Mit 16 in den Gemeinderat

Wie Nachwuchspolitiker die Kommunalpolitik in BW erobern wollen

Stand
Autor/in
Natalie Meyer
Natalie Meyer ist Teil des Teams von "Zur Sache! Baden-Württemberg".

Bei der Kommunalwahl in Baden-Württemberg sind jetzt 16-Jährige wählbar. Das ist bundesweit einmalig. Zwei Jugendliche sehen dadurch ihre Chance, junge Themen voranzubringen.

Claire Gantner kandidiert für den Gemeinderat - und hat deshalb jede Menge Termine. Sogar schon am Samstagmorgen. Viel Zeit für ein entspanntes Familienfrühstück bleibt der 16-Jährigen und ihrem Vater deshalb nicht. Denn beide kandidieren für die CDU im Gemeinderat in Baden-Baden. Claire steht sogar einen Listenplatz vor ihrem Vater. "Dabei habe ich sie erst auf die Idee gebracht“, erzählt Florian Gantner. Claire sei aber schon immer eine gewesen, die ihre Meinung sagt. In der Schule ist sie in der Schülervertretung aktiv. Die Entscheidung, sich bei der Kommunalwahl für die CDU aufstellen zu lassen, sei ihr trotzdem nicht leicht gefallen. "Ich habe nicht so viel Lebenserfahrung. Aber da wurde mir auch versichert, ich kann da reinkommen. Ich finde, das ist auch ganz wichtig, weil wie soll ich es denn anders lernen als jetzt?“

Mit 16 für den Gemeinderat kandidieren - ein Novum in Deutschland. Baden-Württemberg ist das erste Bundesland, das diesen Schritt geht. Bedenken, ob Jugendliche wie Claire bereit sind, mit ihren Entscheidungen die Kommunalpolitik mitzubestimmen, gab es vorab jede Menge.

Finanzthemen überfordern 16-jährige

Claire gibt offen zu: Sie traut sich nicht an komplexe Themen wie die Finanzen in einer Stadt wie Baden-Baden ran. Dafür ist sie umso mehr davon überzeugt, etwa den öffentlichen Nahverkehr besser beurteilen zu können als die Älteren im Gemeinderat. "Das Thema Busverbindungen ist immer traurig. Gerade Schüler wissen glaube ich am besten, was wir brauchen und was nicht. Das ist so eine Lücke, die ich kleiner machen könnte." Das Durchschnittsalter in Baden-Württemberg liegt in den Gemeinderäten bei 55 Jahren. Dadurch sind aus Sicht von Claire Themen untergegangen, die für junge Menschen wichtig sind. Viele in ihrem Alter würden sich nicht für kommunale Politik interessieren. Claire will ihnen zeigen, dass sie mitgestalten können und Menschen wie sie wählen können, die ihre Interessen vertreten.

Portraitfoto von Claire Gantner. Sie kandidiert mit 16 Jahren für den Gemeinderat in Baden-Baden.
Claire Gantner (CDU) kandidiert mit 16 Jahren für den Gemeinderat in Baden-Baden.

Wahlkampf mit dem Smartphone

Benedikt Döllmann aus Tübingen ist da schon einen Schritt weiter. Seit mehreren Jahren sitzt er schon für die Grünen im Jugendgemeinderat. Mittlerweile hat er sich auf Platz zwei der Grünen Liste für die Kommunalwahl in Tübingen vorgekämpft. Jetzt kämpft er für Stimmen in den bevorstehenden Wahlen. Nachmittags ist er auf einer Podiumsdiskussion in Rottenburg, kommt dann schnell ins Wahlkreisbüro in Tübingen. Viel Zeit zum Verschnaufen hat er aber nicht. Die nächste Veranstaltung wartet schon auf den 18-Jährigen. "Es macht mir einfach Spaß und so stressig finde ich es gar nicht“, sagt er, während er sich aus einer Mehrwegbox isst, das Interview gibt und parallel auf dem Laptop einen Text abtippt. Der ist für sein nächstes Video in den sozialen Medien. Täglich postet er Videos auf Instagram und TikTok, greift Medienberichte und aktuelle politische Debatten auf. Es geht aber auch um regionale Themen in Tübingen. In seinem Video, dass am häufigsten geklickt wurde, spricht er über einen gefällten Baum auf dem Uni-Campus in Tübingen. Rund eine halbe Million Mal haben es sich Menschen angesehen.

Potraitfoto von Benedikt Döllmann, der eine Videoaufnahme mit seinem Smartphone macht. Er kandidert für die Grünen in Tübingen.
Benedikt Döllmann (Grüne) versucht junge Menschen auf den sozialen Medien davon zu überzeugen, ihn in den Gemeinderat von Tübingen zu wählen.

