In einer Sitzgruppe in einem Pflegeheim sitzen zwei Senioren mit Rollatoren  (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)

Personal dringend gesucht

Pflegenotstand in Baden-Württemberg - was hilft?

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Lutz Heyser
Katharina Fortenbacher-Jahn
Katharina Fortenbacher-Jahn, SWR Aktuelle Wirtschaft (Foto: SWR, SWR)

Wer Pflege benötigt, muss in Baden-Württemberg oft lange suchen. Das gilt für Pflegedienste genauso wie Pflegeheime. Es fehlen immer mehr Fachkräfte. So könnten Lösungen aussehen.

Wie wollen wir alt werden und wie wünschen wir uns Pflege und Betreuung? Diese Frage wird immer brisanter, denn unsere Gesellschaft altert, es kommen tendenziell immer mehr ältere auf weniger jüngere Menschen. Mit steigendem Alter steigt statistisch auch die Wahrscheinlichkeit, dass jemand Pflege benötigt. Das bedeutet, dass immer mehr Menschen Pflege brauchen - und damit Hilfe von Angehörigen oder Pflegekräften.

Gleichzeitig gehen auch viele Pflegekräfte aus den geburtenstarken Babyboomer-Jahrgängen bald in Rente. Wie sieht es aktuell aus und auf was müssen wir uns einstellen? Was wird getan, um den wachsenden Bedarf - sowohl zu Hause als auch in Heimen zu decken?

Zu wenige Pflegekräfte und in der Folge auch zu wenige Heimplätze
In den meisten Fällen pflegen Angehörige zu Hause
Pflegeheime in Baden-Württemberg mit am teuersten
Pflegende Angehörige entlasten - ein Beispiel aus Bad Waldsee
Neue Stimme für Pflegekräfte in Baden-Württemberg
So viele Baden-Württemberger sind künftig auf Pflege angewiesen
Hunderttausende Pflegekräfte in Deutschland benötigt
Abhilfe durch bessere Arbeitsbedingungen und mehr Pflegekräfte aus dem Ausland
Roboter als Pfleger? Pilotprojekte zeigen Möglichkeiten und Grenzen

Zu wenige Pflegekräfte und in der Folge auch zu wenige Heimplätze

Wenn Menschen vergeblich einen Pflegeheimplatz suchen, liegt das häufig nicht am vorhandenen Platz oder an den Betten, sondern daran, dass es nicht genügend Pflegekräfte gibt, um Bewohner zu versorgen oder Personalschlüssel einzuhalten. Damit hat zum Beispiel der Caritasverband Breisgau-Hochschwarzwald begründet, dass er ein neues, millionenteures Pflegezentrum im Glottertal nach kurzer Zeit wieder geschlossen hat. Ähnlich war es bei einer zeitweisen Hospiz-Schließung in Stuttgart.

In einer Befragung in Baden-Württemberg (Monitoring Pflegepersonal) haben über 60 Prozent bei ambulanten Diensten und stationären Heimen sowie Krankenhäusern und Rehaeinrichtungen 2022 erklärt, dass sie einen Personalmangel haben. Nur fünf Prozent geben an, es sei gelungen offene Stellen zeitnah zu besetzen.

Immer wieder berichten ambulante Pflegedienste, dass sie keine weiteren Pflegebedürftigen versorgen können, weil Personal fehlt. Viele Heime führen lange Wartelisten, berichtet der Landespflegerat Baden-Württemberg. Vorausberechnungen zeigen, dass diese Lücke noch größer werden könnte.

In den meisten Fällen pflegen Angehörige zu Hause

Über 80 Prozent der pflegebedürftigen Menschen in Baden-Württemberg werden zu Hause versorgt. 2021 waren es nach der jüngsten Aufstellung des Statistischen Landesamtes 83 Prozent. Gepflegt werden sie an allererster Stelle ausschließlich von Angehörigen (54 Prozent). Nur bei weiteren rund 17 Prozent kommt ein ambulanter Dienst zusätzlich oder anstelle von Angehörigen.

Hier begleitet "Zur Sache Baden-Württemberg" eine Altenpflegerin auf einer ihrer Touren:

Auffällig ist, dass auch sehr viele Menschen mit dem höchsten Pflegegrad und damit intensivem Bedarf zu Hause versorgt werden - über 50 Prozent deutschlandweit. Ob das schlichte Notwendigkeit ist, weil man keinen Heimplatz findet oder auf eigenen Wunsch stattfindet, lässt sich aus diesen Zahlen nicht herauslesen.

Einerseits ist die gewohnte Umgebung sicherlich vielfach das, was sich die Menschen wünschen. Gleichzeitig kann die Pflege neben dem eigenen Beruf Angehörige auch belasten. Vertreter von Branchenverbänden befürchten, dass Angehörige nicht immer das leisten können, was ältere Menschen pflegerisch benötigen. Andererseits ist es auch nicht einfach, einen Platz in einem Heim zu bekommen und ein Heimplatz ist teuer.

