Ehrenamtliche Helfer sortieren in einer Foodsharing-Station Lebensmittel.  (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Marijan Murat)

Konkurrenz für die Tafeln?

Foodsharing, regionale Vereine, Apps: So rettet RLP Lebensmittel

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Jana Klimczak

Lebensmittelverschwendung reduzieren ist ein wichtiges Thema, auch in Rheinland-Pfalz. Eigentlich eine gute Sache, aber bleiben dadurch die Tafeln auf der Strecke?

Etwa elf Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland pro Jahr im Müll. Das zeigt eine Erhebung des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 2020. Der Großteil wird demnach bei uns zu Hause weggeworfen, rund 59 Prozent, ein deutlich kleinerer Teil im Handel, etwa sieben Prozent. Doch viele Lebensmittel lassen sich noch retten und weiter verwerten. Dafür gibt es auch in Rheinland-Pfalz zahlreiche Initiativen und Aktionen, an denen man sich beteiligen kann:

Doch immer wieder kommt die Frage auf: Wenn viele Lebensmittel gerettet werden - reduzieren sich dadurch die Spenden für Organisationen, die sich um Bedürftige kümmern - so wie die Tafeln?

Foodsharing: Foodsharer oder Foodsaver werden

Seit mehr als zehn Jahren rettet die ehrenamtliche Bewegung Foodsharing täglich tonnenweise Lebensmittel vor dem Müll. Dabei arbeitet sie mit Supermärkten, Großhändlern, Kantinen oder Bäckereien zusammen, auch in Rheinland-Pfalz. Ehrenamtliche Foodsaverinnen und Foodsaver holen die Lebensmittel ab und verteilen sie - privat, in der Nachbarschaft, an bedürftige Menschen oder Organisationen.

In ganz Rheinland-Pfalz listet die Initiative Lebensmittelretter in insgesamt 44 Orten auf. Die Gruppen organisieren sich regional selbst, meist über digitale Kanäle, damit das Abholen und Verteilen auch spontan abgestimmt werden kann. Um Foodsaver zu werden und den Verein vertreten zu dürfen, müssen die Anwärter eine kleine Ausbildung durchlaufen, ein Quiz bestehen, bei Essensabholungen hospitieren.

Wer selbst zu Hause zu viele Lebensmittel vorrätig hat und etwas verschenken möchte, kann das über die so genannten Fairteiler tun. Das sind von Foodsharing organisierte Abgabestellen, wo jeder Essen hinbringen oder mitnehmen darf. In Rheinland-Pfalz gibt es davon mehr als 50, in größeren Städten wie Mainz, Trier, Koblenz aber auch in ländlichen Regionen wie in Hochheim-Assenheim in der Pfalz. Außerdem bieten die Webseite und eine App (noch in der Testversion) von Foodsharing die Möglichkeit, Essenskörbe mit überschüssigen Lebensmitteln von privat an privat anzubieten.

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Regionale Vereine unterstützen

Auch regionale Vereine setzen sich in Rheinland-Pfalz ehrenamtlich für die Rettung von Lebensmitteln ein - etwa der Verein "Lebens Mittel Punkt" im rheinhessischen Ingelheim. Inspiriert von der Foodsharing-Initiative in Mainz hat Andreas Schmitt seinen eigenen Verein gegründet, mit zwei Ausgabe-Orten für gerettete Lebensmittel in Ingelheim und Bingen und einem Verteiler-Schrank.

Über die Jahre ist das Projekt immer größer geworden, erzählt er, hat viele Kooperationspartner gewonnen. Überall in der Region holen Schmitt und seine Helferinnen und Helfer inzwischen Lebensmittel bei Discountern oder Bäckereien ab, die sonst im Müll gelandet wären. Bei der Lebensmittel-Ausgabe sei jeder willkommen, Voraussetzung sei eine freiwillige Spende von zwei Euro: "Wir haben in unserem Motto stehen, ob jung, ob alt, ob arm ob gleich, wir geben an alle gleich", sagt Schmitt. Der Andrang sei groß: In Ingelheim vergibt der Verein Nummern, damit die Lebensmittel gerecht verteilt werden können: "Wir kriegen alles los."

Mit dem Handy Lebensmittel retten

Auch mit dem Handy können Rheinland-Pfälzer Lebensmittel vor der Tonne retten - etwa mit der App "Too Good To Go". Dort bieten Einzelhändler und Gastronome überschüssige Lebensmittel oder Gerichte als Überraschungstüten zu vergünstigten Preisen an. Per App kann das Essen bezahlt und anschließend zu fest vereinbarten Zeiten im Laden abgeholt werden. "In Rheinland-Pfalz zählen wir rund 1.000 teilnehmende Partnerbetriebe", so Pressesprecherin Nora Walraph. Es beteiligten sich zu gleichen Teilen Bäckereien, Supermärkte und Tankstellen im Land, gefolgt von Cafés, Restaurants und Hotels.

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Auch andere Apps und Online-Plattformen bieten vergünstigte Lebensmittel an, die sonst möglicherweise in der Tonne gelandet wären, der Online-Supermarkt "Sirplus" etwa oder das Unternehmen "etepetete", das mit Landwirten zusammenarbeitet und krummes Obst und Gemüse in zusammengestellten Kisten im Abo verkauft.

