Film

„Sundown“ von Michel Franco: Melancholischer Sonnenuntergang in Mexiko

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AUTOR/IN
Julia Haungs

Der 42-jährige Michel Franco gilt als einer der interessantesten Regisseure Mexikos. Franco ist mit seinen Filmen, die er selbst schreibt, schneidet und produziert, regelmäßig zu Gast bei den Festivals in Cannes und Venedig. 2020 gewann er dort mit seinem radikalen Endzeit-Thriller „New Order – Die neue Weltordnung“ den Großen Preis der Jury. In seinem aktuellen Film „Sundown“ spielt Tim Roth einen reichen Briten, der von einem Tag auf den anderen seine Familie verlässt.

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Ein Anruf, der alles verändert

Ein Luxusressort in Acapulco. Zwischen Infinity Pool und Strandbetten lässt es sich eine reiche britische Familie gut gehen: Alice mit ihren beiden Teenager-Kindern und ihr Bruder Neil. Doch irgendwas scheint nicht zu stimmen, Neil wirkt apathisch, zwischen ihm und Alice herrscht eine seltsame Sprachlosigkeit.

Ein Anruf von Zuhause beendet den Urlaub abrupt: die Mutter der beiden liegt im Sterben. Die Familie eilt zum Flughafen. Doch Neil bleibt unter einer vorgeschobenen Begründung zurück. Er hat offenbar beschlossen, aus seinem alten Leben auszusteigen.

Das andere Acapulco

Nun taucht die Kamera in ein ganz anderes Acapulco ein: heiß, quirlig, arm, gefährlich. Weltweit gehört der mexikanische Badeort zu den Städten mit den meisten Tötungsdelikten. Neil scheint sich der Gefahr, die einem reichen Europäer hier droht, nicht bewusst zu sein.

Vielleicht ist sie ihm auch egal. Wie ihn überhaupt alles gleichgültig zu lassen scheint vom Tod der Mutter über die Wut der Schwester bis hin zu einem Mord, der am Strand direkt neben seinem Liegestuhl passiert und das Meer zu seinen Füßen blutrot färbt.

Tim Roth spielt Neil den ganzen Film hindurch mit unbewegter Miene. Was ihn innerlich umtreibt, bleibt lange rätselhaft, wie der melancholische Film überhaupt wenig erklärt und vieles in der Schwebe lässt.

Ruhige Töne in „Sundown“ von Regisseur Michel Franco

Michel Franco, der mit dem Vorgängerfilm „New Order – die neue Weltordnung“ einen heftigen Endzeithriller über den Kampf zwischen Arm und Reich gedreht hat, schlägt in „Sundown“ sehr ruhige Töne an. Das Erzähltempo ist langsam, zwischenzeitlich kommt es fast ganz zum Erliegen.

Einen Großteil des Films sieht man Tim Roth dabei zu, wie er mit leerem Blick aufs Meer starrt. Der Film sei in einer persönlichen Lebenskrise entstanden, sagt Regisseur und Drehbuchautor Michel Franco. Er habe Depressionen gehabt. In Neil stecke viel von ihm selbst. Dennoch ist es schwer, Mitgefühl für die Figur zu entwickeln.

Götterdämmerung einer ganzen Gesellschaftsschicht

„Sundown“ ist intimer und nicht so offenkundig politisch wie „New Order“. Die Themen schwingen aber auch hier mit: der Kontrast zwischen Arm und Reich, die allgegenwärtige Gewalt, die mittlerweile viel zu normal erscheint.

Franco verwebt den persönlichen Sonnenuntergang eines Mannes in einer existentiellen Krise mit der Götterdämmerung einer ganzen Gesellschaftsschicht. Das funktioniert für den Film nicht durchgehend, beschert ihm aber einige ausdrucksstarke Momente.

Trailer „Sundown“ ab 9.6. im Kino

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