Ein Frauenschicksal zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Traditionsbewusstsein und Aufbruchsgeist, Strenge und Leidenschaft erzeugen eine unheilvolle Spannung in Maria Messinas Roman „Eine Blume, die nicht blühte“ aus dem Jahr 1923, der nun gleich in zwei Übersetzungen zu entdecken ist.
Wer sich fleißig durch die letzten Jahrhunderte Literaturgeschichte bewegt, wird einer Spezies von Autoren eher selten begegnen: den weiblichen. Nicht dass schreibende Frauen gänzlich inexistent gewesen wären. Nur fanden sie selten Eingang in den Kanon.
Erst in der jüngsten Vergangenheit werden längst vergessene Autorinnen häufiger in ein helles Licht gerückt, gewürdigt durch Neuveröffentlichungen oder erstmalige Übersetzungen. Die Friedenauer Presse hat uns im Frühjahr mit Maria Messina bekannt gemacht, einer 1887 in Palermo geborenen Erzählerin, die auch in Italien vergessen war, bis ihr sizilianischer Landsmann Leonardo Sciascia in den frühen Achtzigern auf sie aufmerksam machte.
Nun folgt nach „Das Haus in der Gasse“ ihr 1923 erstmals erschienener Roman „Un fiore che non fiorì“, in dem eine junge, zunächst eigensinnig wirkende Frau doch ganz klassisch die Liebe sucht, an den bürgerlichen Konventionen ihrer Zeit verzweifelt und an der Unerfülltheit ihrer Leidenschaft buchstäblich zugrunde geht.
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Maria Messina hat mit „Das Haus in der Gasse“ einen sprachlich so makellosen Roman geschrieben, dass man mit jeder Zeile das Gefühl hat, Weltliteratur zu lesen.
Ein Buch, zwei Übersetzungen
Das Besondere: Es liegen nun gleich zwei Übersetzungen des Romans vor. Christiane Pöhlmanns bei der Friedenauer Presse vorgelegte Übersetzung heißt „Eine Blume ohne Blüte“; jene von Leopold Federmair bei PalmArtPress „Eine Blume, die nicht blühte“. Der eine Titel nimmt sich eine größere poetische Freiheit; der andere hält sich an die ursprüngliche Relativsatz-Konstruktion. Auch der erste Satz des Buches hat in den deutschen Versionen zwei Varianten:
So bei Christiane Pöhlmann. Bei Leopold Federmair lautet er hingegen:
Kreuzdämliche Romantiker
Was sich hier schon andeutet, zieht sich durch das Buch: Pöhlmanns Übersetzung ist spielerischer, entfernt sich zwar nicht vom Original, aber interpretiert es freier und ausdrucksvoller. Federmair bleibt näher am Text, wirkt aber zugleich auch ein bisschen braver. Es ließen sich viele Stellen finden, die das belegen, nur zwei seien zitiert. Pöhlmann: Nun allerdings trottete er mit dem Kopf voran, als trüge er seine Gedanken huckepack. Und bei Federmair: Er ging mit nach vorne gerecktem Kopf, als trüge er die Gedanken auf seiner Schulter.
Pöhlmann: Und die Bewunderer im Klub oder beim Tennis – die um keinen Preis als »kreuzdämliche Romantiker« abgestempelt werden wollten – stellten sich mit ihr in einer Weise auf freundschaftlichen Fuß, als wäre sie ein junger Mann.
Federmair: (…) die Bewunderer vom Club und vom Tennis wiederum behandelten sie – um nicht als „dümmliche Romantiker“ zu gelten – auf saloppe Art und Weise, ganz so, als wäre sie ein junger Mann.
Konventionen hinter sich lassen
Beide Übersetzungen sind gelungen – wenngleich jene von Pöhlmann der Geschichte der für ihre Zeit ziemlich emanzipierten Franca gerechter zu werden scheint, ihre Keckheit und ihre Regelverstöße stärker in der Sprache zum Klingen bringt.
Aus der Perspektive von Franca ist der Roman zum allergrößten Teil erzählt: Sie wächst bei ihrer Tante in einer Kleinstadt bei Florenz auf, ihr Vater lässt ihr gehörige Freiheiten – allerdings nur bis zu einer gewissen Grenze der Schicklichkeit.
Mit ihren Freundinnen bildet sie eine verschworene Gemeinschaft; zumindest so lange nicht der Ernst des Lebens droht. Der bedeutete auch in den 1920er Jahren: heiraten, Kinder kriegen, einem Mann treu ergeben sein – genau die faschistische Ideologie, die in der Entstehungszeit des Romans die Gesellschaft prägte. Franca sträubt sich einerseits dagegen – und wird zugleich von der Liebe zum Sizilianer Stefano in einen Strudel von Begehren und Zweifel gerissen.
Dieser Stefano allerdings scheint einer Welt verhaftet, die sie eigentlich hinter sich lassen will. Dass Messina ihrer Heldin zwar Eigensinn zugesteht, sie aber dann doch auf gewisse Weise zum Opfer überkommener Vorstellungen macht, mag man bedauern. Aber auch das ist ein Statement: Messina beschreibt einen Kampf um ein selbstbestimmtes Leben, der noch ganz am Anfang stand.
Von diesen Anfängen heute sogar in zwei Übersetzungen einer fast vergessenen Autorin lesen zu können, zeigt: Der feministische Kampf ist zumindest in Teilen erfolgreich weitergegangen.
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