Bildmontage: Schriftzug Interview mit Kerzen auf einem Steinpoller vor der Porta Nigra in Trier am Tag nach der Amokfahrt (Foto: dpa Bildfunk, Harald Tittel)

Trierer Amokfahrt jährt sich zum zweiten Mal

Warum sich manche Menschen erst jetzt Hilfe suchen

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Jana Hausmann
Jana Hausmann ist multimediale Reporterin im SWR Studio Trier (Foto: SWR)
Jutta Horn
Jutta Horn arbeitet als Reporterin für SWR Aktuell im Studio Trier (Foto: SWR)

Zwei Jahre danach lässt die Amokfahrt von Trier Opfer, Angehörige und Betroffene nicht los. Sie brauchen weiter seelsorgerische Unterstützung. Manche suchen sich jetzt erst Hilfe.

Am 1. Dezember 2020 rast ein Mann mit seinem Auto durch die Trierer Fußgängerzone und fährt gezielt Passantinnen und Passanten an. Fünf Menschen sterben, zahlreiche weitere werden verletzt.

Zwei Jahre später ist die Erinnerung an die Tat nicht verblasst. Vor allem die direkt von der Tat Betroffenen leiden noch immer.

Ein derartiges Erlebnis zu verarbeiten, wird noch weiter dauern, sagt Bernd Steinmetz, Leiter der Telefonseelsorge Trier. Er betreut die Angehörigen der Amokfahrt.

Seelsorger Bernd Steinmetz in der Simeonstraße  (Foto: SWR)
Seelsorger Bernd Steinmetz betreut seit etwa zwei Jahren Betroffene der Trierer Amokfahrt.

SWR Aktuell: Wie geht es den Angehörigen der Amokfahrt zwei Jahre nach der Tat?

Bernd Steinmetz: Allgemein kann man nur sagen, dass sie in einem Verarbeitungsprozess sind, der sie noch lange begleiten wird. Ein wichtiger Meilenstein war der Abschluss des Gerichtsprozesses. Denn danach hat die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema nachgelassen und damit war dann mehr Zeit für die individuelle Trauerverarbeitung.

Mit dem zweiten Jahrestag nimmt die Aufmerksamkeit nun wieder zu. Die ist einerseits wichtig, weil man die Solidarität der Leute erlebt. Andererseits reißt diese Aufmerksamkeit aber auch die Wunden wieder auf.

SWR Aktuell: Welche Bedeutung hat denn ein Gedenkort für die Angehörigen und die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Trier?

Bernd Steinmetz: Für die Bürger der Stadt allgemein bedeutet das, sich daran zu erinnern, dass es immer wieder Situationen gibt, die wir Schicksal nennen. Dass ich zur falschen Zeit am falschen Ort mit etwas konfrontiert werden kann, das lebensbedrohlich ist, das Leben kostet und dass diese Situationen nicht aus dem Gedächtnis gelöscht werden.

Einige haben den Eindruck, als ob die Tat gar nicht geschehen wäre. Da hilft es, diese Gedenkorte zu haben, um wenigstens noch an einigen Stellen noch einmal innezuhalten, um sich damit auseinanderzusetzen und zu sagen: "Ja, das ist geschehen, aber das Leben geht weiter."

"Viele Angehörige können auch zwei Jahre nach der Tat noch nicht durch die Fußgängerzone gehen."

Wenn ich etwas Wertvolles verloren habe, einen wertvollen Menschen, dann werde und kann ich das nicht vergessen. Aber ich muss auch wieder Kraft finden, um nach vorne zu schauen und zum gegebenen Zeitpunkt zurückzuschauen.

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SWR Aktuell: Gibt es denn auch Menschen, die erst jetzt Hilfe suchen?

Bernd Steinmetz: Ja, und wir können davon ausgehen, dass das auch so bleiben wird. Viele stellen jetzt beispielsweise fest, dass sie das nicht alleine verarbeiten können. Beispielsweise weil sie nach wie vor schreckliche Träume haben oder in Situationen kommen, in denen sie irgendwo stehen und nicht mehr weiterwissen, weil sie die Orientierung verloren haben. Diese Menschen gestehen sich dann ein, dass sie jetzt Hilfe brauchen.

Von vielen Betroffenen habe ich auch gehört: "Das war unser Schicksal und wir müssen sehen, wie wir damit weiterleben". Aber sie erfahren jetzt auch von anderen, dass dieses Weiterleben mit Unterstützung unter Umständen anders gelingen könnte.

SWR Aktuell: Was raten Sie Leuten, die noch keine Hilfe gesucht haben, aber unter der Tat leiden?

Bernd Steinmetz: Ich rate ihnen dazu, sich Hilfe zu suchen und zu schauen, wo sie die Hilfe finden, die zu ihnen passt und zu der sie genug Vertrauen haben. Und wir Seelsorger haben während der Nachsorge auch gelernt, dass es notwendig ist, auf diese Menschen zuzugehen und ihnen Angebote zu machen, die für sie hilfreich sein könnten, über die sie aber selbst entscheiden.

SWR Aktuell: Sie behandeln das Thema jetzt mit einer professionellen Distanz. Aber das ist ja ein Ereignis, welches man wahrscheinlich nur einmal in seiner beruflichen Laufbahn hat. Macht das etwas mit einem?

Bernd Steinmetz: Auf jeden Fall geht einem das nahe. Das durfte ich vor allem während der Prozesstage erleben, da kommt es noch einmal näher, weil man die Schicksale der Menschen kennt. Die berufliche Distanz ist das eine. Die braucht es dann auch, wenn man ein Stück hilfreich sein will. Aber es gibt auch die Momente, wo ich ganz anders durch die Stadt gehe und wo ich auch sagen darf, dass ich auch sehr viel von den Menschen gelernt habe und lerne, wie sie mit ihrem Schicksal umgehen.

SWR Aktuell: Wie wichtig war denn für die Betroffenen das Urteil im sogenannten Amokfahrt-Prozess?

Bernd Steinmetz: Sehr wichtig. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Urteilsverkündung. Da habe ich bewusst die Menschen, die ich kennengelernt habe, im Blick gehabt.

Zum einen, weil es ein Urteil war, mit dem sie nicht hadern müssen, weil es der Schwere der Schuld des Angeklagten Rechnung trägt. Zum anderen war es ein Zeichen, dass es damit zu Ende ist und der Prozess nicht unendlich weitergeht.

"Ich habe bei den Betroffenen körperlich ein Aufatmen gespürt. Das war, als ob eine Last von ihren Schultern fällt."

SWR Aktuell: Sie beenden Ihre berufliche Laufbahn. Werden Sie der Nachsorge trotzdem weiter erhalten bleiben?

Bernd Steinmetz: Ja, das war eine Entscheidung, die ich vorher getroffen habe, weil während dieser Arbeit ja auch Vertrauensbeziehungen entstehen. Deshalb werde ich ehrenamtlich weitermachen. Und gerade mit Hinblick auf das Wissen, wie lange so ein Verarbeitungsprozess dauert, werde ich das auch gerne tun.

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