75. Geburtstag – und trotzdem forever young: Die „Peanuts“ feiern Jubiläum. Joachim Kalka widmet sich in der Reclam-Reihe „100 Seiten“ dem berühmten Daily Strip.
Eine unscheinbare Kleinstadt im Mittleren Westen, die jährlich sich wiederholenden Rituale und Feste, Baseball, Schlittschuhfahren, Halloween und eine Schar von Kindern: der melancholische Charlie Brown, Linus mit seiner Schmusedecke, die durchtriebene Lucy, Schroeder mit seiner bedingungslosen Beethoven-Liebe, Charlie Browns Schwester Sally und Peppermint Patty – und nicht zu vergessen, der tagträumerische Hund Snoopy.
Legendärer „Daily Strip“ in den amerikanischen Zeitungen
Charles M. Schulz hat diese Charaktere geschaffen, und mit seinen „Peanuts“ den wahrscheinlich bedeutendsten Daily Strip der Geschichte. Über Jahrzehnte gehörte diese Comic-Serie zur täglichen Ausgabe amerikanischer Zeitungen wie der Politik- oder Wirtschaftsteil.
Und bald schon eroberten die „little folks“ die ganze Welt, nicht nur auf Papier, sondern auch in Fernsehen und Kino, auf T-Shirts oder Kaffeebechern.
Joachim Kalka hat vor einigen Jahren einen schmalen Essay über Schulz‘ Geniestreich verfasst. Nun, zum 75. Geburtstag der „Peanuts“, erscheint eine überarbeitete Ausgabe, die uns in diesen Kinderkosmos führt, der das ganze Universum und alle menschlichen Abgründe zu umfassen scheint, der in bewusst einfach gehaltenen Zeichnungen von der Conditio humana erzählt, von den Versagensgewissheiten des Allerweltsmenschen Charlie Brown bis zum grenzenlosen Narzissmus Lucys.
Einmal wird diese von Linus beim Blick in die Sterne gefragt, ob sie denn glaube, dass es irgendwo da draußen intelligente Wesen gebe. Und Lucy antwortet unwiderstehlich: „Nein! Wenn es welche gäbe, dann hätten sie zweifellos versucht, mit mir Kontakt aufzunehmen.“
Das grundlegende Thema der „Peanuts“ sei von Anfang an die Grausamkeit gewesen, die unter Kindern herrsche, hat Schultz einmal bekannt.
Dieser sehr liebevoll gezeichnete und von den Lesern geliebte Strip ist im Grunde von hochneurotischer Schwärze. Es handelt sich um ein düsteres Märchen vom fortwährenden Scheitern.
Groteske Einsicht ins unabänderliche Misslingen
Die Liebe – sie verläuft stets unglücklich. Das Weihnachtsfest – eine Verheißung, aber keine Erfüllung. Die Religion – eine skeptisch betrachtete Angelegenheit. Die Psychoanalyse – als Scharlatanerie enttarnt.
Erwachsene treten bei den „Peanuts“ nie in Erscheinung, und über die Jahrzehnte hinweg scheint die Zeit still zu stehen – wenn auch immer mal wieder Anspielungen auf zeitgenössische Phänomene auftauchen und das Fernsehen auch als Quell für Pointen allgegenwärtig ist.
Gerade aber die Einsicht ins unabänderliche Misslingen, rührt die Leserinnen und Leser seit Generationen, ja, sie tröstet sogar. Kalka spricht einmal von „komischer Schmerzhaftigkeit“. Das trifft es sehr gut. Etwa wenn sich Lucy von keiner noch so harschen Abfuhr ihres Angebeteten Schroeder beeindrucken lässt:
Lucy: „Du magst mich wohl nicht sehr?“ - Schroeder: „Nein. Ich habe Dich noch niemals gemocht, und ich bezweifle auch stark, dass sich Dich jemals mögen werde.“ - Lucy: „Aber das soll natürlich unserer späteren Heirat nicht im Wege stehen, gell Schröder?“
Kalkas große Kenntnis der verhandelten Themen und philosophischen Grundlagen
Was für Joachim Kalkas schmales „Peanuts“-Brevier einnimmt, ist zum einen seine große Kenntnis des Populärgenres Comic und die prägnante Abhandlung der in den Strips verhandelten Themen und philosophischen Grundlagen.
Zum anderen gelingt es ihm trotz der Kürze des Büchleins, sehr viele Szenen mit Charlie Brown, Snoopy und Co. in Erinnerung zu rufen, nachzuerzählen, pointiert zu übersetzen. So lässt sich vollkommen eintauchen in diese Welt, in der – wie Kalka schreibt – Kindheit sowohl aufgehoben wie auch restituiert wird.
Mehr Comics
Comicbuchpreis 2025 Comicbuchpreisträger*in Dominik Wendland – Zeichnen gegen den ständigen Anpassungsdruck
Dominik Wendlands Comic-Projekt „Immer alles anders“ besticht durch seine Originalität und Farbigkeit. Mit dem Comicbuchpreis wird das Projekt bis zur Fertigstellung unterstützt.
Beitrag Lilian Pithan (Hrsg.) – The Future is ... - 14 Comics über die Zukunft
In „The future is…“ beschreiben 14 Comic-Zeichnerinnen, wie sie sich die Welt in hundert Jahren vorstellen – mit KI, fremden Lebewesen oder als Unterwasserwelt nach der Apokalypse. Kurze, originelle Geschichten, die Spaß machen und zum Nachdenken anregen.
Carlsen Verlag, 128 Seiten, 25 Euro
ISBN 978-3-551-76018-0
Buchkritik Liv Strömquist – Das Orakel spricht
Liv Strömquist seziert in ihrem neuen Comic „Das Orakel spricht“ unsere postmoderne Suche nach Struktur und Sinn im Leben.
Rezension von Pia Masurczak
Buchkritik Uli Oesterle - Vatermilch. Die Irrfahrten des Rufus Himmelstoss
Auch abwesende Väter können anwesend sein. In den Köpfen ihrer vernachlässigten Kinder. Der Zeichner Uli Oesterle war so ein Kind. In seinem Comic "Vatermilch" entwirft er die fiktive Biographie seines Vaters, den er kaum kannte.
Rezension von Silke Merten.
Carlsen Verlag
ISBN 978-3-551-71158-8
128 Seiten
20 Euro