Pflegeheime in Baden-Württemberg mit am teuersten

In Baden-Württemberg zahlen Pflegeheimbewohner - nach dem Saarland - deutschlandweit am meisten aus eigener Tasche dazu, nämlich 2.907 Euro pro Monat, im ersten Jahr im Heim. Das sind 134 Euro mehr als noch Anfang 2023. Das zeigt die aktuelle Auswertung des Verbands der Ersatzkassen.

In dieser Summe ist der Eigenanteil für die reine Pflege und Betreuung enthalten. Denn die Pflegeversicherung ist keine "Vollkasko" - sie trägt nur einen Teil der Kosten. Dazu müssen Heimbewohner Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen in den Einrichtungen selbst zahlen.

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Seit 2022 gibt es besondere Entlastungszuschläge für den Eigenanteil für die Pflege. Sie sind zum 1. Januar 2024 erhöht wurden. Der Zuschlag liegt jetzt im ersten Jahr im Heim bei 15 statt bisher 5 Prozent des Eigenanteils an den Pflegekosten, im zweiten Jahr bei 30 statt 25 Prozent, im dritten bei 50 statt 45 Prozent und ab dem vierten Jahr bei 75 statt wie bisher 70 Prozent. Die höheren Zuschläge bremsen den Kostenanstieg also etwas stärker ab.

Pflegende Angehörige entlasten - ein Beispiel aus Bad Waldsee

Ein Ansatz in Baden-Württemberg zur Entlastung von Familienmitgliedern ist die Kombination von unterschiedlichen Pflegeformen. Dazu gehört, etwa Kurzzeit- oder Tagespflegeplätze auszubauen, als Baustein neben der Pflege durch Angehörige. Darauf setzt die Landesregierung einen Schwerpunkt, wie das zuständige Sozialministerium auf SWR-Anfrage mitteilt. Beispielsweise gibt es Förderungen für den Ausbau von Pflegeplätzen. Das soll insbesondere pflegende Angehörige entlasten.

In der Reihe "Baden-Württemberg macht's" stellt SWR1 Baden-Württemberg ein Projekt aus Bad Waldsee (Kreis Ravensburg) vor. Der Verein "Solidarische Gemeinde Reute-Gaisbeuren" hilft, wenn Familien, die pflegen, eine Auszeit benötigen. Ihre pflegebedürftigen Verwandten können dann zu Gastfamilien.

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Neue Stimme für Pflegekräfte in Baden-Württemberg

Aktuell entsteht gerade eine Landespflegekammer, die die Interessen von Pflegekräften vertreten soll. Sie fordert beispielsweise eine bessere Bezahlung in der Altenpflege, aber auch eine generelle Aufwertung des Berufs. Beispielsweise, dass die Beschäftigten mehr Eigenverantwortung bekommen bei Krankheiten wie Diabetes.

Der Landespflegerat, die Landesarbeitsgemeinschaft mehrerer Berufsverbände und Fachgesellschaften, sieht eine Aufgabe der neuen Kammer auch darin, Daten zu erheben und den Beruf attraktiver zu machen. Allerdings gibt es am Verfahren, wie diese Berufskammer eingeführt wird, auch Kritik.

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So viele Baden-Württemberger sind künftig auf Pflege angewiesen

Berechnungen dazu, wie viele Menschen Pflege brauchen werden, werden jeweils für unterschiedliche mögliche Szenarien gemacht und hängen davon ab, wie sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft entwickelt. Das Statistische Landesamt gibt immer wieder Schätzungen ab für Baden-Württemberg. Es gibt auch eine Vorausberechnung des Kommunalverbands für Jugend und Soziales (KVJS), die zum Ergebnis kommt, dass 2035 rund 623.000 Menschen im Land pflegebedürftig sein könnten und von ihnen rund 220.000 professionelle ambulante oder stationäre Pflege benötigen werden, das wären 34.000 mehr als 2021.

Zwei unterschiedliche Rechnungen zeigen, dass zwischen 7.000 und 18.000 Menschen zusätzlich einen Heimplatz benötigen könnten. Je nachdem, ob der Trend stärker zur häuslichen Pflege geht oder ob ambulante und stationäre Pflege im Heim ähnlich verteilt bleiben wie 2021.

Die jüngste Pflegevorausberechnung des Statistischen Bundesamts kommt auf etwas höhere Zahlen für Baden-Württemberg und zwar auf 634.000 pflegebedürftige Menschen im Jahr 2035. Allein zwischen 2022 und 2025 könnte die Zahl der Menschen, die Pflege von Pflegediensten oder in Heimen benötigen, demnach um 10.000 steigen.