Im Supermarkt auf Aktionen achten

Und auch in vielen Supermärkten gibt es Aktionen gegen Lebensmittelverschwendung. Waren, deren Mindesthaltbarkeitsdatum näher rückt, werden meist deutlich vergünstigt angeboten. Auch Obst und Gemüse werden vor Ladenschluss teils günstiger verkauft. Zudem gibt es in den Supermärkten zunehmend Bestrebungen, auch weniger perfekt aussehendes Obst und Gemüse in den Märkten günstig anzubieten.

Gleichzeitig kalkulieren die Supermärkte inzwischen knapper und genauer als früher. Man sei durch gute Disposition daran interessiert, die Menge überschüssiger Lebensmittel so gering wie möglich zu halten, heißt es auf SWR-Anfrage etwa von EDEKA Südwest. Auch REWE, Kaufland, Lidl und ALDI SÜD heben auf Anfrage das "bedarfsgerechte Bestellen" hervor. Durch intelligente Bestellsysteme wären Waren so ausreichend verfügbar, weniger müsste weggeschmissen werden. Auch Wetterlagen und Feiertage würden berücksichtigt, heißt es.

Lebensmittel retten - weniger für die Tafeln?

Tatsächlich ist es so: Die Tafeln erhalten weniger Spenden - unter anderem, weil die Supermärkte ihre Ware genauer kalkulieren und Lebensmittel vergünstigt abgeben. "Die Maßnahmen, die wir durchführen, reduzieren die Menge der gespendeten Lebensmittel kontinuierlich", sagt etwa eine Sprecherin von REWE dem SWR. Auch wenn die Märkte betonen, dass weiterhin alle "nicht mehr verkaufs-, aber noch verzehrfähigen Lebensmittel" in der Regel gespendet würden, es immer wieder Spendenaktionen für die Tafel gebe und die Zusammenarbeit gut sei.

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Kerstin Baudisch von der Tafel Landau erzählt, dass sie zum Beispiel von Lidl seit Mai letzten Jahres weniger Obst und Gemüse bekämen, weil der Markt es reduziert an die Kunden verkaufe. Solche Beobachtungen macht auch die stellvertretende Vorsitzende der Tafel Mainz, Heidi Preuhsler, bei verschiedenen Supermärkten und Einzelhändlern: "Das ist genau die Ware, die sonst an die Tafel abgegeben wurde, die kriegen wir dann eventuell nicht mehr, weil sie abends weggegangen ist."

Einen Vorwurf kann Preuhsler den Märkten deshalb aber nicht machen: "Die Kaufmänner, die richtig kalkulieren, das können wir nicht als negativ ansehen", sagt sie. "Das ist ja richtiges Kaufmannsdenken." Auch wenn dadurch für die Tafel weniger übrig bliebe als noch vor zwei Jahren. Auch Kerstin Baudisch sagt, es sei in ihrem Sinne, denn so würden viele Lebensmittel gerettet.

Mitarbeiter der Tafel bereiten die Ausgabe von Lebensmitteln vor: Viele Spenden für die Tafeln in Rheinhessen an Weihnachten (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/dpa | Bodo Schackow (Symbolbild))
Die Tafeln in Deutschland versorgen Bedürftige - vor allem mit gespendeten und geretteten Lebensmitteln.

Keine Konkurrenz - eher eine Ergänzung

Auch zu anderen Lebensmittelrettern stünden die Tafeln nicht in Konkurrenz, berichtet Heidi Preuhsler von der Tafel Mainz. Mit der Initiative Foodsharing arbeiten sie in Mainz gemeinsam, teilen sich auf, wer wann welche Supermärkte anfährt und Lebensmittel abholen darf. Was bei der Tafel übrig bleibt und nicht mehr ausgegeben werden kann, holen die Foodsaver ab. "Wir ergänzen uns da sogar", sagt Preuhsler. "Wir haben das gerecht geteilt." Schon 2015 hatte die Bewegung Foodsharing mit den Tafeln in Deutschland eine grundsätzliche Kooperation vereinbart.

Auch das Unternehmen "Too Good To Go" sieht sich nicht als Konkurrenz zu den Tafeln. Es brauche viele Ansätze, um sich gegen die hohe Lebensmittelverschwendung einzusetzen, heißt es auf SWR-Anfrage. Mit der App könnten haushaltsübliche Mengen und bereits zubereitete Lebensmittel mit kurzer Haltbarkeit flexibel und tagesaktuell angeboten werden. Kleinstmengen wie belegte Brötchen etwa. Die Tafel könne zum Beispiel aus hygienerechtlichen Gründen gar nicht alle Lebensmittel mitnehmen. Die App sei also auch eher eine "komplementäre Lösung".

So sieht es auch Andreas Schmitt vom Ingelheimer Verein "Lebens Mittel Punkt". Er frage zudem bei seinen Zulieferern immer nach, ob die Tafel kommt. Wenn nicht, hole er die Lebensmittel ab. "Dem Brot ist es im Endeffekt egal, wer es isst. Hauptsache es wird gegessen", sagt er. "Uns geht es wirklich darum, dass das Zeug nicht in die Tonne kommt."

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