Sie ist 16, er 80 Jahre alt – Fanny Arnold von der SPD in Albstadt und der FDP-Mann Hagen Kluck aus Reutlingen wollen in den Gemeinderat und den Kreistag gewählt werden. Ihre Interessen, ihre Lebensphase, ihre Erfahrungen – komplett unterschiedlich. Gerade deshalb sind beide überzeugt: Für gute Kommunalpolitik braucht es alle Generationen.
Interessieren sich Kommunalpolitiker zu wenig für die Jugend?
Fanny Arnold geht noch zur Schule, verdient mit einem Nebenjob Geld und kandidiert das erste Mal für ein politisches Amt. Als sie auf den 80-jährigen FDP-Politiker Hagen Kluck trifft hat sie großen Respekt. Sie sind für ein Interview beide nach Tübingen gekommen - um zu diskutieren. Hinter den Kulissen wissen die beiden erst einmal nicht, was sie miteinander reden sollen.
Beim Interview scheint aber alle Nervosität verflogen zu sein. Jetzt geht es ums Ganze - Fanny erzählt selbstbewusst, dass sie viel Kontakt zu Jugendlichen aus Albstadt hat und weiß, was die jungen Leute umtreibt. "Ich bin in meiner Jahrgangsstufe herumgegangen und habe gefragt: Hey, ich lass mich aufstellen, was wollt ihr denn eigentlich im Gemeinderat?" Außerdem habe sie an ihrer Schule einen Vortrag über Kommunalwahlen gehalten. "Es wusste keiner, was das überhaupt ist, was man wählen kann und was man damit verändern kann." Das Problem: Ihrer Meinung nach interessieren sich viele Kommunalpolitikerinnen und -politiker zu wenig für die Jugend, gehen zu wenig auf sie ein.
Viele Politikerinnen und Politiker gehen zu wenig auf die Jugend ein.
Wenn man Hagen Kluck fragt, wie er den Kontakt zu jungen Wählern hält, sagt er: "Ich gehe gerne in die Kneipe, auf die Straße, in die Eisdiele oder ins Café." Manchmal komme es ihm so vor, dass er bekannt "wie ein bunter Hund" sei. Das ist nicht verwunderlich: Seit fast 60 Jahren ist er in der FDP, er hat etliche politische Ämter inne. Unter anderem ist Kluck schon jahrelang Gemeinderat und Kreisrat in Reutlingen. Er sagt: "Man muss immer den Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern suchen, egal wie alt sie sind." Dass Fanny Arnold sich in der Kommunalwahl aufstellen lässt, findet er sehr gut.

Warum junge Menschen in die Politik wollen
Zum ersten Mal können sich 16-Jährige in Baden-Württemberg in den Gemeinderat oder den Kreistag wählen lassen. Das ist in Deutschland einmalig. Fanny Arnold ist überzeugt, dass das ein wichtiger Schritt ist. Sie möchte mit ihrer Kandidatur mit einem Vorurteil aufräumen. Dass junge Leute keine Politik mögen, sich nicht dafür interessieren und sich nicht einsetzen. "Doch, wir setzen uns ein", kontert die 16-Jährige. "Wir werden bloß oft nicht gehört."
So wie Fanny geht es vielen Jugendlichen in der Region, die sich aufstellen lassen. Nora Ruff von den Grünen in Tübingen findet, dass die Meinung der Jugendlichen bei manchen Gemeinderäten eine größere Rolle spielen sollte: "Junge Menschen haben prinzipiell eine andere Sicht auf die Dinge als ältere Menschen. Und das ist finde ich auch so wichtig, dass man verschiedene Blickwinkel hat, um möglichst für alle das Beste machen kann."
Viele würden junge Politikerinnen und Politiker wählen
Dass junge Menschen in den Gemeinderat sollten, finden viele Menschen sinnvoll. Unter dem Instagram-Post von SWR Aktuell zu 16-Jährigen in der Politik gibt es etliche Kommentare. " Ich finde die Idee super. Vielleicht ergeben sich im Austausch mit jüngeren Leuten einfach andere Blickwinkel und Ideen auf Situationen." Ein anderer schreibt: "Völlig zu Recht. Was soll mir ein 60-Jähriger von Zukunft und Jugend erzählen, während er sein Leben gelebt hat." Manche sind aber auch skeptisch und finden, dass Erfahrung wichtig ist: "Eine gewisse Lebenserfahrung sowie ein paar Jahre Arbeit wären sinnvoll, sowie eine Ausbildung in der Politik wären auch noch sinnvoll!"
