Eine kleine Gasse, entlang der Johanneskirche in der Tübinger Altstadt. Den ruhigen Weg nutzen viele Tübinger als Abkürzung. Mittendrin: Die "Sitzende". Mit offenen Armen sitzt sie auf einem kleinen Sockel und hat etwas Freundliches. Viele Passanten bleiben kurz stehen, manche machen Bilder. Denn: Fast immer hat die "Sitzende" Blumen im Arm. Und das zu so ziemlich jeder Jahreszeit. Manchmal nur ein paar Blümchen, oft auch ganze Sträuße. Aber: von wem eigentlich?
Die Suche beginnt im Buchladen um die Ecke
Vielleicht löst sich das Rätsel ganz schnell, im Buchladen um die Ecke? Dort fragen wir als Erstes nach. "Wer das macht, weiß ich bis heute nicht", sagt uns die Besitzerin Helge Noack. In der Gegend kursiere aber eine Vermutung: Eine ältere Dame bringe die Blumen. Auf frischer Tat ertappt habe sie aber noch niemand.
Manchmal, erzählt sie weiter, wird die Sitzende auch mit anderen Sachen geschmückt. Zum Beispiel mit einer Brille oder einer Mütze. Oder auch mit Kinderschuhen. "Eine rührende Alternative zu den Blumen", sagt Noack. Erstaunlich findet sie, dass die Blumen nicht geklaut werden, gerade wenn die "Sitzende" richtig prachtvolle Sträuße bekommt. "Es gibt eine Art Ehrfurcht vor dem Menschen, der sich um die Blumen für die Figur kümmert", vermutet sie. Wer das genau ist, möchte sie eigentlich gar nicht wissen. Gerade das Geheimnisvolle findet sie so besonders.
So schön sind die Blumen der Sitzenden in Tübingen:
Weiß man was im Blumenladen gegenüber?
Im Blumenladen von Tanja Bohnet gibt es tatsächlich eine heiße Spur.
Meistens sind das zwei, drei kleine Blumen, sagt sie. Fertige Sträuße? Eher selten. Spontan fällt ihr jemand aus der Nachbarschaft ein: ein junger Mann, der bei einem Feinkostladen arbeite und öfters vorbeikomme, wenn der Sitzenden die Blumen ausgehen. Um ihn zu finden, müssen wir laut Bohnet nur einmal um die Ecke gehen.
Ein Tübinger Student als heimlicher Verehrer der Statue?
Pavels Sofija Glusko heißt der junge Mann. Er arbeitet in einem Feinkostladen in der Langen Gasse. 2017 zog er für sein Studium nach Tübingen. Die Blumen in der Statue fielen ihm direkt auf. Am Anfang fand er sie lustig: "Wer macht das überhaupt? Das ist doch teuer und komisch". Irgendwann fing er aber an, in Tanja Bohnets Blumenladen selber Blumen zu kaufen, wenn die Arme der Sitzenden leer waren.
Die Lösung des Rätsels sind ein Florist und ein Frisör
Woher kommen aber die großen, üppigen Sträuße? Und wer räumt die alten, verwelkten Blumen wieder weg? Darum kümmert sich wohl keine alte Dame und auch kein Tübinger Student, sondern: Dithelm Marx. Auch er hat einen Blumenladen. Wenn er einmal in der Woche bei einem Frisör in der Nähe die welken Blumen dort austauscht, nimmt er die alten Sträuße mit. Die schmeißt aber er nicht weg, sondern bringt sie der „Sitzenden" - und das seit knapp drei Jahren.
Viel gedacht hat er sich dabei nicht, sagt uns Marx. Ihn freue es einfach, dass die Blumen damit ein zweites Leben bekommen. Meistens versucht er, die Blumen heimlich zu tauschen.
Unbekannte bedankte sich beim Kavalier per Brief
Vor zwei Jahren etwa hat Marx mal ein kleines Briefchen an der Sitzenden gefunden, sogar behutsam in Folie gehüllt. Der Schrift nach eine ältere Dame, vermutet er. "Die hat sich bedankt beim Blumenkavalier, der dieser Statue etwas Gutes tut", bemerkt Marx gerührt. Das hat ihn gefreut. Das Briefchen nahm er damals mit heim.
Wer sich also wundert, woher die Sitzende ihre Blumen bekommt, hat nun eine Antwort. Ein Florist, ein Student, womöglich eine alte Dame - und wahrscheinlich noch viele andere "Trittbrettfahrer", denen die Tübinger Skulptur am Herzen liegt.