Trickfilmfestival Stuttgart

„Charlotte“: Animationsfilm über die von den Nazis getötete Künstlerin Charlotte Salomon

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Sophia Volkhardt
Sophia Volkhardt (Foto: SWR, Patricia Neligan)

„Sorg‘ gut dafür, es ist mein ganzes Leben“, sagt Charlotte Salomon, als sie ihr Werk „Leben? Oder Theater? Ein Singspiel“ einem Freund übergibt – kurz bevor sie und ihr Mann verraten und nach Ausschwitz deportiert werden. Der Animationsfilm „Charlotte“, der beim Trickfilmfestival Stuttgart gezeigt wird, würdigt die Künstlerin und ihr Werk im besonderen Maße.

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Charlotte Salomon malt ihr eigenes Vermächtnis

Tahir Rana, einer der beiden Regisseure, hatte vor Beginn des Projekts noch nie von der Künstlerin gehört. Als er sich mit ihrem Werk beschäftigte, wusste er aber sofort, dass er diesen Film machen muss.

„Sie war so entschlossen, ihr Vermächtnis als Künstlerin zu hinterlassen, damit eines Tages künftige Generationen von ihr wissen. Und ich denke, ein solches Maß an Beharrlichkeit angesichts der ultimativen Unterdrückung ist unglaublich inspirierend.“

Im französischen Exil arbeitet sie wie eine Besessene

Es ist nicht nur das grauenhafte Schicksal einer jungen deutschen Jüdin – Charlottes Leben ist auch gezeichnet von einer Familientragödie, von Suiziden in der Familie, Lebenslügen und dem unbändigen Wunsch, Künstlerin zu sein gegen alle Widerstände. An der Kunstschule hat sie es schwer und muss schließlich gehen. 

Im Exil in Frankreich malt sie wie eine Besessene. In ihrem Werk sehen viele eine der ersten Graphic Novels. Es ist Ausdruck von Charlottes Aufbegehren gegen das eigene Schicksal, gegen die Ohnmacht und den Schmerz. Kühne, skizzenhaft und oft hastige Szenen – so als habe sie geahnt, wie wenig Zeit ihr noch bleiben würde.

Zwischen 1940 und 1942 entsteht ihr Werkzyklus „Leben? Oder Theater?“

Sie sagt, sie könne sich entweder das Leben nehmen oder etwas Verrücktes machen und ihr ganzes Leben aufmalen. Sie entscheidet sich für den Pinsel.

Zwischen 1940 und 1942 entsteht das Mammutwerk, in dem sie unterschiedliche Genres mischt. Die Darstellungen ihres Erlebten sind subjektiv, aber durchaus auch distanziert reflektiert. Dazu schreibt sie kurze Sätze, mit denen sie die Szenen umreist wie Erinnerungsstützen.

Ihren Stil in den Film einzubinden, war nicht leicht, sagt Tahir Rana: „Unsere ursprüngliche Idee war, Charlottes eigenen Malstil als Grundlage für die Entwicklung der Figuren zu benutzen. Aber wir haben gemerkt, dass das nicht der beste Weg ist, weil Charlottes Stil so expressionistisch ist. Wir hielten es für wichtig, die Nuancen und Feinheiten durch eine anatomisch realistischere Darstellung und Gestaltung zu vermitteln.“

Charlotte Salomons Bilder entstehen im Film sukzessive

Aber die Macher wollten sichergehen, dass ihr Werk immer wieder in den Film einfließt. Darum wurden mehrere ihrer Bilder als eine Art Übergang genutzt, die von einer Erzählung zur nächsten Führen. Die Idee war, die Bilder so zum Leben zu erwecken. Das Publikum sieht, wie das Gemälde vor ihren Augen entsteht, um auch ihre Technik greifbar zu machen.

Bilder vom Tod der Mutter, von den aufmarschierenden Nazis – aber auch von der französischen Landschaft im Exil. Charlotte schreibt im Nachwort ihres Werkzyklus, sie sehe und spüre die Schönheit um sich herum, das Meer, die Sonne. Sie habe mit ihrer Arbeit „ihre Welt neu erschaffen wollen“, sagt sie. Charlottes Vater und ihre Stiefmutter überleben den Holocaust, das Werk der Tochter, ihr Leben, findet Jahre später zu ihnen zurück.

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Der Animationsfilm würdigt die Künstlerin in besonderem Maße

Es ist das bemerkenswerte Vermächtnis einer Künstlerin, die mit 26 Jahren in Ausschwitz ermordet wird – sie ist im 5. Monat schwanger und hatte wohl bis zuletzt doch noch die vage Hoffnung, dass die schreckliche Gegenwart nur ein absurdes Spiel sein könnte, das ein gutes Ende findet.

Obwohl schon mehrere Filme über Charlotte Salomon entstanden sind, würdigt der Animationsfilm die Künstlerin und ihr Werk im besonderen Maße, indem er die Bilder, in denen sie ihr Leben erzählt, sozusagen doppelt.