Der Ausbau der Windkraft in der Region Neckar-Alb - also in den Kreisen Tübingen, Reutlingen und Zollernalb - soll Fahrt aufnehmen. Das sorgt teilweise für heftige Diskussionen. In Pfronstetten (Kreis Reutlingen) steht ein Bürgerentscheid an, in Rottenburg nehmen Planungen Einfluss auf die OB-Wahl und in Starzach (Kreis Tübingen) ist der Protest unübersehbar. Eugen Höschele, Vorsitzender des Regionalverbands Neckar-Alb, fasst die Situation gegenüber dem SWR in einem Satz zusammen: "Die Windkraft hat das Potenzial, die Gesellschaft zu spalten."
In der Region Neckar-Alb hat der Regionalverband 40 Flächen für Windparks in Aussicht. Drei davon betreffen Pfronstetten, wo die Bürger entscheiden. Andere Gemeinden wie Simmersfeld (Kreis Calw) im Nordschwarzwald haben schon langjährige Erfahrungen mit einem Windpark.
Windkraft: Pläne und Protest im Überblick
- Wo könnten Windräder in der Region Neckar-Alb entstehen?
- Was sagen Windkraftgegner zu den Plänen?
- Worum geht es beim Bürgerentscheid in Pfronstetten?
- Welche Erfahrungen haben Kommunen bisher gemacht?
Region Neckar-Alb: 40 Flächen für Windkraft geplant
Mit dem "Wind-an-Land-Gesetz" hat die Bundesregierung Planungs- und Genehmigungsverfahren vereinfacht und die Länder in die Pflicht genommen, Flächen für Windkraft festzulegen. In der Region Neckar-Alb hatte die Öffentlichkeit drei Monate Zeit, zu den aktuell geplanten Gebieten Stellung zu nehmen. Der Verband verspricht, alle Stellungnahmen zu prüfen und den Regionalplan daraufhin gegebenenfalls anzupassen.
In Baden-Württemberg gibt es zwölf Regionalverbände. Diese haben mit der Landesregierung vereinbart, dass bis 2025 mindestens 1,8 Prozent ihrer Flächen als Vorranggebiete für Windkraft eingeplant werden. In solchen Gebieten hat der Bau von Windkraftanlagen gegenüber anderen Bauvorhaben Vorrang. Mit mehr als 9.000 Hektar entsprechen die vom Regionalverband Neckar-Alb definierten Flächen einem Anteil von 3,6 Prozent - also doppelt so viel wie eigentlich nötig.
Windkraft: Mehr als 400.000 Einwände
Der Teilregionalplan Windkraft wurde am 10. Januar in Eningen unter Achalm (Kreis Reutlingen) von Vertretern des Regionalverbands vorgestellt. Mit 3,6 Prozent ist genügend Puffer eingeplant, sollten noch Flächen aufgrund von berechtigten Einwänden wegfallen, sagte Verbandsdirektor Dirk Seidemann dem SWR bei der Informationsveranstaltung.
Mit dem Ende der Öffentlichkeitsbeteiligung am Donnerstag geht die Planung nun weiter. Wie viele Stellungnahmen insgesamt eingegangen sind, kann der Regionalverband auf Nachfrage noch nicht exakt mitteilen. Bürgerinitiativen aus der Region haben ihre Einwände gesammelt abgegeben - allein am Donnerstag ist beim Regionalverband ein Lastwagen mit mehr als 400.000 Schreiben vorgefahren. Wie lange die Prüfung der Stellungnahmen dauert, kann eine Verbandssprecherin auf Rückfrage nicht beantworten.
Klar ist: Bis September 2025 sollen die Pläne für die Windkraft in der Region Neckar-Alb endgültig stehen. Schon jetzt werden auf manchen der 40 Flächen Windparks geplant. Ein Beispiel: In Münsingen-Magolsheim ist das Genehmigungsverfahren für sechs Windräder fast abgeschlossen. Aktuell stehen dort mehr als 100 Zelte, um die Feldlerche vom Brüten abzuhalten. Denn bald geht es los mit den Bauarbeiten.
Was sagen Gegner der Windkraft?
