Bei Anna Katharina Hahn kommt alles immer so normal daher, so vermeintlich bieder und verpackt in ein schwäbisches Ambiente, dass man sehr genau darüber nachdenken muss, was da eigentlich gerade mit einem als Leser gemacht wird. Hier ist eine ungeheure subversive Kraft am Werk, mit der Milieus auseinandergenommen werden, ein oft böser Blick, ein Gespür für Details und vor allem eine Sprache, die all diese großen Fähigkeiten nicht in den Vordergrund rückt, sondern elegant transportiert.
Ihr vorangegangener Roman „Aus und davon“ war ein Glanzstück in dieser Hinsicht. Mit „Der Chor“ knüpft Hahn daran nahtlos an. Es ist ein Frauenchor, der sich regelmäßig in Stuttgart zu seinen Proben trifft. Die Pandemie ist gerade für beendet erklärt; man atmet buchstäblich wieder durch. Der Chor ist ein Abbild der Stadtgesellschaft und ihrer Stände; drei Generationen von Frauen mit ihren Erfahrungen und Verletzungen. Und nicht zuletzt auch mit ihrem Dünkel. Unter den Mitgliedern gibt es Feindschaften, Eifersüchteleien, alte und neue Geschichten. Und eine neue Mitsängerin sorgt zusätzlich für Verwirrung.
Man kann die feinen Verästelungen der sozialen Unterschiede mit geöffnetem Stadtplan von Stuttgart nachvollziehen und hat darüber hinaus noch ein Zusatzvergnügen: Kaum eine Autorin dürfte so virtuos Überforderungs- und Angsterzählungen mit literarischen Motiven aus der schwäbischen Literaturgeschichte verknüpfen wie Anna Katharina Hahn.