Nicht nur am Projekt Stuttgart 21, sondern auch an der Neubaustrecke gibt es Kritik

Zweifel an Tunnelsicherheit und Umweltschutz

Das sagen Kritiker zur Neubaustrecke

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Frieder Kümmerer
Frieder Kümmerer

Die Neubaustrecke zwischen Stuttgart und Ulm hat auch zahlreiche Kritiker. Umweltverbände hatten eine andere Trasse gefordert, Wissenschaftler kritisieren den Brandschutz.

Nicht nur am Bau des neuen Hauptbahnhofes in Stuttgart gibt es Kritik. Einige Wissenschaftler und Umweltverbände monieren auch die Neubaustrecke. Sie haben Bedenken, was den Brandschutz angeht oder kritisieren die Umweltverträglichkeit.

Sorge um die Sicherheit der Fahrgäste in den Tunnels

Einer der Kritiker ist Christoph Engelhardt. Er ist Physiker und Ingenieur, betreibt das Faktencheck-Portal "Wikireal" und ist Teil der S21-kritischen Gruppierung Ingenieure 22. Sorgen machen ihm die vielen Tunnel, unter anderem der Boßler-Tunnel: "Mit fast neun Kilometern ist das der längste Tunnel auf der Neubaustrecke", sagt Engelhardt. Wenn ein Zug in einem Tunnel stecken bleibt und evakuiert werden muss, zum Beispiel bei einem Brandfall, sollen die Fahrgäste durch einen Verbindungsgang in die Nachbarröhre entkommen können.

Die Ingenieure 22 haben Brand- und Evakuierungsszenarien simuliert. Aufgrund dieser Simulationen hat auch Engelhardt Berechnungen durchgeführt - unter anderem wie lange es dauert, bis ein Zug evakuiert ist und die Menschen in Sicherheit sind. Dafür sind von der Bahn maximal 15 Minuten vorgesehen. Doch laut Engelhardts Berechnungen kommt man nur bei der Evakuierung von ICE-Zügen auf diese Zeit. Denn bei Nahverkehrszügen, die ab 2025 fahren sollen, würden deutlich mehr Fahrgäste transportiert, als im ICE.

Nicht nur am Projekt Stuttgart 21, sondern auch an der Neubaustrecke gibt es Kritik.
Einer der Kritiker ist Christoph Engelhardt. Er ist Physiker und Ingenieur, betreibt das Faktencheck-Portal "Wikireal" und ist Teil der S21-kritischen Gruppierung Ingenieure 22. Sorgen machen ihm die vielen Tunnels.

Das bedeute laut Engelhardt auch deutlich längere Evakuierungszeiten. Im schlimmsten Fall müssten 2.000 bis 4.000 Reisende in Sicherheit gebracht werden, was zwischen 30 bis 80 Minuten dauern könne. Für Engelhardt ein nicht zu unterschätzendes Risiko, es gehe um Menschenleben.

Bahn weist Kritik an Tunnelsicherheit von sich

Auf Anfrage des SWR zum Brandschutz auf der Neubaustrecke teilt die Bahn schriftlich mit: "Die im Rahmen des Bahnprojekts Wendlingen - Ulm entstandenen Tunnel erfüllen alle strengen Sicherheitsanforderungen: Das Eisenbahnbundesamt hat als zuständige Behörde das Flucht- und Rettungskonzept geprüft und genehmigt." Die Deutsche Bahn plane und arbeite auf Basis der anerkannten Regeln der Technik, zu denen auch gesetzliche europäische und nationale Grundlagen und die Vorgaben der Behörden gehörten.

Das Eisenbahnbundesamt (EBA), das für die Zulassung der Strecke zuständig ist, teilt dem SWR ebenfalls mit: "Dem EBA liegen derzeit keine Informationen vor, die die Wirksamkeit der Anforderungen in Frage stellen." Die für das Vorhaben relevanten Aspekte des Brandschutzes seien im Rahmen der dafür vorgesehenen behördlichen Verfahren erörtert und geklärt worden. "Auch die Tunnel im Rahmen des Projektes wurden entsprechend den anerkannten Regeln der Technik sowie den Technischen Baubestimmungen geplant."