Vorneweg: "Die Windkraftgegner" gibt es nicht. Dazu ist das Thema zu komplex. Schon den Begriff wollen manche im Gespräch mit dem SWR nicht hören. Die Gruppe der Kritiker ist vielfältig, zieht sich durch alle Schichten der Gesellschaft. Viele sagen, sie sind nicht generell gegen Windkraft. Sie soll eben nur dort gebaut werden, wo auch viel Wind weht. Das sei im Norden Deutschlands der Fall. Kurz: Windkraft ja, aber nicht bei uns: Diese Einstellung zieht sich durch ganz Baden-Württemberg.
Um die Menschen, die sich in Bürgerinitiativen intensiv gegen Windkraft engagieren, besser zu verstehen, hat der SWR Anfang der Woche ein Treffen mit der Sprecherin der Gruppe "Pro Natur Starzach" ausgemacht. Die Gemeinde ist vom Vorranggebiet "TÜ-ZAK-01" betroffen, auf dem bereits ein Windpark geplant wird. Die Bürgerinitiative wehrt sich lautstark gegen die Stadtwerke Tübingen als Projektentwickler und Amtspersonen wie Starzachs Bürgermeister Thomas Noé (parteilos).
Treffen mit Bürgerinitiative kurzfristig abgesagt
Die Bürgerinitiative engagiert sich über die Gemeinde hinaus gegen Windkraft - hat sich vor kurzem unter dem Namen "Gegenwind Neckar-Alb" mit weiteren Gruppen zusammengeschlossen. Vor Ort ist die Sprecherin am Montag zum geplanten Zeitpunkt nicht zu erreichen. Der SWR trifft sie auf dem Fahrrad nahe ihres Wohnhauses an. Dort erklärt sie, dass sie in Rücksprache mit den anderen Bürgerinitiativen doch nicht mehr mit dem SWR sprechen möchte.
Der Termin zur Übergabe der gesammelten Stellungnahmen, zu dem der SWR eingeladen war, werde zudem kurzfristig verschoben. "Wir berichten im Anschluss selber", sagt die Sprecherin aus Starzach. Eine offene Diskussion über Argumente und Gründe für das Engagement wird derzeit von den Bürgerinitiativen abgelehnt.
Bürgerentscheid zur Windkraft in Pfronstetten
In Pfronstetten besteht Redebedarf, unter anderem weil dort am Sonntag ein Bürgerentscheid ansteht. Er soll klären, ob Windräder eines Windparks auf Gemeindeflächen gebaut werden dürfen oder nicht. Drei der im Regionalplan vorgesehenen Vorranggebiete für den Kreis Reutlingen liegen auf der Gemarkung Pfronstettens. Ein Projektentwickler möchte im Westen der Gemeinde 16 Windräder bauen, den Großteil davon im Staatswald.
In der Debatte um die Windkraft hat es seit Beginn keine Zwischentöne gegeben, sagt Bürgermeister Reinhold Teufel (CDU) im Gespräch mit dem SWR. "Es gibt nur schwarz oder weiß", sagt der bekennende Befürworter, der die Schwäbisch Alb mit einem Augenzwinkern als "Epizentrum des Protests" bezeichnet. Im Staatswald, der dem Land Baden-Württemberg gehört, darf der Projektentwickler voraussichtlich die gewünschten 16 Windräder bauen.
Die Gemeinde hätte gerne, dass vier Anlagen auf Gemeindeflächen entstehen, um über die Pacht am Windpark mitzuverdienen. Das Unternehmen hat versprochen, dass sich die Anzahl der Windkraftanlagen nicht erhöht, sollten bis zu vier der 16 Windräder außerhalb der Staatswaldfläche auf Flächen der Gemeinde entstehen.
Kuriose Entstehung des Bürgerentscheids
Das Problem: Der Gemeinderat hat entschieden, dass keine Windräder auf Gemeindeflächen gebaut werden sollen. Angeblich aufgrund eines Fehlers bei der Abstimmung. Ein Ratsmitglied hat während der Sitzung noch für den Bau auf Gemeindeflächen argumentiert. Bei der Abstimmung hat er dann fälschlicherweise dagegen gestimmt, erklärt Teufel. Daher wurde der Bau von Windrädern auf Flächen, die der Gemeinde gehören, bei einem Stimmergebnis von sechs zu sechs abgelehnt.
