Porträt

Daniel de Roulet – Die rote Mütze

Stand
AUTOR/IN
Kathrin Hondl
REDAKTEUR/IN
Anja Höfer

Was nur wenige wissen: Die rote Mütze, die zum Symbol der Französischen Republik wurde, war ursprünglich die Kopfbedeckung von Schweizer Söldnern, die in den französischen Revolutionswirren Ende des 18. Jahrhunderts meuterten und hart bestraft wurden. Ihre Lebensgeschichten sind mehr als eine Fußnote der europäischen Geschichte, findet der Genfer Schriftsteller Daniel de Roulet und erzählt sie spannend nach.

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Im April 1782 – also gut sieben Jahre vor der Französischen Revolution - beginnt die Genfer Revolution. Mit ihr beginnt auch Daniel de Roulets Roman „Die rote Mütze“.

Die Menschen in den einfachen Vierteln, Natifs und Bourgeois, wollen nicht länger den Bankiers, den schmarotzenden Rentiers, den großen Patrizierfamilien unterworfen sein. König Ludwig XVI., der eine Demokratie vor den Toren seines Reiches fürchtet, nennt die Genfer «die Wütenden».

Die erste demokratische Revolution Europas in der Schweiz

Dabei wüten sie gar nicht. Die, so schreibt Daniel de Roulet, „erste demokratische Revolution Europas“ verlief friedlich - dauerte aber nur knapp drei Monate. Durchsetzen konnten sich die neuen Ideen erst Jahre später.

Denn Anfang Juli 1782 jagten die Genfer Patrizier mithilfe von konterrevolutionären Franzosen, Sarden und Schweizern die frühen Revolutionäre aus der Stadt.

„Aber diese erste Revolution, die ist auch nicht in Genf bekannt“,

sagt Daniel de Roulet und zeigt in der Genfer Altstadt auf die historischen Kanonen, die dort vor dem alten Zeughaus ausgestellt sind und noch heute zum Einsatz kommen - in Erinnerung an die Restauration von 1814.

„die Kanonen, die Sie da sehen. Jedes Mal am 31. Dezember schießen wir diese Kanone für die Restauration. Die Patrizier, die lokale Macht von vorher ist wieder an die Macht gekommen, hat all diese revolutionäre Sachen weg. Das wird heute noch gefeiert. Die Hauptfeier von Genf ist La Restauration.“ 

De Roulet aber interessiert sich für die „revolutionären Sachen“. In „Die rote Mütze“ erzählt er vom Schicksal der 1782 aus Genf verjagten Revolutionäre - und von einem weiteren wenig bekannten Kapitel der Schweizer Geschichte: Samuel, einer der jungen Revolutionäre, verdingt sich als Söldner.

Nur wenige im Regiment von Châteauvieux wollten Soldat werden. Manche von ihnen hatten Schulden, eine Familie zu ernähren, oder es war auf ihrem Hof das Heu gegoren, Feuer ausgebrochen und am Morgen trotz des Schnees alles verkohlt und qualmend. Der Rekrutierer hatte sie gedrängt, sein Formular zu unterschreiben. Er nennt es treffend Kapitulation.

„Für die Leute, die arm waren und keine Möglichkeit hatten, war der Söldnerdienst der Schweizer eine sehr wichtige Sache. Da waren mehr als 2 Millionen Schweizer als Söldner in ganz Europa gegangen und die waren berüchtigt und und teuer verkauft - also richtig als Söldner. Und du hast überhaupt keine Möglichkeit. Was? Wofür kämpfst du eigentlich? Und das ist eine richtige Geschichte.“

Revolutionäre Schweizer Söldner im Diest des Königs

Und was für eine: Die revolutionären Söldner aus Genf müssen nämlich 1789 in Paris ausgerechnet den französischen König verteidigen. Aber als ihnen dann der Sold verweigert wird, meutern sie.

Es ist eine fast schon absurde Geschichte, die auch mit Daniel de Roulets eigener Familiengeschichte zu tun hat. Der Besitzer des Regiments, dem sich der junge Genfer Revolutionär Samuel verkauft hat, ist einer seiner Vorfahren, der Adlige Jacques-André Lullin de Châteauvieux.

„Das ist ein Sauhund. Das ist ein unglaublicher Colonel Proprietaire. Und die machten, was sie wollten mit diesen 1000 Leuten. Ein Regiment waren immer 1000 Leute. Dieser Vorfahr, der hat 300 davon getötet und andere zum Straflager gebracht. Und ich habe dann gedacht, du musst etwas schreiben, du kannst diese Geschichte nicht so lassen. Das ist ein Motor zum Schreiben, also dieser Hass zu einem Vorfahren.“

Der Gefreite André Soret wird in aller Öffentlichkeit lebendig gerädert werden. Statt vor seinen Richtern zusammenzubrechen, lässt André seine Ketten rasseln und zitiert schlagfertig einen Satz von Rousseau: „Die Reichen sind wie ausgehungerte Wölfe, die, sobald sie Menschenfleisch nur einmal gekostet haben, alle andere Nahrung verwerfen und nichts als Menschen verschlingen wollen.“

Jahrelang recherchierte Daniel de Roulet in Archiven über die armen Söldner im Besitz seines Vorfahren – und machte sie zu heldenhaften Romanfiguren. Wobei das Wort „Roman“ auf dem Buchtitel in die Irre führt: „Die rote Mütze“ ist vielmehr ein langes Prosagedicht, eine Ballade in Versen. Kurz, knapp, rhythmisch, mitreißend.

„Irgendwie eine Art von Lyrik. Ich nenne das auf Französisch prose coupée – geschnittene Prosa.“

Auch ein Liebesroman

Und: „Die rote Mütze“ ist ein Liebesroman. In den Wirren der Pariser Revolution und den Qualen des Söldnerlebens sehnt sich der junge Samuel nach seiner großen Liebe - Virginie, einer schönen Fischerin vom Genfersee. Und wenn er ganz unglücklich ist, helfen Samuel Gedanken an den See und die Namen seiner Winde, den „Joran“ oder den „Vaudaire“.  

Gern denkt Samuel an den, der einfach Wind genannt wird. Wenn er am Horizont erscheint als indigoblauer oder schwarzer Streifen, dann gleicht der Genfersee dem Meer mit seinen großen Wellen, die heranrollen wie die Ringe eines Reptils. Der Wind ist die gleichmäßigste Luftströmung von allen, die sich streiten um den See, und die am wenigsten launische.

Daniel de Roulet, der gerade 80 geworden ist, hat aus dem Hass für seinen Vorfahren, den Söldnerchef, ein schönes liebevolles Buch gemacht. Er nennt es sehr richtig „Geschichte von unten“.   

Die Mächtigen erdrücken einen mit ihrem Erfolg. Ihren Sklaven, den weniger vom Glück Begünstigten, erteilt nur die Literatur das Wort.

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