Zwischen Hasskommentaren und hohen Klickzahlen

Nun steht er vor dem Jugendcafé Bricks in Tübingen. In zehn Minuten geht die Vorstellungsrunde der Jungkandidierenden aller Parteien los. Döllmann baut aber ein Handystativ auf und macht in aller Ruhe ein Video. Er wirbt für Gelder fürs Jugendcafé, ruft zur Wahl auf. Seine Onlinepräsenz hat aber auch ihre Kehrseite. Die Kommentare unter den Videos seien größtenteils negativ, sagt Benedikt Döllmann.

Früher war es besser. Sobald ich jetzt sage: Ich bin Kandidat für die Grünen, gibt es die üblichen Kommentare, dass wir nicht wirklich arbeiten und so weiter. Das gehört dazu.

Ab und zu gebe es auch negative Kommentare zu seinem Alter. Auf der Straße bekomme er auch hin und wieder mal "Klimakleber“ hinterhergerufen. Schlimmer sei es aber bei jungen Frauen, etwa bei Aktivistinnen, die er über die Klimaschutzbewegung Fridays for future kenne. Trotz der Anfeindungen im Netz - er will weiter jeden Tag Videos im Netz veröffentlichen. Denn im Internet erreiche man junge Leute am besten.

Klassischer oder digitaler Wahlkampf?

Claire Gantner dagegen will bei ihrem Wahlkampf in Baden-Baden auf soziale Medien verzichten. Sie macht nur klassischen Wahlkampf mit Flyern und persönlichen Gesprächen.

Ich denke auch nicht, dass das jetzt für die Kommunalwahl ausschlaggebend sein wird, dass ich irgendwie TikTok-Videos drehen müsste, um meine Generation zu erreichen.

In Baden-Baden sind es vor allem die älteren Kandidierenden, die auf TikTok Wahlkampf machen. Während Claire auf Social Media verzichtet, so werben deutlich ältere Kandidaten von SPD und AfD in Baden-Baden auf TikTok für sich. Claire lässt sich davon nicht beeindrucken. Deshalb steht sie jetzt mit ihrem Vater auf dem Marktplatz im Baden-Badener Stadtteil Sandweier. Mit wildfremden Menschen sprechen, Werbung für sich machen - Claire muss da noch reinwachsen. "Es ist doch ziemlich neu, ich bin ziemlich nervös, weiß noch nicht, was auf mich zukommt."

Drei Stunden wird sie mit ihrem Vater und rund zehn weiteren CDU-Kandidierenden dort stehen. Junge Leute kommen in der Zeit kaum vorbei. Die meisten Menschen wollen auch nicht über Politik sprechen, nehmen aber gern eine kleine Marmeladendose mit.

 Claire mit Vater Florian Gantner (beide CDU) im Gespräch mit Menschen.
Seite an Seite im Wahlkampf in Baden-Baden: Claire mit Vater Florian Gantner (beide CDU)

Baden-Württemberg ist Vorreiter für andere Bundesländer

Michael Wehner von der Landeszentrale für politische Bildung glaubt, dass das herabgesetzte passive Wahlalter viel verändern werde. "Vorausgesetzt es gehen auch viele Jugendliche wählen und kandidieren, werden Themen, die eher Jugendliche interessieren, auch mehr Gehör in den Gemeinderäten finden wie kostenlose Museumseintritte, niedrigere Schwimmbadpreise, mehr Freiräume, besserer Nahverkehr." Das zeige auch eine Studie der FU Berlin zu Jugendwahlen. Die Studie verdeutlicht, dass die politische Reife bei jungen Erwachsenen wie Claire Gantner oder Benedikt Döllmann ähnlich stark ausgeprägt ist wie bei Älteren.

Baden-Württemberg sei aktuell zwar die Ausnahmeerscheinung mit dem passiven Wahlrecht ab 16 Jahren. Wehner geht davon aus, dass sich das ändern werde. "Andere Bundesländer werden sich genau anschauen, welche politischen und juristischen Auswirkungen diese Entscheidung von Baden-Württemberg als Pionierin haben wird. Im Sinne einer Vereinheitlichung in einer mobilen Gesellschaft ist es eine Frage der Zeit, bis Angleichungen kommen werden."

Döllmann: "Wir haben das Recht gehört zu werden"

Benedikt Döllmann aus Tübingen will nicht warten, bis andere Bundesländer nachziehen. Er fordert jetzt mehr Mitspracherecht für seine Generation. Für ihn geht nach dem Termin im Jugendcafé ein 14-Stunden-Tag zu Ende. Auch das müsse sich ändern, sagt er. Für Jugendliche sei ein Ehrenamt im Gemeinderat nur schwer mit Schule oder Studium zu vereinen. Er macht es dennoch, weil er für seine Zukunft kämpfen will. "Unsere Beteiligung ist wirklich entscheidend bei Themen wie der Klimakrise. Fehlende Jugendbeteiligung ist für mich gefährlich für künftige Generationen."


Ob Benedikt Döllmann und Claire Gantner in den Gemeinderäten Einfluss nehmen können, wissen sie nach den Wahlen am 9. Juni.

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