Filmstills aus alten Heimatfilmen (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/United Archives | IFTN)

„Heimat Europa Filmfestspiele“ in Simmern

Weg vom Kitsch: Wenn die Klimakrise den Heimatfilm erreicht

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David Kirchgeßner
David Kirchgeßner ist Redakteur bei SWR Aktuell in Rheinland-Pfalz. (Foto: SWR)

Der Begriff Heimatfilm klingt angestaubt. Dabei hat er sich seit den oft verkitschten Filmen der Nachkriegszeit weiterentwickelt. Wie eine zeitgemäße Perspektive auf die Heimat im Film aussehen kann und warum auch die Klimakrise zum Heimat-Thema wird.

Filmstills aus alten Heimatfilmen (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / Sammlung Richter | Sammlung Richter)
Im Nachkriegskino geht es eskapistisch zu, beispielsweise im Film „Zwei Menschen“ von 1952 mit Edith Mill und Helmuth Schneider.

Den besten modernen Heimatfilm kann man derzeit in Simmern wählen. Nicht in Cannes oder Berlin, sondern im Hunsrück. Die „Heimat Europa Filmfestspiele“ werden am 26. August den Publikumspreis EDGAR verleihen – für einen von elf aktuellen Spielfilmen aus West- und Mitteleuropa. Benannt nach dem Regisseur Edgar Reitz, der mit seiner HEIMAT-Reihe das Genre Heimatfilm zwischen 1981 und 2012 neu geprägt hat. Doch was ist moderner Heimatfilm?

Gar nicht so leicht zu greifen. Helfen kann ein Blick in die Geschichte dieses typisch deutschen Genres: „Der Heimatfilm ist historisch zunächst ein Phänomen des bundesrepublikanischen Nachkriegskinos, in dem es stark eskapistisch zugeht,“ erklärt Lukas M. Dominik, Filmwissenschaftler und Programmkurator in Simmern.

Kitsch, Klischees und Eskapismus

Typische Motive: Die Verklärung der ländlichen Idylle. Das Schwarzwaldmädel mit dem Bollenhut. Kitschige Romanzen im Bergidyll. Für die Menschen damals ein kurzer Abschied vom Alltag, den man in der tatsächlichen Heimat erlebt. „Man blendete die Beschwernisse der Nachkriegszeit, den Nationalsozialismus, die Erinnerung daran, aus. Man wollte sich damit nicht auseinandersetzen, sondern in idyllische Verklärung von Heimat flüchten“, so Dominik.

Filmstills aus alten Heimatfilmen (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / Sammlung Richter | Sammlung Richter)
Ein typisches Motiv des traditionellen Heimatfilms ist die Verklärung der ländlichen Idylle, wie etwa im Film „Ferien vom Ich“ von 1963 mit Monika Dahlberg und Peter Vogel zu sehen ist.

Wie sehen moderne Heimatfilm aus?

Der moderne oder neue Heimatfilm hingegen setzt sich kritisch mit eben diesen Idyllen auseinander – bricht gegebenenfalls mit ihnen. „Sie sind nicht eskapistisch, zeigen keine bloßen Idyllen, sondern reflektieren das auch kritisch, was gerade im ländlichen Raum für Themen relevant sind“, erklärt Dominik.

Oft wird in den Filmen der Begriff Heimat in Frage gestellt. Was kann Heimat heute bedeuten? Und wie kann man sich dem Thema auch anders nähern abseits der Idylle, sondern hin zur kritischen Reflexion des Heimatbegriffs und der Suche nach Heimat?

Warum das Klima eine Rolle spielt

„In der filmischen Auseinandersetzung mit Heimat spielt auch die Klimakrise eine große Rolle, die durch klimatische Veränderungen Umwelt und Lebenswelt der Menschen verändert, bedroht oder nachhaltig mit beeinflusst“, sagt Filmkurator Lukas M. Dominik.

So bilden Filme über die Umwelt und das Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt den Schwerpunkt der diesjährigen Dokumentarfilmauswahl in Simmern.

Diese Filme bringen Heimat und Umwelt zusammen

Vor dem Hintergrund der Klimakrise bilden Filme, die sich aus verschiedenen Perspektiven den Themen Umwelt und Heimat widmen, den Schwerpunkt der Dokumentarfilmauswahl bei den 5. Heimat Europa Filmfestspielen 2023 in Simmern.