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Kritik vom BUND an der Trassenführung

Auch der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) kritisiert die Neubaustrecke seit Jahren. "Der BUND hat ursprünglich die Variante durchs Filstal favorisiert", erklärt Martin Bachhofer, Landesgeschäftsführer des BUND Baden-Württemberg. Man habe sich für einen Ausbau und eine Verbesserung der schon bestehenden Strecke über die Geislinger Steige eingesetzt. "Einfach aus dem Grund, weil es dort weniger Flächenverbrauch gegeben hätte und damit deutlich weniger Auswirkung auf die Natur."

Einen zusammenhängenden Naturraum nicht zu zerstören und die Fläche für die Tiere zu erhalten - diesen Kampf hat der BUND verloren. Stattdessen kam die neue Trasse durch und über die Schwäbische Alb. "Wir haben uns damit abgefunden", erklärt Bachhofer. "Weil wir den Sinn dieser Neubaustrecke und den Sinn der Ertüchtigung der Verbindung zwischen Stuttgart und Ulm nie in Frage gestellt haben."

Eine Grafik, die zeigt: Die alte Filstalstrecke hat eine Steigung von maximal 22,5 Promille. Die Neubaustrecke ist mit maximal 35 Promille deutlich steiler und verläuft deutlich höher.
Die alte Filstalstrecke hat eine Steigung von maximal 22,5 Promille. Die Neubaustrecke ist mit maximal 35 Promille deutlich steiler und verläuft deutlich höher.

Neubaustrecke zu steil für schwere Güterzüge

"Was aber nach wie vor ein Problem dieser Strecke ist, ist die Frage des Güterverkehrs", so Martin Bachhofer. Die Strecke sei zu steil für die schweren Güterzüge. Die alte Filstalstrecke hat eine Steigung von maximal 22,5 Promille. Die Neubaustrecke ist mit maximal 35 Promille deutlich steiler und verläuft deutlich höher. Für Martin Bachhofer ist das der Grund, warum dort keine Güterzüge fahren werden. "Wir brauchen eine Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene. Und da löst die Neubaustrecke einfach gar nichts."

Tatsächlich ist die Neubaustrecke für sogenannte "Leicht-Güterzüge" zugelassen. Allerdings scheint der Bedarf daran bisher nicht sehr groß. Von den Cargo-Unternehmen ist bisher noch kein Güterzug für das kommende Jahr auf der Neubaustrecke angemeldet worden. Die Ingenieure 22 kritisieren darüber hinaus, dass die Züge wegen der großen Steigungen mehr Energie verbrauchen als bisher auf der alten Filstalstrecke.

Bahn: "flächenschonender Bau" entlang der A8

Auf die Frage nach dem Umweltschutz erklärt dagegen die Bahn, dass die Neubaustrecke extra landschaftsschonend in enger Bündelung zur Autobahn A8 gebaut worden sei. Und das wiederum aufgrund von geltenden Planfeststellungsbeschlüssen. "Diese ergingen auf der Grundlage einer Bedarfsfeststellung für eine Neubaustrecke im Bundesschienenwegeausbaugesetz." Außerdem bekräftigt die Bahn: "Die Neubaustrecke Wendlingen - Ulm ermöglicht kürzere Reisezeiten, den Deutschlandtakt, mehr Kapazität auf der Schiene und ist somit ein wesentlicher Baustein für die Mobilitätswende im Südwesten. Ein Ausbau der Filstalstrecke hätte nicht annähernd derart positive Wirkungen gehabt."

Andere Kritiker sind verstummt

Wortstarke Gegner der Neubaustrecke haben ihre Meinung und ihre Position inzwischen geändert. Allen voran Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). Er war einst gegen den Bau durch und über die Schwäbische Alb. Doch mit dem Beschluss, auch einen Regionalhalt in Merklingen (Alb-Donau-Kreis) einzuführen und die Region auf der Alb für den Nahverkehr zu erschließen, verstummte seine Kritik.

Auch der Verkehrsclub Deutschland (VCD) wehrte sich zuletzt nicht mehr gegen den Bau. Einige Kritik an der Neubaustrecke sei in Korrekturphasen aufgenommen worden, erklärte der baden-württembergische Vorsitzende Matthias Lieb dem SWR. Man hätte sich nur einen dauerhaften Halt auf der Neubaustrecke auch in Wendlingen (Kreis Esslingen) gewünscht. Auch dann noch, wenn Stuttgart 21 fertig ist. Denn dann, so der Plan, werden die Nahverkehrszüge direkt aus Stuttgart über Merklingen nach Ulm fahren. Ein Halt auf der Neubaustrecke in Wendlingen ist nicht mehr vorgesehen.

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