Mit 16 in den Gemeinderat Wie Nachwuchspolitiker die Kommunalpolitik in BW erobern wollen
Bei der Kommunalwahl in Baden-Württemberg sind nun schon 16-Jährige wählbar. Das ist bundesweit einmalig. Zwei Jugendliche sehen dadurch ihre Chance, junge Themen voranzubringen.
Welche Themen sind den Generationen wichtig?
Eher junge Menschen wählen oder Ältere? Da wollen sich Fanny Arnold und Hagen Kluck nicht entscheiden. "Wir haben einen 16-jährigen auf der Liste, der kriegt auf jeden Fall von mir drei Stimmen", sagt er. Für ihn komme es aber auf die Inhalte an - egal ob jung oder alt. Ein Thema, das ihm besonders wichtig ist: Reutlingen habe zum Beispiel große Probleme, den Bedarf an Kinderbetreuung zu decken. "Das halte ich geradezu für ein schändliches Ding, wenn man nicht allen Kindern die Möglichkeit gibt, einen Kindergarten zu besuchen." Dieses Problem müsse schnell gelöst werden.
Fanny will sich dagegen dafür einsetzen, dass es mehr Freizeitangebote für junge Menschen in Albstadt gibt. Das Kulturangebot sei vor allem auf ältere Menschen ausgelegt. "Uns Jungen wird immer vorgeworfen in Albstadt, dass wir uns wie 'Rowdys' verhalten würden. Dass wir nur irgendwo in der Stadt rumsitzen. Aber was sollen wir denn machen?" Es gebe eben nichts in der Stadt.
Auch der öffentliche Nahverkehr und der politische Zugang für Jugendliche seien ein Problem. Fanny Arnold wünscht sich deshalb mehr politische Veranstaltungen für Jugendliche.
16-Jährige gibt 80-Jährigem Politiker Tipp
Ein Punkt, den sie an Hagen Kluck kritisiert: In manchen Situationen drücke er sich zu kompliziert aus. Auf einem Forum, auf dem man dem Politiker Fragen stellen konnte, habe sie sich seine Antworten durchgelesen. "Die Worte die du wählst, sind manchmal zu kompliziert, zu steif, zu fern. Und genau das ist das Problem bei vielen Politikern." Oft verstehe die Jugend nicht, was Politikerinnen und Politiker sagen wollen.
Aber welchen Tipp hat Hagen Kluck für die 16-Jährige? "Jetzt soll sie erst mal gucken, dass sie da rein gewählt wird. Also lauf rum und überzeuge die Leute, sei nicht zimperlich und sag, du brauchst von jedem drei Stimmen", sagt er. Wenn sie dann im Gemeinderat und Kreistag drin sei, sei wieder alles anders. Vor allem Durchhaltevermögen müsse man haben. "Nicht nachgeben."
Kommunalpolitiker: Jeder sollte wählen gehen
Zum Schluss haben die beiden noch eine wichtige Botschaft: Jeder sollte wählen gehen. "Wer meckern will, muss wählen gehen", sagt Hagen Kluck. Wenn man mit den bestehenden Parteien oder Wählervereinigungen nicht einverstanden sei, "dann soll er gefälligst eine eigene aufmachen." Das sieht auch Fanny Arnold so. "Wählen gehen ist das Wichtigste, das man machen kann, um etwas für die Demokratie zu tun."
Ob Fanny Arnold und Hagen Kluck am Ende gewählt werden, zeigt sich bei der Kommunalwahl am 9. Juni.
SWR Aktuell Wahl-Special Kommunalwahl 2024
In unserem Online-Special finden Sie alle Informationen rund um die Kommunalwahl am 9. Juni 2024 in Baden-Württemberg.