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Pop-Experte Jens Balzer untersucht die 90er-Jahre: „No Limit – das Jahrzehnt der Freiheit“

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Doris Maull (Foto: SWR, SWR -)
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Jens Balzer
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Nach den 70er und 80er-Jahren untersucht Jenz Balzer in seinem neuen Buch die 90er-Jahre aus dem Blickwinkel der Popkultur. Gerade hier habe sich diese Herangehensweise angeboten, so Balzer, weil die Auseinandersetzung mit den Achzigern „mit einem ganz großen Cliffhanger“ endete: dem Fall der Berliner Mauer.

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Zweimal schon hat sich der Autor Jens Balzer mit Sound, Geist, Kultur und Politik eines Jahrzehnts befasst: vor vier Jahren ging es in „Das entfesselte Jahrzehnt“ um die 70er-Jahre, zwei Jahre später in „High Energy“ um die 80er – und im Juni 2023 erscheint Balzers Auseinandersetzung mit den 90er-Jahren mit dem Titel „No Limit. Die Neunziger – das Jahrzehnt der Freiheit“.

Loveparade Berlin  (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / dpa)
Am 1. Juli 1989 fand die erste Loveparade in Berlin statt, die Veranstaltung wurde in den 90ern zu dem Event schlechthin für Technobegeisterte.

Nach dem Fall der Mauer waren alle Menschen gleich – aber nur kurz

Welche gesellschaftlichen Veränderungen spiegeln sich also in der Popkultur der 90er? Im Berliner Techno – „wenn alle sich zu einem großen Bumm-Bumm-Bumm-Rhythmus zusammenfinden“, so Balzers These, habe sich zunächst das Gefühl ausgedrückt, „alle Unterschiede zwischen den Menschen“ seien verschwunden.

Allerdings seien die Differenzen dann „sehr schnell wieder eingezogen worden“ – und entlang dieser Linie ließen sich die politischen und kulturellen Geschehnisse der Neunziger gut nachvollziehen.

Die 90er-Jahre waren ein Jahrzehnt intensivierter Individualisierung

Eine der „wesentlichsten Entwicklungen der 90er-Jahre“, so Balzer weiter, sei eine weiter intensivierte Individualisierung: „Alle wollten jetzt ganz besonders sein, alle wollten Freaks sein, alle ließen sich plötzlich tätowieren.“

Auch sonstige Körpermodifikationen wie Brust-OPs und Botox kämen in jener Dekade geschlechterübergreifend in Mode. Daran zeige sich der Wunsch vieler Menschen, etwas „ganz Besonderes“ zu sein. Das wiederum spiegle sich in der neoliberalen Wirtschaft der 90er-Jahre wider, wie beispielsweise der Begriff der „Ich-AG“ zeige.

„Alle wollten jetzt ganz besonders sein, alle wollten Freaks sein, alle ließen sich plötzlich tätowieren.“

Der Anfang von Mobiltelefonie, Internet, Social Media

In den 90er-Jahren, so Balzer weiter, beginne „viel von dem, was unsere Gegenwart prägt“. Er verweist auf Soziale Netzwerke, die in den Nullerjahren der Individualisierung einen enormen Schub verliehen hätten, auf die Anfänge des Internets und der mobilen Kommunikation, Stichwort: Handy.

„Viel von dem, was uns heute beschäftigt, sehen wir gewissermaßen in einer Nussschale in den 90ern.“

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