Pfronstetten müsste so allerdings auf etwa 400.000 Euro Pacht pro Jahr verzichten, sollte keines der Windräder auf eigenen Flächen gebaut werden dürfen. Diese Zahl ist konservativ gerechnet, sagt Teufel. Da der Beschluss aufgrund einer falschen Stimme getroffen wurde, hat der Gemeinderat entschieden, dass ein Bürgerentscheid über diese Frage bestimmen soll. Der Rat hat also entschieden, dass die eigene Entscheidung von den Bürgerinnen und Bürgern überstimmt werden soll.
Bürgerentscheid über Windkraft "grundsätzlich gut"
"Das wirkt schon sehr gestellt", sagt der Sprecher der Bürgerinitiative "Gegenwind Pfronstetten", Thomas Wagner, zur Entstehung des Bürgerentscheids. Grundsätzlich begrüße er es jedoch, dass die Bevölkerung über eine solch wichtige Frage entscheiden darf. Vor allem weil Pfronstetten aus seiner Sicht in der Region Neckar-Alb überproportional mit geplanten Windparkflächen belastet werde.
Zusätzlich zu den 16 Anlagen im Westen der Kommune seien im Norden noch sechs Windräder auf Flächen geplant, die zum Teil Privatpersonen und Gemeinde gemeinsam gehören. Für Wagner zu viel. So wie Bürgermeister Teufel möchte er für den Bürgerentscheid keine Prognose wagen. Beide erwarten jedoch ein Ergebnis in ihrem Sinne.
100 Windräder pro Jahr nötig Schleppender Windkraftausbau in BW: Zwischen Bürokratie und Bürgerentscheiden
Wenn irgendwo im Land neue Windräder entstehen sollen, formiert sich dagegen regelmäßig Widerstand in Form von Initiativen. Doch auch Bürokratie steht dem Ausbau im Weg.
Simmersfeld hat Erfahrung mit Windkraft
An die Region Neckar-Alb, in der es bisher nur wenige Windräder gibt, grenzt der Regionalverband Nordschwarzwald. In Simmersfeld (Kreis Calw) und der Nachbargemeinde Seewald (Kreis Freudenstadt) wurde 2007 der Windpark Nordschwarzwald offiziell eröffnet.
Bürgermeister Jochen Stoll (parteilos) kam zwei Jahre später ins Amt. Er weiß jedoch, dass die Diskussion über den Bau des Windparks mit 14 Anlagen, neun davon auf der Gemarkung von Simmersfeld, damals intensiv geführt wurde. Heute hätten sich die Menschen im Dorf mit den Windrädern arrangiert.
Tatsächlich sind in der Gemeinde etwa 20 Jahre nach dem Streit über die Planungen wieder Zwischentöne zu hören: Ein Ehepaar findet es toll, dass es den Windpark mit bis zu 180 Meter hohen Anlagen gibt.
Auf die Frage des SWR, wie es wäre, wenn diese mit neueren bis zu 300 Meter hohen Windrädern ersetzt würden, antworten beide: "Das ist zu hoch. Vielleicht erstmal eins bauen und testen, bevor gleich alle ersetzt werden." Ein Mann aus der Nachbargemeinde Seewald kritisiert, dass der Windpark schlecht für die Artenvielfalt im Wald ist, sagt aber: "Ich glaube nicht, dass die Menschen stattdessen hier ein Atomkraftwerk haben möchten."
Strommenge kleiner als geplant
In Simmersfeld ist die Debatte ruhiger geworden und dennoch ist der Windpark häufig Teil der intensiven Auseinandersetzung beim Thema Windkraft. Bürgerinitiativen nehmen ihn als Beispiel, dass vor dem Bau prognostizierte Strommengen im Betrieb nicht erreicht werden. Im Schnitt produziert der Windpark etwa 40 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr, mit 64 Millionen haben die Planer vor dem Bau gerechnet. Eine entsprechende Anfrage des SWR, warum das so ist, hat das Betreiberunternehmen trotz Nachfragens bisher nicht beantwortet.
Auch der Bürgermeister kann diese Frage nicht beantworten. Jochen Stoll weiß jedoch, dass es diese Differenz gibt. Er verweist zudem auf Zahlen des Netzbetreibers Netze BW, der die Strombilanz von Simmersfeld erfasst. Demnach hat die Gemeinde 2022 mehr Strom produziert als sie verbraucht hat - um genau zu sein: 7,82 Prozent.