Vor fast einem Jahr hat Ulm einige bis dahin viel befahrene Gassen in der Ulmer Innenstadt zur Fußgängerzone erklärt. Um verärgerten Gastronomen und Händlern entgegenzukommen, die fürchteten, Kunden zu verlieren, gab es einen Kompromiss: Angeliefert werden darf den ganzen Tag, von 5 bis 22 Uhr. Doch zur Überraschung des Einzelhandels soll damit schon bald wieder Schluss sein.
Die Herrenkellergasse: Begeisterte Touristen, verärgerte Händler
"Oh, diese Gasse ist ja schön" ruft ein Tourist freudig aus, nimmt sein Handy und filmt die mit Blumen bewachsenen Häuser. Seine Frau nickt, "Herrenkellergasse", liest sie das Straßenschild laut vor. Die Gasse hinter dem Münster lockt mit Cafés und Restaurants genauso wie mit Boutiquen, Floristen und Bäckern.
Die Fußgängerinnen und Fußgänger sind über das Autoverbot in der Herrenkeller- und der Dreikönigsgasse nicht unglücklich. Sie können auf den normalen Verkehr gut verzichten. Auf Fahrradfahrer, die schnell durch die Gasse flitzen, allerdings auch. An einem warmen Sommertag sind die Stühle vor den Cafés und Restaurants gut besetzt. "Ich finde die Atmosphäre insgesamt ohne Autos schöner", sagt eine Passantin.
Erst Streit um die neue Fußgängerzone, nun Ärger um Lieferzeiten
Um die Einführung der neuen Fußgängerzonen in Ulm wurde heftig gestritten. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) in Ulm schrieb im Februar vergangenen Jahres, die Geschäfte würden die Kunden verlieren, die schnell mit dem Auto vorfahren wollten. Belieferungen in der Fußgängerzone seien teils unrealistisch.
Hitzige Diskussion im Gemeinderat Drei neue Fußgängerzonen in Ulm - Herdbruckerstraße abgelehnt
In der Ulmer Innenstadt gibt es bald drei neue Fußgängerzonen. Eine vierte Zone in der Herdbruckerstraße kommt nicht. Die Mehrheit im Gemeinderat war teilweise hauchdünn.
Doch die Fußgängerzone blieb, samt Kompromiss bei den Anlieferzeiten. Neu aufkommender Ärger bei den Anwohnerinnen und Anwohnern wurde ebenfalls befriedet. Es kehrte kurz Ruhe ein, bis im Juli der Bauausschuss beschloss, den Kompromiss bei den Lieferzeiten zu beenden. Die Anlieferungen sollen wie sonst auch in den Ulmer Fußgängerzonen ab dem 19. August nur bis 11 Uhr vormittags möglich sein.
Geschäftsleute in der neuen Fußgängerzone verärgert
Doris Zaiser vom Ulmer Zuckerbäcker erzählt, schon durch die Umstellung auf die Fußgängerzone habe sie viele Kunden verloren. Diejenigen, die auf dem Weg zur Arbeit kurz hielten, um sich ein Vesper mitzunehmen, und die Älteren, die nicht so weit laufen wollen oder können. "Wir haben Einbußen", sagt Zaiser.
"Man sieht es, der Handel geht raus, die Gastro geht rein, wir werden irgendwann mal den kleinen Einzelhandel verlieren". Sie findet es nicht fair, dass die Fußgängerzone mit Versprechungen wie längeren Lieferzeiten eingeführt wurde und dann, ohne weitere Rücksprache, andere Regelungen eingeführt werden. Die kürzeren Lieferzeiten betreffen auch die Backstube, denn am Nachmittag liefern Mühlen und Großhandel an, so Zaiser.
Nachmittags bekommt auch der Blumenhandel Flormarkt seine Lieferung aus Holland. Geschäftsführerin Angelika Stieber kritisiert, dass alles so kurzfristig und nicht durchdacht umgesetzt werden soll. Schon zum 19. August soll die am 9. Juli beschlossene Verkürzung der Lieferzeiten umgesetzt werden. Da bleibt wenig Zeit, um Sondergenehmigungen zu bekommen, sagt Stieber. Unklar sei auch noch, zu welchem Preis. "Das sind für mich unnötige Kosten. Es hat doch wunderbar funktioniert mit der Anlieferung und dem Verkehr in der Gasse", sagt Stieber
IHK und Citymarketing sind gegen verkürzte Lieferzeiten
IHK, Citymarketing und die Gewerbetreibenden in den Gassen wünschen sich eine erneute Diskussion im Gemeinderat oder im entsprechenden Ausschuss. Die wird es aber so schnell nicht geben, heißt es von der Stadt. Das liegt nicht nur an der Sommerpause. "Eine erneute Diskussion und Beschlussfassung im zuständigen gemeinderätlichen Gremium wäre laut Gemeindeordnung in frühestens sechs Monaten möglich und müsste beantragt werden", teilt die Stadt mit. Bisher gebe es keinen solchen Antrag.
Widerspruch von der SPD in Ulm
Die SPD-Fraktion im Ulmer Gemeinderat widerspricht und erklärt in einer Mitteilung, weiter hinter dem Beschluss zu stehen. "Die praktische Erfahrung in den letzten Monaten hat gezeigt, dass die Anlieferungszeit bis 22 Uhr nicht kontrollierbar war." Das hat auch der Kellner eines Cafés beobachtet, und auch ein Passant ist dieser Meinung. "So wie es jetzt ist, ist es ja Open House, da kann ich auch reinfahren und sagen, ich hol hier eben was ab, ich brauche das Auto, ich bin so schwach", meint ein Fußgänger, "das ist keine gute Lösung so".
Weiterhin viele Autos in der Fußgängerzone?
Viele der Befragten in der neuen Fußgängerzone sind der Meinung, dass der Lieferverkehr gar nicht so sehr stört und auch früher nicht besonders gestört habe. Die Autos, die immer noch unerlaubt durch die Fußgängerzone fahren, stören jedoch schon. Viele dieser Autos haben auswärtige oder ausländische Kennzeichen, das hat Max Barmeyer vom Rosebottel Concept Store in der Herrenkellergasse beobachtet. Wie viele Fahrzeuge tatsächlich durch die Fußgängerzone fahren, ermittelt die Stadt derzeit durch eine anonymisierte Zählstelle. Das wurde schon vor der Einführung getan, erklärt eine Sprecherin der Stadt. Zahlen nennt sie nicht.