Filmplakat "Die Eiche" (Foto: X Verleih)
Der Film „Die Eiche – Mein Zuhause“ zeigt auf poetische Weise den Baum als Lebensraum. Und besticht durch spektakuläre Bilder vom Mikrokosmos einer 210 Jahre alten Eiche. Bild in Detailansicht öffnen
Filmplakat "Vergiss Meyn Nicht" (Foto: W Film Distribution)
In „Vergiss Meyn Nicht“ wird der Wald als Ort des Widerstands und ökologisch-politischen Raum gezeigt, der für zukünftige Generationen erhalten werden muss. Der Film erzählt die Geschichte des Studenten Steffen Meyn, der 2018 im Hambacher Forst tödlich verunglückte. Bild in Detailansicht öffnen
Filmplakat "Auf der Kippe" (Foto: Zero One Film/ Real Fiction)
„Auf der Kippe“ behandelt die möglichen sozialen und strukturellen Folgen des beschlossenen Kohleausstiegs am Beispiel der Lausitz. Bild in Detailansicht öffnen
Filmplakat "Die toten Vögel sind oben"  (Foto: Real Fiction)
„Die toten Vögel sind oben“ gibt seltene Einblicke in die heute größtenteils verlorenen Ökosysteme und Naturwelten des frühen 20. Jahrhunderts. Bild in Detailansicht öffnen
Filmplakat „La Measure des choses“  (Foto: lota Production)
„La Mesure des choses“ ist ein philosophisches Filmessay über die Maßlosigkeit des Menschen und deren Folgen von Umweltzerstörung, über Flucht bis hin zu sozialer Ungerechtigkeit.  Der Dokumentarfilm entstand rund um das Mittelmeer, wo sich Kreuzfahrtschiffe, Fischkutter und Flüchtlingsboote begegnen, während Forschungsschiffe die globale Erwärmung messen. Bild in Detailansicht öffnen
Filmplakat "Plastic Fantastic" (Foto: Trimafilm)
„Plastic Fantastic“ deckt auf, wie die milliardenschwere Kunststoffindustrie ihre Produktion im Verborgenen immer weiter hochfährt, ihre Abgase die Umwelt verseuchen und apokalyptische Plastikmüllberge sich überall auf der Welt auftürmen. Bild in Detailansicht öffnen

 Flucht und Vertreibung als Motiv im modernen Heimatfilm

Zudem beobachtet Filmkurator Lukas M. Dominik in den Neuproduktionen auch eine vermehrte Auseinandersetzung mit (eigener) Migration und Fluchterfahrungen. Wie in dem deutschen Film „Elaha“. Da geht es um eine junge Frau, die zwischen ihrer deutschen Heimat und den kurdischen Wurzeln ihrer Familie nach der eigenen Identität sucht.

Regisseurin Milena Aboyan wurde 1992 in der armenischen Hauptstadt Jerewan geboren. In Deutschland absolvierte sie eine Schauspielausbildung sowie ein Regiestudium an der Filmakademie Baden-Württemberg. Ihr Abschlussfilm und Langfilmdebüt „Elaha“ ist vielfach preisgekrönt.

Trailer zum Film „Elaha“:

Aber auch Filme wie Margarethe von Trottas „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ über die gescheiterte Beziehung der österreichischen Schriftstellerin zum Schweizer Dramaturgen Max Frisch werden gezeigt. Auf den ersten Blick nicht direkt ein Heimatfilm.

„Da ging es uns darum, auch Heimat abseits geografischer Kategorien zu erzählen. Sondern Heimat in anderen Menschen – in einer Beziehung – zu erzählen. Und wie man sich dieser Heimat annähert oder entfremdet“, erklärt Lukas M. Dominik.

Trailer zum Filmfestival „Heimat Europa“:

Können Heimatfilme Lösungen anbieten?

Der moderne Heimatfilm steht schließlich auch vor der Frage: Kann das Kino als Medium Lösungen anbieten und Reflexionsraum für aktuelle Debatten sein?

Filmwissenschaftler Lukas M. Dominik ist sich sicher: „Indem beispielsweise die Folgen des Klimawandels vor Augen geführt werden, können ein Bewusstsein und Empathie entstehen. Das Publikum kann persönliche Zugänge entwickeln.“ Und daraus Konsequenzen für das eigene Handeln ableiten.

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