Comic-Sammelband gegen Regime im Iran

Marjane Satrapi: „Frau, Leben, Freiheit“ – Neuer Comic der „Persepolis“-Autorin

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Kristine Harthauer
Kristine Harthauer, SWR2 Autorin und Moderatorin (Foto: SWR, Giordana Marsilio )

Ein Jahr nach dem gewaltsamen Tod der 22-jährigen Mahsa Amini in einem iranischen Gefängnis erscheint bei Rowohlt der Comic-Sammelband „Frau, Leben, Freiheit“ – betitelt nach dem Slogan der iranischen Protestbewegung. Herausgeberin ist Marjane Satrapi, die mit ihrem autobiographischen Comic und Animationsfilm „Persepolis“ weltbekannt wurde. Die Texte und Bilder von Exil-Iranern und Comic-Zeichnerinnen geben tiefe Einblicke in die iranische Gesellschaft.

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Das Schicksal Toomaj Salehis ist eines von vielen, die der Sammelband erzählt

„Sag Hallo zum Gefühl der Freiheit in deinem Haar“ rappt Toomaj Salehi. Seine Leidenschaft Rap ist im Iran streng verboten. Doch das hat Toomaj nie davon abgehalten, seine regimekritischen Lieder in den sozialen Medien zu teilen. Letztes Jahr wurde Toomaj Salehi dafür verhaftet. Er soll gefoltert worden sein, ihm drohte die Todesstrafe. 

Ein großes Plakat steht bei einer Protestaktion gegen das Iran-Regime auf dem Pariser Platz. Es zeigt den iranischen Rapper Toomaj Salehi. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Paul Zinken)

Toomaj Salehis Schicksal ist eines von vielen, das in dem Comic-Band „Frau, Leben, Freiheit“ festgehalten wird. Sowohl Männer als auch Frauen, die gegen das iranische Regime auf die Straße gegangen sind, die weggesperrt oder hingerichtet wurden. Allen voran die Frau, deren Tod der Auslöser der landesweiten Proteste war: Mahsa Jina Amini.

Trailer: Animationsfilm „Persepolis“ von Marjane Satrapi

Nach Aminis Tod konnte Marjane Satrapi nicht mehr schweigen

Mahsa Jina Aminis Tod sei nicht nur der zündende Funke der Revolte gewesen, sagt die Comicautorin Marjane Satrapi. Auch für sie sei klar geworden, dass sie zur Lage in Iran nicht mehr schweigen könne.

Satrapi lebt im Exil in Paris. Sie wurde mit ihrem autobiographischen Comic „Persepolis“ weltberühmt, hat aber seit gut 20 Jahren der Comic-Szene den Rücken gekehrt. Nun aber trommelte sie für den Band „Frau, Leben, Freiheit“ mehr als zwanzig internationale Politologen, Historiker und Comiczeichnerinnen zusammen.

Herausgekommen ist ein detailliert recherchierter, vielstimmiger Comic-Sammelband, der nicht nur eine Hommage an die letzte Revolution ist. Sondern der auch in zwei weiteren Kapiteln die Geschichte des Landes vorstellt und den gefährlichen Alltag von Menschen, die sich nicht an die vielen Verbote halten. 

Vielfältige Perspektiven fügen sich zu einem Mosaik zusammen

In dieser Vielseitigkeit zeigt sich auch das Potential eines solchen Comic-Sammelbandes: Mal eher realistisch, mal grotesk, von Sachcomic bis hin zu persönlichen Geschichten - wie in einem Mosaik fügen sich Einblicke in die iranische Gesellschaft zusammen, Einblicke die einem sonst verwehrt bleiben:

Eltern, die sich Sorgen vor den Giftanschlägen an den Schulen ihrer Töchter machen, Studentinnen, die in der Kantine getrennt von ihren Kommilitonen die schlechteren Speisen essen müssen. Bis es auf dem Campus zu einem gemischten Protest-Picknick kommt. Oder ein Comic, der ohne Text, nur in Bildern erzählt, wie eine junge Frau geschickt all die Dinge tut, die verboten sind: 

Rapper Toomaj Salehi wurde vor wenigen Tagen gegen Kaution entlassen

Rapper Toomaj Salehi wurde vor wenigen Tagen gegen eine Kaution aus der Haft entlassen – nach mehr als einem Jahr. Doch bei dieser guten Nachricht darf nicht vergessen werden, dass weiterhin Demonstranten hingerichtet und Frauen wegen eines fehlenden Kopftuches niedergeschlagen werden.

Der Prostet, er lebt weiter. Auch mit Marjane Satrapis Comic-Band, der ohne Angst über das korrupte Regime und die mutigen Menschen in Iran aufklärt, auf Farsi soll er kostenlos zum Herunterladen angeboten werden.

