Buchkritik

Angela Krauß – Das Weltgebäude muß errichtet werden. Man will ja irgendwo wohnen.

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AUTOR/IN
Jörg Magenau

Die Schriftstellerin Angela Krauß lebt in einem ganz besonderen Haus in Leipzig. Davon erzählt sie in „Das Weltgebäude muss errichtet werden. Man muss ja irgendwo wohnen“. In ihrer Dichtung bringt sie das kleine Besondere mit dem großen Ganzen in Einklang. Ihre Prosa ist nichts weniger als die Suche nach dem Ort des Menschen im Universum. Diese Suche führt sie am eigenen Beispiel vor. 

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Die Bücher von Angela Krauß sind schmal, doch hochkonzentriert. Sie gehen nicht in die Breite, sondern in die Tiefe. Man muss sie mehrmals lesen; das gleicht ihre Kürze aus. „Das Weltgebäude muss errichtet werden. Man will ja irgendwo wohnen“, lautet der poetische Titel ihres neuen Prosawerkes, in dem sie das Universale und das Individuelle zusammenklingen lässt. Bei Angela Krauß geht es immer um die Frage, wo und wie der Mensch sich in Raum und Zeit verankern kann. Diese Verortung ereignet sich genau dort, wo sie seit langem lebt: in der oberen Etage eines Altbaus in Leipzig, der den Blick auf das Areal des Güterbahnhofs, vor allem aber in den Nachthimmel frei gibt, wo die blinkenden Frachtflugzeuge der Post den nahen Flughafen ansteuern. 

Delikate Dreieinigkeit: Besuch von Postbotin, Tänzerin und Fee 

Die Füße auf dem historischen Boden der Tatsachen, den Kopf im nach oben offenen Nachthimmel: Das ist der Ort ihrer traumhaften Existenz. Hier bekommt ihre Ich-Erzählerin Besuch von einer engelsgleichen Postbotin, von einer Tänzerin, die naturgemäß auf Bewegungen in Raum und Zeit spezialisiert ist, und von einer Fee, die ihr einen Wunsch gewähren möchte, nur einen, und auf die Nachfrage der Träumerin, wieso nicht drei? mit einem lakonischen „Zu spät“ antwortet. 

Sich auf nichts weniger als das Universum zu beziehen gibt Halt und Beistand. Erst recht, da dieses Universum noch kaum erforscht ist, fast zur Gänze unbekannt. Obendrein unendlich. Kann es im Unendlichen ein Zu-spät geben? Gelegentlich wird die Menschheit von Entdeckungen ihrer Teleskope überrascht. (…) Der Mensch merkt auf. Er spürt, es bleibt etwas ungesagt: Wir leben im Ungewissen. 

Leipziger Haus mit Sternwarte auf dem Dach 

Dieses Ungewisse mag beunruhigen, ist aber zugleich erwünscht. Was wäre das Leben, wenn alle Türen und Räume geschlossen blieben? Nicht zufällig ist der Leipziger Altbau mit einem Torhaus ausgestattet und mit einer Sternwarte auf dem Dach. Tore und Türen und Ausblicke spielen in diesem Universum eine zentrale Rolle, auch eine Tapetentür, die sich leicht übersehen, hinter der sich aber auch wohnen lässt. Durchlässe, Durchgänge, Geburtsvorgänge sind miteinander zu einer architektonisch zu bestimmenden Existenz verwoben, in der das Ich immer wieder sich selbst als etwas Fremdem begegnet. 

Angela Krauß‘ Bücher sind Schwebe-Essayistik 

Angela Krauß schreibt keine Romane oder Erzählungen. Ihr Ich handelt nicht, also gibt es auch keine Handlung im engeren Sinn. Sie schreibt Gedankenpoesie, eine lyrische Prosa oder traumhaft schwebende Essayistik. Kein Wunder, dass ihre Bücher ohne Gattungsbezeichnung auskommen müssen, weil sie in keine Schublade passen.  

Die Welt ist unbenannt, wenn der Mensch in sie gleitet, ein Alles und ein Nichts, ein jäh aufklingender Raum der Erwartung, und alle Räume dieses Weltgebäudes sind vorerst verschlossene Orte des Wissens, das vergessen wurde.  

Die Kapitelüberschriften bilden aneinandergereiht den Gang durch das Gebäude nach. Auf die „Hallen der Erwartung“ und „Tore der Verwandlung“ folgen „Küchen und Keller“ und „Kinderzimmer“. Letztere sind, wie auch andere Räume im Haus, von Erinnerungen bewohnt, so dass das Haus auch ein Gehäuse für biographische Bruchstücke ist. Die Orts- und Selbstbetrachtung endet schließlich in der Sternwarte unterm Dach. Da darf sich das erzählende, erlebende Ich schon einmal auf die Ewigkeit einstellen und an andere Dimensionen des Daseins gewöhnen. Um nicht weniger geht es der 73-jährigen Angela Krauß in ihrem kleinen, groß angelegten Versuch der Daseinsverwandlung.  

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