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„Petrov's Flu – Petrow hat Fieber“ von Kirill Serebrennikov: Dauergrippe als Metapher

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AUTOR/IN
Rüdiger Suchsland

Der russische Regisseur Kirill Serebrennikov, politischer Dissident und Kriegskritiker, hat einen russischen Bestseller verfilmt: „Petrow's Flu“ nach dem gleichnamigen Roman von Alexei Salnikov erzählt von Russland und zeigt ein hartes Bild der russischen Gesellschaft der 90er Jahre, das unverhohlen auch auf die Gegenwart zielt.

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Hollywoodthriller in postsowjetischer Version

Ein harter Anfang, fast wie in einer postsowjetischen Version eines Hollywood-Thrillers: Ein Terrorakt, bei dem eine Handvoll Anzugträger wird von einer bewaffneten Bande an die Wand gestellt und getötet wird.

Die Botschaft für die Zuschauer*innen: Absolute Hilflosigkeit. Alles ist möglich! In der Welt und in diesem Film. Das setzt den Ton im neuen großartigen Film des Russen Kirill Serebrennikov, auch wenn sich dieser Auftakt schnell nur als die erste von lauter Fieberphantasien der Hauptfigur entpuppt.

Szenen zwischen Surrealismus, Absurdität und Nostalgie

Petrov, die Hauptfigur, ist ein Karikaturist und Mechaniker, der kurz vor seiner Scheidung steht. Er hat Grippe und darum halluziniert er. Von Anfang an überträgt sich das auf die Bilder selbst. Aber in Wahrheit dehnt der Film diesen albtraumhaften Zustand auf alle Bereiche aus, und macht ihn zur korrekten Beschreibung der russischen Welt.

Wir erleben wir eine mentale Reise durch Petrovs Heimatstadt, die östliche Provinzmetropole Jekaterinburg und durch die Geschichte seines Landes, von seiner Kindheit in den 1970er Jahren bis zu der Zeit nach dem Untergang der UdSSR in den späten Neunzigern. Zusammengehalten werden diese Episoden zwischen Surrealismus, Absurdität und Nostalgie schwankend durch die Titelfigur.

Romanvorlage von Alexei Salnikov

„Petrow´s Flu- Petrow hat Fieber" ist zumindest formal die Verfilmung des gleichnamigen Roman eines anderen Unruhestifters, des erst 43-Jährigen russischen Autors Alexei Salnikov. Serebrennikovs Verfilmung hatte 2021 beim Festival von Cannes Premiere und ist ein faszinierender, erschütternder Fiebertraum. Die Kamera ist virtuos und perfekt, die Musik so schön wie die altmodische Farbgebung und das Produktion-Design dieser Alltagshölle des Materialismus.

Von der chaotisch aufgeplatzten Geschichte versteht man dagegen nur Fragmente. Und so soll es auch sein. So muss es sein. Serebrennikov zeigt ein hartes Bild der russischen Gesellschaft der 90er Jahre, das unverhohlen auch auf die Gegenwart zielt. Dabei gelingt ihm gelingt ästhetisch herausragendes Achterbahnkino und ein rebellisches Manifest gegen den nationalistischen Geist, nicht nur den russischen.

Trailer „Petrov's Flu- Petrow hat Fieber“, ab 26.1. im Kino

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Rüdiger Suchsland