Was kann man gegen wachsende soziale Ungleichheit tun? Diese Frage erörtern der französische Ökonom Thomas Piketty und der amerikanische Philosoph Michel Sandel in dem Buch „Die Kämpfe der Zukunft. Gleichheit und Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert.“
Gespräche zwischen Experten bieten die Möglichkeit, komplizierte Forschungsergebnisse in geraffter und verständlicher Form für ein größeres Publikum zugänglich zu machen. Genau das macht den Reiz des im Verlag C.H. Beck erschienenen Buches „Die Kämpfe der Zukunft. Gleichheit und Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert“ des französischen Ökonomen Thomas Piketty und des amerikanischen Philosophen Michael Sandel aus.
Leider fehlt dem Buch eine Einleitung, die die beiden Gesprächsteilnehmer und die Grundzüge ihrer akademischen Arbeit vorstellt.
Wie wachsende Ungleichheit bekämpfen?
Dennoch kann man ihrer Diskussion über die Frage, wie man die wachsende soziale Ungleichheit im gegenwärtigen Kapitalismus bekämpfen kann, gut folgen. In der Diagnose sind sich die zwei Linksintellektuellen im Wesentlichen einig: In Europa vereinen die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung ein Drittel aller Einkommen und die Hälfte des Vermögens auf sich. Das droht die Gesellschaft dauerhaft zu spalten und ihre demokratischen Ideale zu diskreditieren.
Der Sozialstaat wird immer mehr abgebaut, die entfesselte neoliberale Marktlogik höhlt das Gemeinwesen und den Gemeinsinn aus. Was kann man dagegen tun? Piketty plädiert vor allem für höhere progressive Einkommenssteuern und erinnert daran, dass Deutschland, Frankreich, aber auch die USA über Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts einen Spitzensteuersatz von 80-90 Prozent hatten:
Den US-Kapitalismus hat das offenbar nicht ruiniert, ganz im Gegenteil war doch die Produktivität der US-Wirtschaft, gemessen am Nationaleinkommen pro Arbeitsstunde, in diesem Zeitraum die höchste der Welt.
Eine radikal andere Steuerpolitik soll soziale Ungleichheit reduzieren und ein Gefühl der Gerechtigkeit in der Gesellschaft und damit die Legitimität der Demokratie wiederherstellen, die unterminiert wird, wenn eine wachsende Kaste von Superreichen sich den Verpflichtungen der Solidarität entzieht. Steuererhöhungen für Reiche, höhere Erbschaftssteuern und ein Ausbau des Sozialstaates könnten, so Pikettys Hoffnung, einen „partizipativen demokratischen Sozialismus“ begründen.
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Mehr Mitbestimmungsrechte für Arbeitnehmer
Nötig seien neben höheren Steuersätzen mehr Mitbestimmungsrechte für Arbeitnehmer in den Unternehmen sowie mehr Mittel für ein öffentliches Bildungssystem, das den Aufstieg auch von sozial schwächeren Gruppen ermöglicht. Das alles klingt nach der lange bekannten Programmatik der Sozialdemokratie, und in der Tat fordert Piketty deren Neubelebung im internationalen Maßstab.
Die Globalisierung müsse stärker reguliert werden – zum Beispiel durch eine UN-Steuerkonvention oder eine Mindeststeuer auf OECD-Ebene. Damit könne auch der Aufschwung der rechtsnationalistischen nativistischen Populisten bekämpft werden, die auf die Exzesse eines neoliberalen Kapitalismus und die Verluste von Arbeitsplätzen mit Fremdenfeindlichkeit reagieren.
Eine Elite, die sich abkoppelt
Michael Sandel, der Piketty meistens zustimmt, widerspricht an diesem Punkt: Der Erfolg rechter Parteien sei nicht nur das Resultat ökonomischer Ungleichheit, sondern auch eines Mangels an Anerkennung durch eine sich abkoppelnde Elite, die eine Leistungsideologie pflegt und Menschen mit geringen Einkommen verachtet.
Die Diskussion zwischen Thomas Piketty und Michael Sandel über „Gleichheit und Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert“ orientiert sich am Common Sense und ist, auch weil auf akademische Terminologie weitgehend verzichtet wird, absolut nachvollziehbar.
Allerdings hätte man sich als zusätzlichen Dialog-Teilnehmer einen schlagkräftigen Befürworter der neoliberalen Ordnung gewünscht, auch um verständlich zu machen, warum eigentlich die guten Argumente für einen demokratischen Sozialismus so wenig öffentliche Resonanz und Unterstützung finden.
Mehr Literatur zum Thema soziale Ungleichheit
Buchkritik Branko Milanovic - Kapitalismus global. Über die Zukunft des Systems, das die Welt beherrscht
Branko Milanovic, serbisch-amerikanischer Ökonom, hat sich bisher vor allem der Entwicklung sozialer Ungleichheit auf globaler Ebene gewidmet. Mit seinem neuen Buch „Kapitalismus global - Über die Zukunft des Systems, das die Welt beherrscht“ legt er nun eine Analyse der Globalisierung des Kapitalismus bis kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie vor. Im Zentrum stehen dabei ökonomische und technologische Triebkräfte – Kultur, Ethik und Religion verlieren für den Autor im Globalisierungsprozess an Bedeutung und erscheinen ihm nur noch als naives, realitätsfremdes Beiwerk im globalen kommerziellen Konkurrenzkampf. Hat der globale Kapitalismus auf dieser Basis eine Zukunft? Rezension von Ingo Zander. Aus dem Englischen von Stephan Gebauer Suhrkamp Verlag ISBN 978-3-518-42923-5 404 Seiten 26 Euro
Buchkritik Grégory Salle – Superyachten. Luxus und Stille im Kapitalozän
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Eine indische Taxifahrerin verliebt sich in eine reiche, weiße Sozialarbeiterin. Davon handelt Priya Guns' Debütroman "Dein Taxi ist da". Ein Buch über Klassismus, Rassismus, Sexualität, Armut und das Leben in verschiedenen Welten.
Rezension von Luisa Meise.
Aus dem Englischen von Mayela Gerhardt
Blumenbar Verlag, 329 Seiten, 23 Euro
ISBN 978-3-351-05112-9