Buchkritik

Eva Strasser – Wildhof

Stand

Von Autor/in Leander Berger

Der Wald ist ein bewährtes literarisches Gelände. Schönheit und Schrecken der Natur, befreites Alleinsein und ängstliche Einsamkeit liegen hier dicht an dicht. Mit ihrem Debüt „Wildhof“ schreibt sich Eva Strasser ein in die Tradition dunkel-magischer Waldliteratur.

Wildhof, das ist der Name eines fiktiven Schwarzwalddorfes. Stehen das Dorf und seine Bewohner in Eva Strassers Roman für die soziale Kontrolle, aber auch Geborgenheit der menschlichen Welt, herrschen im Wald und einem abseits gelegenen Haus die Gesetze der Natur und des Übernatürlichen.  

Durch das Küchenfenster sieht man auf moosdurchtränktes Gras, bis zu der kleinen buckligen Steinmauer am Ende des Gartens. Dahinter beginnt der Wald, dahinter beginnen die Berge. Hunderte Tannen drängen sich dicht an dicht und wuchern ungehindert den Hang hinauf. Die Tannen starren Tag und Nacht direkt ins Haus. Und sie stecken die Köpfe zusammen und tuscheln. 

Vor zehn Jahren, an ihrem 18. Geburtstag, hat Lina den Ort ihrer Kindheit fluchtartig verlassen. Fern der Heimat hat sie sich in der Anonymität Berlins eine erfolgreiche Karriere in einem IT-Startup aufgebaut. Doch der plötzliche Unfalltod ihrer Eltern zwingt sie zur Rückkehr– das Begräbnis organisieren, das Haus verkaufen, schnell und ohne Sentimentalität. Denn Lina will diesem Ort endgültig den Rücken kehren. 

Getrieben von den Geistern der Vergangenheit 

Zurück in Wildhof stürzen die Erinnerungen auf sie ein. Als Lina im Garten an einem kleinen Glöckchen aus Kindertagen zieht, fällt sie in einen Abgrund aus Tönen, Gerüchen und Bildern ihrer Vergangenheit.  

Die Erinnerungen wollen rein, in ihr Leben, in ihren Körper, irgendwo weiterleben, dem Nichts entkommen. Sie flieht vor dem Baum zum Haus, ihr war nicht klar, dass sie fliehen muss, sie wusste nicht, dass der Baum eine Falle ist und welche Macht er hat, sie muss das Seil abschneiden. Oder gleich den Baum fällen. Das ganze Haus abreißen lassen. Weg damit. 

Kindheit, das ist für Lina gleichbedeutend mit Luise. Jede Erinnerung an Glück, jedes Gefühl von Schmerz kreist um ihre Zwillingsschwester, die mit 13 Jahren spurlos und für immer im Wald verschwand.  

Roman oder Sonntagabendkrimi?  

Beim Lesen dieses Buches entsteht ein Gefühl wie bei einer Fernsehserie: Man will dranbleiben, wissen wie es mit Lina und Luise weitergeht – und fühlt sich gleichzeitig chronisch unterfordert. Dem Text ist das Handwerkszeug seiner Autorin anzumerken: Strasser schreibt Drehbücher, unter anderem für Krimi-Serien.

Wäre „Wildhof“ ein Film, wir würden es andauernd im Unterholz rascheln hören, vermutlich auch Linas schnell gehenden Atem und ihren Herzschlag. Sogar der nette Polizist am Krankenhausbett, bekannt aus Sonntagabendkrimis, hat im Buch seinen Auftritt.

Der ganze Roman wirkt von Anfang bis Ende durchkonstruiert und gleichzeitig in seinem Übermaß an sinnlichen Eindrücken merkwürdig übersteuert.  

Klischees und schale Metaphern 

Linas Stadt- und Startup-Leben rückt im Laufe des Romans in immer größere Ferne. Einmal gerät sie dann doch in einen Videocall – und erhält im Anschluss begeisterte Chatnachrichten der Kollegen über das Interieur ihres Schwarzwaldhauses.   

Auf dem Handy schon die ersten Nachrichten aus der Firma, erst mal sorry für den Überfall, aber wie cool und retro und crazy war diese Uhr denn gerade bitte, wow, Daumen hoch, Hashtag Natur, Specht-Emoji. 

In Sätzen wie diesen oder der völlig holzschnittartigen Schilderung eines ignorant-eleganten Architektenpaares scheint das Buch für ein (fiktives) älteres und großstadtfernes Publikum geschrieben. Wenn in Lina aber das Animalische durchbricht, sie anfängt zu „knurren“ und zu „wittern“ und mit einem Fantasiewesen namens „Rehkönigin“ korrespondiert, dürften vor allem jugendliche Leser von Tier-Fantasy-Reihen wie Woodwalkers oder Animox auf ihre Kosten kommen.

Sie würden der Autorin vermutlich auch verzeihen, dass in ihrem Buch Glücksgefühle mit Schmetterlingen verglichen werden und Augen wahlweise „mit den Sternen um die Wette“ funkeln oder so „tief und dunkel“ sind „wie ein Waldsee“. 

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