In Baltmannsweiler (Kreis Esslingen) soll es nach vielen Jahren Planung nun doch keine Wohn- und Kurzzeitpflegeplätze für Kinder und Jugendliche mit Behinderung geben. Das hat die Diakonie Stetten (Rems-Murr-Kreis) mitgeteilt, die die Pflegeeinrichtung eigentlich bauen wollte. Das Risiko sei mit gestiegenen Zinsen und Baukosten zu hoch, so die Diakonie. Nun suchen die Kreise Esslingen und Göppingen - die sich für das Bauvorhaben mit der Diakonie Stetten zusammengetan hatten - nach alternativen Lösungen.
Seit 21 Jahren Pflege zu Hause
Ursula Hofmann aus Esslingen hat eine extrem fordernde Aufgabe: Sie kümmert sich seit 21 Jahren um ihre schwerbehinderte Tochter und ist seitdem quasi im Dauerpflegemodus. Anne ist mit einem seltenen Gendefekt auf die Welt gekommen. Die junge Frau kann daher fast nichts alleine machen. Ursula Hofmann musste ihren Beruf als Hebamme aufgeben.
Verschnaufpausen gibt es für Ursula Hofmann nur wenige. Für Eltern mit Kindern mit Behinderung wäre ein Heim mit Kurzzeitpflegeplätzen in der Nähe eine große Entlastung. Aber genau das gibt es im Landkreis Esslingen nicht. Und auch in anderen Landkreisen ist das Angebot dünn und stark nachgefragt. Wer einen Platz bekommt, habe großes Glück, so Hofmann.
Rückschlag nach vielen Jahren Kampf für Kurzzeitpflege-Plätze
Deshalb hat Ursula Hofmann einen Selbsthilfeverein mitbegründet. Seit vielen Jahren kämpfen sie für ein Pflegeheim für Kinder und Jugendliche mit Behinderung im Landkreis. Ein geplantes Projekt der Diakonie wurde jetzt zum dritten Mal abgesagt. "Ich war erst einmal sprachlos und ich habe gedacht, mir tut sich der Boden unter den Füßen auf. Wir haben so viel Energie reingesteckt in dieses Projekt, immer wieder mit Politikerinnen und Politikern gesprochen, mit Kreisräten - und trotzdem hat es nicht funktioniert", sagt Ursula Hofmann.
Diakonie Stetten hält finanzielles Risiko mittlerweile für zu hoch
Die Diakonie Stetten, die eigentlich eine Pflegeeinrichtung mit Wohn- und Kurzzeitpflegeplätzen in Baltmannsweiler bauen wollte, hat einen Rückzieher gemacht. "Aufgrund massiver Baukostensteigerungen sieht sich die Diakonie Stetten gezwungen, das jahrelang mit viel Aufwand und Herzblut vorangetriebene Wohnprojekt für Kinder und Jugendliche mit Behinderung zu beenden", heißt es von der Diakonie in einer Pressemitteilung. Ein Sprecher erklärte außerdem auf SWR-Nachfrage, dass die Einnahmen bei einem solchen Pflegeplatz immer Verhandlungssache zwischen der Einrichtung und dem Kostenträger seien. Diese Verhandlungen würden aber immer erst stattfinden, wenn ein Haus schon gebaut sei. Für Heimbetreiber gebe es daher immer ein finanzielles Risiko - dieses Mal sei es der Diakonie aufgrund der allgemeinen Kostensteigerungen bei Bauen und Zinsen zu hoch.
Landratsamt Esslingen sucht andere Lösung
Das Landratsamt Esslingen reagierte verschnupft auf die Absage der Diakonie. Nun werden Alternativen gesucht. "Nach der nicht vorhersehbaren Absage der Diakonie Stetten wurden zeitnah alle Leistungserbringer der Behindertenhilfe in beiden Landkreisen, also Esslingen und Göppingen, mit der Anfrage angeschrieben, zu prüfen, ob sie sich eine Umsetzung der 18 stationären Plätze und der 6 Kurzzeitplätze vorstellen können", so das Landratsamt Esslingen auf SWR-Anfrage.
Mutter will Sechsjährige nicht 80 Kilometer entfernt abgeben
Auch Familie Kuhn aus Ostfildern (Kreis Esslingen) bräuchte dringend immer wieder eine Verschnaufpause. Das ginge jedoch nur mit einem Kurzzeitpflegeplatz für ihre sechsjährige Tochter Mara. Das Gehirn des Mädchens ist während der Geburt durch Sauerstoffmangel stark geschädigt worden. Ihre Tochter weit weg in anderen Landkreisen in eine Kurzzeitpflege zu geben, kommt für ihre Mutter Judith Kuhn nicht infrage.
Judith Kuhn fordert, dass es unbedingt auch im Landkreis Esslingen Kurzzeitpflegeplätze für Kinder wie ihre Tochter geben muss. Weil Mara wegen ihrer Behinderungen nachts nicht durchschlafen kann, können ihre Eltern es auch nicht. Die Kuhns haben außerdem noch zwei weitere Kinder und arbeiten beide als Lehrer.
Doch die Kuhns können es sich finanziell nicht leisten, einfach aufzuhören zu arbeiten. Außerdem übe sie ihren Beruf sehr gerne aus, so Judith Kuhn. Sie bekomme dort auch eine andere Wertschätzung für ihre Arbeit als Lehrerin. Und das, obwohl ihre Pflegearbeit zu Hause sehr viel anstrengender sei.
Hoffnung nicht aufgeben
Bei Familie Hofmann in Esslingen gibt es mittlerweile neue Entlastungsmöglichkeiten. Da Anne 21 Jahre alt ist, kann sie auch in einer Kurzzeitpflege für Erwachsene unterkommen. Unter der Woche ist sie tagsüber in einer Tagesförderstätte. Ein Schlusspunkt ist das für ihre Mutter Ursula Hofmann aber trotzdem nicht. Sie will weiter für Kurzzeitpflegeplätze im Landkreis Esslingen kämpfen.