfen, aber warum und wie geht das?

Die vier Protagnist*innen wollen helfen, haben sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was das heißt und wem hier eigentlich geholfen werden muss. Vor allem die vierte Geschichte des Episodenfilms „Me, we“ bekommt eine andere Stoßrichtung. Während sich Gerald, Marie und Petra für Flüchtlinge engagieren, hat der halbstarke Marcel das Gefühl, er muss österreichische Mädchen vor vermeintlich übergriffigen Migranten beschützen. Zusammen mit ein paar Kumpels gründet er „Die Schutzengel“, einen Begleitschutz für Frauen.

Auch die Helfer sind in ihren Vorurteilen gefangen

Regisseur David Clay Diaz stellt die Geschichten gleichberechtigt nebeneinander, ohne das Verhalten der Charaktere zu bewerten. Mit einer genauen Beobachtungsgabe für die kleinen Gesten und Zwischentöne erzählt er davon, wie schwierig das gesellschaftliche Mammutprojekt Integration nach wie vor ist. Gleichzeitig zeigt er, wie selbst diejenigen, die helfen wollen, in ihren Vorurteilen und Wertvorstellungen gefangen sind. Eine Begegnung auf Augenhöhe findet im Grunde in keiner der Geschichten statt.

Keine Abrechnung mit dem „Gutmenschentum“

Je länger der Film geht, desto klarer wird, wieviel Macht die Helfenden über diejenigen haben, von denen sie im Gegenzug Dankbarkeit und Wohlverhalten einfordern. Selten ist das Helfen so selbstlos, wie es auf den ersten Blick wirkt. Dennoch ist der Film keine Abrechnung mit dem, was von rechten Kräften als „Gutmenschentum“ abgetan wird.

„Me, we“ ist eine Sammlung genauer Charakterstudien und wirft einen schmerzhaft genauen Blick auf eine gesellschaftliche Realität, die ein Großteil der Bevölkerung erfolgreich von sich fernhält, während andere, die Position beziehen, daran verzweifeln.

Dass die Handlung ausgerechnet vor dem Hintergrund der Fußball-Europameisterschaft 2020 spielt, gehört zur feinen Ironie dieses starken Films: ein Europa, das sich selbst für ein länderüberspannendes Turnier feiert, während es gleichzeitig die Außengrenzen dicht macht.

Trailer „Me, we“, ab 6.10. im Kino

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