Unterdrückung und Proteste im Iran

Ein Jahr nach dem Tod von Mahsa Amini Exil-Iranerinnen in Deutschland: „Ich weiss, dass wir vom Regime beobachtet werden“

Ein Jahr nach dem gewaltsamen Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini hat das Interesse aus dem Westen an der Protestbewegung im Iran nachgelassen. Exil-Aktivistinnen in Deutschland machen weiterhin lautstark auf die Situation in ihrer Heimat aufmerksam. Das Regime hat das im Blick – und reagiert mit Einschüchterungsversuchen bis hin zu Morddrohungen.

SWR2 am Morgen SWR2

Forum Ein Jahr nach den Protesten im Iran – Der Nahe Osten sortiert sich neu

Claus Heinrich diskutiert mit
Dr. Rainer Hermann, ehemaliger FAZ-Korrespondent im Nahen Osten
Karin Senz, ARD-Hörfunk-Korrespondentin für Türkei, Iran, Zypern, Istanbul
Dr. Sebastian Sons, Center for Applied Research in Partnership with the Orient, CARPO

SWR2 Forum SWR2

Iran

Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. "Frauen, Leben, Freiheit": Schreibt der Iran gerade feministische Weltgeschichte?

Eine junge Frau ohne Kopftuch, die auf dem Dach eines Autos steht und „Tod dem Diktator“ ruft. Zwei Frauen, die ohne Kopftuch frühstücken gehen. Frauen, die gegen die allgegenwärtige Sittenpolizei protestieren. Noch vor kurzer Zeit wäre all das im Iran undenkbar gewesen.

Seit etwa zwei Wochen ereignen sich derartige Szenen in der Islamischen Republik immer wieder. Auslöser der Proteste war der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, die von der Sittenpolizei festgenommen wurde und später im Krankhaus starb. Die daraus entstandenen Proteste berühren einen Kernbestandteil der Islamischen Republik: die Pflicht für Frauen, ein Kopftuch zu tragen.

Schreiben die Frauen im Iran gerade feministische Weltgeschichte? „Ja“, sagt die Journalistin Natalie Amiri im SWR2 Podcast „Was geht - was bleibt“. „Denn auf den Straßen stehen Frauen, sie reißen sich das Kopftuch vom Leib, unter dem Beitrag von Männern und Frauen, sie verbrennen ihre Kopftücher, sie widersetzen sich der Sittenpolizei, die sie mehr als 40 Jahre lang diskriminiert hat, beleidigt, beschimpft, verhaftet und in Mini-Busse gezerrt und sie fertig gemacht hat. Die Frauen, die jetzt sagen: Wir machen nicht mehr mit.

Aber – so Amiri – das Regime schlage hart zurück. Die Frauen im Iran litten seit mehr als 43 Jahren, „ich habe nie so willensstarke Frauen wie die im Iran gesehen“, sagt Natalie Amiri. Feminist*innen auf der ganzen Welt sollten sich noch weitaus mehr mit den Frauen im Iran solidarisieren, ein Kopftuchverbot zum Beispiel in Deutschland lehnt Amiri jedoch ab: „Wenn wir hier in der Demokratie, in Freiheit Frauen verbieten Kopftücher zu tragen, wären wir nicht viel besser als die Islamische Republik.“

Die Politologin und Aktivistin Emilia Roig sieht die iranischen Proteste im Kontext eines weltweiten Feminismus: „Der Protest zeigt, wie tödlich das Patriarchat im Iran ist. “Auch in Deutschland gebe es Gewalt gegen Frauen, so Roig: „Alle drei Tage wird hier eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet.“ Man müsse das Patriarchat „jeden Tag verlernen“, „wir müssen die unterlegene Position der Frauen verlernen und auch die binäre Geschlechtsordnung.“

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Host: Philine Sauvageot
Redaktion: Philine Sauvageot und Daniel Stender

Comic bei SWR2

Gespräch „Gerne würdest du allen so viel sagen“: Ein Comic über einschneidende Ereignisse des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart

Mit der Endphase der Weimarer Republik beginnt der Band „Gerne würdest du allen so viel sagen“, denn „wir wollten expliziter in die Geschichte des Dritten Reichs einsteigen“, sagt Kai Pfeiffer, Herausgeber der neuen Comicanthologie bei SWR2.

SWR2 Kultur aktuell SWR2

Comic „Vatermilch”: Wie Uli Oesterle die Lebensgeschichte seines Vaters im Comic verarbeitet

Uli Oesterles Vater war Markisenvertreter, Lebemann und später, nachdem er seine Familie sitzengelassen hatte, obdachlos und alkoholkrank. Nach seinem Vorbild hat Oesterle die Figur Rufus Himmelstoss für seinen Comic „Vatermilch“ erschaffen.

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