Dialog der Generationen

Soziologe Heinz Bude: „Boomer“ haben gelernt, mit unklaren Situationen umzugehen

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INTERVIEW
Martin Gramlich

Jüngere Generationen werfen den sogenannten Boomern, also den Menschen mit Jahrgängen zwischen 1955 und 1970 vor, ihr verschwenderischer Lebensstil habe zu den aktuellen Problemen wie Klimawandel, Ressourcenknappheit, Vermüllung geführt. Der emeritierte Soziologe Heinz Bude rät in seinem Buch „Abschied von den Boomern“ zu einem differenzierten Blick auf das Erbe der Boomer.

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Man braucht die „Alten“ noch

Die Zeit, in der die die Boomer pauschal kritisiert wurden, ist nach Ansicht von Heinz Bude schon wieder vorbei. Denn die Jüngeren merkten, dass die Boomer noch gebraucht werden: Im Gesundheitssystem, als Anwälte, Lehrer. „Man trauert den Boomern noch ein wenig nach“, meint der Soziologe über den Stand des Generationen–Dialogs.

Befindlichkeit der Boomer gespalten

Die Befindlichkeit der Boomer bezeichnet Bude, selbst Jahrgang 1954, als gespalten: Einerseits seien sie froh, nichts mehr mit dem 2. Weltkrieg zu tun zu haben: Sie wüssten, dass das Schlimmste hinter ihnen liege, spitzt Bude das Gefühl zu. Andererseits wüssten sie, dass es zu viele ihresgleichen in ihrer Alterskohorte gebe.

Auch sei dieser Generation klar, dass sie von der Beschleunigung der Lebensverhältnisse in den 1950ern und 1960ern profitiert hätten. „Sie sind natürlich eine Generation, die Ressourcen in großem Umfang vernutzt hat“, bestätigt Bude die Kritik an der „Vernutzung“ von Ressourcen.

Im Generationendialog können beide Seiten lernen

Das „Contra“ der Kinder und Enkel habe in der Boomer-Generation nicht zuletzt eine Selbstreflexion angestoßen: „Sie weiß, dass sie ihren Kindern nicht auf der Tasche liegen kann“, so Heinz Bude. Der gemeinsame Nenner aus seiner Sicht: „Verantwortung wird großgeschrieben.“

Der Generationendialog zeige aber, dass umgekehrt auch die Jüngeren sich dafür interessieren, von den Boomern zu lernen. Konkret, so Bude mit Hinweis auf Katastrophen wie Tschernobyl oder 9/11: „Dass plötzlich etwas hereinbrechen kann, was Lebensformen verändert.“

Das Paradox sei, dass dies nicht das Ende der Welt bedeute, sondern dass es trotzdem weitergehen könne. Prägnant zugespitzt könne man die generationelle Erfahrung der Boomer auf den Nenner bringen: „Sie sind geschult, mit einer unklaren Situation umzugehen.“

Professor Heinz Bude wurde 1954 in Wuppertal als Sohn eines Schreiners geboren und sieht sich selbst als Bildungsaufsteiger. Er studierte zunächst Katholische Theologie, dann Philosophie, Soziologie und Psychologie in Tübingen und Berlin. Von 2000 bis 2023 war Bude Professor für Makrosoziologie an der Universität Kassel. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, darunter „Deutsche Karrieren“ (1987), „Gesellschaft der Angst“ (2014), „Solidarität“ (2019).

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2022 sind in Deutschland so viele Millennials an der Macht wie noch nie. Von den 736 Abgeordneten, die im Bundestag in dieser Legislaturperiode sitzen, sind 125 von ihnen unter 35 Jahre alt.

