Buchkritik

Zdena Salivarová – Ein Sommer in Prag

Stand
AUTOR/IN
Jonathan Böhm

In „Ein Sommer in Prag“ erzählt Zdena Salivarová die leichtfüßige Geschichte einer jungen Sängerin im Prag der späten 50er Jahre. Auf eine Auslandstournee darf sie nicht mitfahren, doch trotz Intrigen, Bespitzelung und extremer Verluste bewahrt sie sich ihre Chuzpe und ihren Straßenwitz. 

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Ein Sommer in Prag irgendwann in den frühen 1950er Jahren: Die Sonne brennt heiß vom Himmel, die Menschen im Schwimmbad haben krebsrote Rücken, die Blumen im Park verdorren und Jana Honzlová, Sängerin und Tänzerin im staatlichen Folkloreensemble Sedmikrása, sitzt tagein tagaus im Büro, bearbeitet die hin und wieder anfallende Post und hat Zeit. Sehr viel Zeit. Schon oft durfte sie nicht auf Auslandstourneen mit und auch dieses Mal, als das ganze Ensemble samt Chef nach Finnland reist, muss sie in Prag bleiben. 

Die Sängerin Jana darf nicht mit nach Finnland 

Über die Gründe kann sie nur mutmaßen. Liegt es daran, dass ihr Vater in die USA geflohen ist? Daran, dass ihre Mutter kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn sie mit den Nachbarn über die Verkommenheit von Staat und Partei spricht? Sicher ist nur, es gibt offenbar jemanden im Ensemble, der ein Interesse hat, Jana zu schaden. Aber wer? Selbst die Dokumente, die Jana im Safe ihres Chefs findet, geben darüber nur bedingt Auskunft. 

Die meisten Beurteilungen erinnerten an Berichte, wie sie in dunkelsten Feudalzeiten die Kreishauptmänner Seiner Kaiserlichen Hoheit erstattet hatten und überschlugen sich in Empfehlungen, wie mit mir zu verfahren sei. Die netteren gaben irgendeinem Vorgesetzten den Tipp, mich zur Umerziehung in die Schwerindustrie zu schicken. 

Die 1933 geborene Zdena Salivarová hat in ihren ersten Roman durchaus einige autobiographische Details einfließen lassen. Wie Jana war auch sie selbst einst Sängerin und Tänzerin im staatlichen tschechoslowakischen Folkloreensemble, auch ihr Vater floh in die USA und ihr Bruder verbüßte ebenfalls eine zehnjährige Haftstrafe mit Zwangsarbeit in den Uranminen von Jáchymov.

Dennoch ist ›Ein Sommer in Prag‹ kein autofiktionaler Text, der sich am eigenen Erleben entlanghangelt, denn die Geschehnisse sind kunstvoll verwoben, mit einem guten Gespür für Dramatik arrangiert und zugespitzt und haben ja auch eine profunde politische und zeitdokumentarische Bedeutung. 

Zdena Salivarová veröffentlichte ihren Roman in Kanada 

Salivarová schrieb diesen Roman in den Jahren 1968 bis 1969, veröffentlicht wurde er jedoch erst 1972 und auch nicht in der Tschechoslowakei, sondern im kanadischen Exil, in das die Autorin nach der Niederschlagung des Prager Frühlings gegangen war. Zu direkt war die Kritik in ihrem Roman an den kommunistischen Zuständen:

Darin wohnt Hauptfigur Jana mit ihrer Mutter, der kleinen Schwester Andula und dem Bruder Hugo in einer heruntergekommenen Wohnung in Karlín, einem eher unglamourösen Stadtteil Prags. Die baufällige Pawlatsche der Familie, eine Art Hinterhofbalkon, wird trotz mehrfacher Bitten ewig nicht repariert, bis er eines Tages herunterbricht. Die Straßenbahnen sind ständig überfüllt, weshalb Jana meist zu Fuß läuft. Die Leute aus der Partei sind allesamt Karrieristen mit einem Hang zur Kleinkriminalität.

Und als ihre Kollegin Frau Pelikánová eines Tages überraschend stirbt - ausgerechnet als Jana bei ihr zu Besuch ist - versucht die Staatssicherheit, Jana einen Mord anzuhängen, um sie zu nötigen, inoffizielle Mitarbeiterin zu werden und ihre Kollegen zu bespitzeln. 

Leicht lesbar und doch existentiell dringlich 

Die studierte Dramaturgin Salivarová hat ihren Roman sehr präzise gebaut. Er ist flott zu lesen, denn die Sprache ist locker und sehr an der Mündlichkeit orientiert. Die Sprache zeigt Janas sarkastischen Blick auf die Welt. Als Andula fünfzehnjährig schwanger wird und den Kindesvater - einen Soldaten - heiraten will, kommentiert Jana das so: 

Das Wasser fing an zu kochen, und ich bereitete drei Tassen Tee zu. Das wär natürlich ´n Desaster. Noch ein Baby. In dieser engen Bude. Und den Landser als Dreingabe. Wo waren verflixt noch mal die Untertassen, ich konnte nirgends welche finden. Egal, so konnte er gleich mal sehen, dass Andula keine gute Partie war. Ich stellte die Tassen auf ein angeschlagenes Tablett und trug es rüber in die Stube. 

Beklemmend ist im Verlauf der Lektüre vor allem die Allgegenwart der Spitzelei. Nicht nur, weil Herr Sedláček Jana so bedrängt, sondern weil Jana sich bei ihrem Gegenüber nie sicher sein kann, ob es sie aus ehrlichen Motiven kennenlernen oder nur etwas über ihre Gesinnung in Erfahrung bringen will.

Derart Beklemmendes so zu schreiben, dass es sich leicht liest und trotzdem nichts von seiner existentiellen Dringlichkeit einbüßt, das ist große Kunst. Dass dies im Deutschen ebenso gut aufgeht wie im Original, ist nicht zuletzt der hervorragenden Übersetzung zu verdanken. 

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