In ihrem sprachmächtigen Roman erzählt Ayana Mathis von zwei Frauen – Mutter und Tochter –, die in den 1980er Jahren in den USA für ein besseres Leben kämpfen.
Philadelphia im Jahr 1985: Der 11-jährige Toussaint und seine Mutter Ava sind am Tiefpunkt ihres bisherigen Lebens. Avas Mann hat sie aus dem gemeinsamen Haus geworfen, ohne Freunde und ohne Geld bleibt ihnen nur eine Obdachlosenunterkunft. Eine schäbige Bleibe, voller Kakerlaken, schlechtem Essen, missgünstiger Frauen. Ava weigert sich zwar, sich mit dieser Situation abzufinden. Aber sie ist müde vom steten Überlebenskampf.
Diesem Leben von Ava und Toussaint im Norden der USA stellt Ayana Mathis in „Am Flussufer ein Feuer“ in alternierenden Kapiteln den Kampf von Avas Mutter Dutchess in Alabama gegenüber. Sie lebt in dem fiktiven Ort Bonaparte, der historischen Siedlungen wie Freetown nachgebildet ist.
Seit Jahrzehnten leben dort Schwarze auf eigenem Land, selbstbestimmt und frei. Und genauso lange wird dieser Ort von Weißen bedroht. Mit Hass und Gewalt. Nun hat es ein von Weißen geführtes Unternehmen auf das Land der Menschen abgesehen. Aber Dutchess ist wie ihre Tochter Ava nicht bereit aufzugeben.
Preis der Selbstbestimmung
Philadelphia und Alabama, Ava und Dutchess, zwei Orte, zwei Figuren voller Gegensätzlichkeiten und Gemeinsamkeiten im Kampf um ein selbstbestimmtes Leben. Ava ist in Bonaparte aufgewachsen – einer Welt, in der Schwarze frei leben konnten.
Im Norden erfährt sie Rassismus und Demütigung, doch der Anspruch, ein Leben zu führen, in dem sie frei sein kann, steckt tief in ihr. Sie ist eine hochinteressante komplexe Figur, die fast in einer eigenen Realität lebt. Sie glaubt, sei eine gute Mutter – tatsächlich ist Toussaint einsam und verloren. Sie hält sich für unpolitisch,
Außer dass schon ihre Annahme, dass Schwarze Menschen frei sind und selbstbestimmt handeln, in den USA eine politische Aussage ist.
Hoffnungslosigkeit der 1980er Jahre
Avas und Toussaints Leben ändert sich erst, als Ava Toussaints Vater wiedertrifft: den charismatischen Arzt Cass. Einst ein Black Panther, ist er desillusioniert über die politische Gegenwart. Er gründet eine Gruppe namens Arc, die auf Autonomie, Selbstbestimmung und Gewalt setzt.
Mich interessiert wie jemand ein politischer Mensch wie Cass, der zielstrebig und hoffnungsvoll war, mit dem Scheitern dieser Bewegungen umgegangen ist. Wir haben so viel getan, viele von uns wurden getötet, eingesperrt. Und im Jahr 1985 gibt es Crack. Es gibt AIDS. Es gibt keine Sozialprogramme. Ronald Reagan ist Präsident.
Aus Utopien Hoffnung schöpfen
Ayana Mathis verknüpft ihre historisch-politische Analyse geschickt mit den persönlichen Kämpfen der facettenreichen Figuren. Überall finden sich historische Referenzen – allein Toussaints Name verweist schon auf Toussaint Louverture, den prominentesten Anführer der haitianischen Revolution.
Auch setzt sie dem Rassismus, dem Neoliberalismus und den Demütigungen in den 1980er Jahren mit Arc und Bonaparte zwei radikale Utopien entgegen, die auf historischen Vorbildern basieren.
Eine Utopie erinnert uns daran, dass es eine andere Möglichkeit gibt: Die Dinge waren nicht immer so, wie es uns erzählt wurden – und sie müssen so auch nicht immer bleiben. Es gibt Alternativen – nicht einfach nur Fantasien oder Träume – sondern Orte, die tatsächlich existiert haben. Egal, wie es mit ihnen ausgegangen ist.
Beide Utopien sind gescheitert. Aber dieser vielschichtige, kluge Roman erinnert daran, dass man den Kampf für eine bessere, eine gerechtere Welt fortführen sollte.
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