Einige dieser jungen Abgeordneten hat die junge Journalistin Livia Gerster für ihr Buch “Die Neuen” getroffen. Sie wollte herausfinden, was diese Millennials antreibt und wer sie sind. “Die jungen Politiker:innen zeigen sich auf Social Media super professionell”, sagt sie im Podcast, “und ich frage mich, wie ältere Politiker:innen ohne sowas anschlussfähig bei Jüngeren bleiben wollen”. Eine dieser jungen Politiker:innen ist Rasha Nasr (30) von der SPD.

Beide sprechen in „Was geht, bleibt?" darüber, welche Macht die jungen Abgeordneten haben, wie das Aufeinandertreffen von Boomern und Millennials im Bundestag war und wie wichtig ein gelungener Social Media-Auftritt ist: “Ich möchte mich nicht verbiegen”, sagt Rasha Nasr und beschreibt, wie wichtig Authentizität für ihre jüngere Generation ist.

Habt ihr noch mehr Themen, die wir uns dringend anschauen sollten? Schreibt uns an kulturpodcast@swr.de

Host: Kristine Harthauer
Redaktion: Kristine Harthauer und Christian Batzlen

Weitere Infos zum Thema:
Das Buch „Die Neuen“ von Livia Gerster ist am 02. November bei C.H. Beck erschienen.

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Die 80er und 90er Jahre sind zurück! Scheint zumindest so, wenn man aktuelle Musik hört oder Trends auf der Straße sieht. Und auch Apache 207 singt: “Ich seh' aus wie die Nineties, sie kriegt Daddy-Issues”. Aber woher kommt die Lust an der vergangenen Zeit? War früher wirklich alles besser? Oder reden wir uns die schnelllebige, digitale Gegenwart voller Krisen und Unsicherheiten schön?

Dass wir uns eher an positive Zeiten als an die negativen erinnern, bestätigt uns Monika Schönauer, sie ist Professorin für Neuropsychologin an der Uni Freiburg: “Je schlechter die Zeiten, desto mehr hat man einen Hang zur Nostalgie. In der Psychologie sagt man, Nostalgie ist ein Gefühl: Und wir können Erinnerungen abrufen, die dieses Gefühl auslösen.”

Pop-Experte und Autor Jens Balzer ist gerade aus den 90er-Jahren quasi wieder aufgetaucht: Er hat sich für sein neues Buch intensiv mit dem Jahrzehnt beschäftigt. Mauerfall, Ende des Kalten Krieges, das Ende der Geschichte: Es sie keine Überraschung, dass sich gerade viele nach den 90er-Jahren sehnen: “Die große Kriegsbedrohung, unter der man in den 80er-Jahren litt, war vorbei. Junge Menschen kamen ganz anders zusammen und feierten.” Diese Lust an Party habe zum Beispiel den Geist Berlins geprägt, der bis heute anhält.

Aber natürlich war früher eben nicht alles besser und Nostalgie hat nicht nur ihre schönen Seiten: Rechtspopulistische Politiker verklären gern die alten Zeiten und für viele, insbesondere queere Menschen, Frauen oder People of Colour waren die “guten alten Zeiten” oft alles andere als gut. Und es gebe natürlich auch ein kapitalistisches Interesse daran, die vergangenen Jahrzehnte zu verwerten, sagt Balzer: “Dass Serien wie Stranger Things gerade so populär sind, liegt auch daran, dass das die Generation der Boomer sei, die genug Geld hat, um zum Beispiel in die passenden Fashion-Items zu investieren.” Worin sich alle vier einig sind: Corona-Mottopartys in dreißig Jahren? Sie werden kommen!

Welches Jahrzehnt ruft bei euch nostalgische Gefühle hervor? Mailt uns, auch mit Feedback und Themenvorschlägen, an kulturpodcast@swr.de!

Host: Pia Masurczak und Christian Batzlen
Showrunner: Kristine Harthauer

Jens Balzers Buch über die 90er-Jahre: “No Limit. Die Neunziger - Das Jahrzehnt der Freiheit” https://www.rowohlt.de/buch/jens-balzer-no-limit-9783737101738

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