Der KVJS beispielsweise weist für seine Berechnungen auf Unsicherheiten hin: So ist die Zahl der Heimbewohner zuletzt in Baden-Württemberg - und auch in Deutschland - zurückgegangen. Setzt sich der Trend fort, könnte sich auch der Bedarf hier verringern - außer der Trend wäre kein freiwilliger, sondern dem vergeblichen Warten auf einen Heimplatz oder dem Personalmangel in Heimen geschuldet. Dann würden eher mehr Plätze benötigt.

Hunderttausende Pflegekräfte in Deutschland benötigt

Klar ist, dass der Pflegebedarf und damit auch der Bedarf an Pflegekräften weiter steigt. Auch nach 2035, davon geht der KVJS aus. Dazu müssten Plätze und Angebote ausgebaut werden - was wiederum vom Personal abhängig sei.

In Pflegeberufen zeigen sich seit Jahren bundesweite Engpässe. In Baden-Württemberg führen die Pflegeberufe (Fachkräfte) die Liste mit den Engpassberufen an.

Auf dem Arbeitsmarkt zeigt sich allerdings auch ein Missverhältnis: Im Dezember 2023 gab es ähnlich viele Arbeitssuchende und offene Stellen in der Pflege in Baden-Württemberg. Allerdings klaffen Angebot und Nachfrage auseinander: So haben Arbeitgeber deutlich mehr offene Stellen für Fachkräfte gehabt als für Helfer - bei den Arbeitssuchenden dagegen war das Interesse genau anders herum gelagert. Ähnlich bei Teilzeit: Das wünschen sich mehr Arbeitssuchende als es Arbeitgeber anbieten.

Deutschlandweit zeigt eine Aufstellung des statistischen Bundesamts eine Zunahme der Menschen, die ambulante oder stationäre Pflege benötigen um über 50 Prozent im Zeitraum von 2019 bis 2049 auf rund 2,74 Millionen. 2049 könnten demnach im günstigeren Fall 280.000 Pflegekräfte fehlen, bei einer ungünstigeren Entwicklung sogar 690.000 Fachkräfte.

Abhilfe durch bessere Arbeitsbedingungen und mehr Pflegekräfte aus dem Ausland

Als einen zentralen Hebel für die Fachkräftesicherung sieht die Landesregierung die Verbesserung der Rahmen- und Arbeitsbedingungen von Beschäftigten in der Pflege. Das Sozialministerium verweist auf das Pflegeberufe- und Pflegestudiumsstärkungsgesetz. Ein weiteres Gesetz werde Pflegekräften mehr Kompetenzen geben. Auch die Landespflegekammer werde dazu beitragen, dass der Beruf attraktiver werde.

Aber auch alle wichtigen Akteure, vor allem der Pflegeeinrichtungen, müssten zusammen helfen um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Dazu fördert das Land Beratungsstellen etwa zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen und Sprachkurse.

Außerdem planen das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration und das Ministerium der Justiz und für Migration gemeinsam eine zentrale Stelle zur Begleitung der Berufsanerkennung auf Landesebene, um die Verfahren schneller zu machen. Auch die Bundesregierung will dieses Ziel erreichen. Ob und wie das wirkt, das müsse aber erst abgewartet werden, erklärt der Landespflegerat Baden-Württemberg.

Auch Pflegeexperten halten gute Arbeitsbedingungen für sehr wichtig. Im Pflegeheim Rating Report 2024 fordern Experten aber auch mehr Geld. Es werde beispielsweise mehr privates Kapital benötigt - und dafür wiederum weniger Regulierung, wie zum Beispiel Vorgaben zur Heimgröße oder zu Zimmern. Auch der Landespflegerat Baden-Württemberg wünscht sich weniger Bürokratie und schnellere Verfahren, zum Beispiel wenn es um Baugenehmigungen für Heime geht.

Roboter als Pfleger? Pilotprojekte zeigen Möglichkeiten und Grenzen

Viele Branchenvertreter plädieren zudem für technische Lösungen. Beispielsweise durch Roboter oder künstliche Intelligenz - denkbar etwa bei einfachen therapeutischen Übungen, beim Vorbereiten von Medikamenten oder beim Verteilen von Essen.

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Fast zwei Jahre lang ist der Assistenz-Roboter namens LIO in Altenheimen in Konstanz und Schaffhausen eingesetzt worden. Nun wurden die Ergebnisse des Pilotprojekts vorgestellt.

Europaweit gibt es dafür Modellprojekte. Als Vorteil stellte sich heraus, dass Pflegekräfte dank Technik bei einigen Arbeiten entlastet werden konnten, und dadurch zum Beispiel mehr Zeit für Gespräche mit Patientinnen und Patienten hatten.

Teils konnten Roboter Veränderungen bei medizinischen Messwerten mit gespeicherten Daten abgleichen und Notrufe absetzen. Allerdings stellen sich auch viele juristische und ethische Fragen. Wann fördern selbstlernende und reagierende Computersysteme die Selbstständigkeit und wann nicht? Welche unterschiedlichen Erfahrungen gibt es schon?

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