Kommentar

Populismus, Geschäfte und Privat-TV: Berlusconis ambivalentes Kulturerbe

Stand
AUTOR/IN
Thomas Migge
ONLINEFASSUNG
Clemens Zoch

Populismus und Privatfernsehen – das sind die beiden zentralen Begriffe, um sich der kulturellen Bedeutung des „cavaliere“ anzunähern. Thomas Migge, langjähriger Italienkorrespondent, kommentiert das kulturelle Erbe Berlusconis – eines „alten weißen Mannes mit großer Geltungssucht“.

Audio herunterladen (3,3 MB | MP3)

Frauenheld, Unternehmer, Politiker und Möchtegernkönig

Italiens ehemaliger Ministerpräsident Silvio Berlusconi ist tot – er starb am 12. Juni im Alter von 86 Jahren. Viermal war er Regierungschef in Rom, niemand hat das Land länger regiert.

Aber – neben dem Politiker war da ja auch noch der Medienunternehmer Berlusconi. Und der hat Italiens Medien- und Kulturlandschaft vermutlich noch viel nachhaltiger verändert als der Politiker Berlusconi.

Schon 1972 „beglückt“ Berlusconi die Bewohner seiner Trabantenstadt mit Privat-TV

Kulturpolitisch kann man unumwunden sagen, dass der Mailänder Unternehmer Italien einen kräftigen Ruck versetzte. Als er 1972 in der von ihm gebauten Mailänder Trabantenstadt „Milano 2” die neuen Bewohner mit einem eigenen lokalen TV beglückte, ahnte niemand, dass das der Beginn einer ganz großen Fernsehmacherkarriere werden würde.

Audio herunterladen (5,4 MB | MP3)

Erfolg mit seichter Unterhaltung nach US-amerikanischem Vorbild

Der umtriebige Berlusconi setzte ganz nach US-amerikanischem Vorbild auf seichte und oberflächliche, witzige und freche Unterhaltung, auf kurze und knackige Nachrichtensendungen und immer auch auf die Präsenz luftig gekleideter attraktiver junger “signorine”, die lächelten und selbst die hässlichsten männliche Moderatoren gut aussehen ließen. Der Mailänder Lokalsender war ein voller Erfolg.

TV-Übertragungsrechte am Gesetz vorbei erworben

Dank enger politischer Kontakte zu seinem Busenfreund Bettino Craxi, der als sozialistischer Regierungs- und Parteichef Berlusconi stets zu Diensten war, konnte dieser seine TV-Übertragungsrechte schnell und gewieft auch am Gesetz vorbei ausbreiten. Zunächst über ganz Mailand, dann über die Region Lombardei hinaus und schließlich über ganz Italien.

Berlusconi ließ das öffentliche Fernsehen alt aussehen

Das bis dato noch seriöse und ein wenig hausbacken wirkende Staatsfernsehen RAI sah plötzlich richtig alt aus. 1981 erwarb sein Medienunternehmen Mediaset verschiedene andere TV-Sender und wurde mit seinen Kanälen zum gefährlichsten Gegner der RAI. Bis heute.

Zeitungen verkamen unter Berlusconi zu Propagandablättern

Während Berlusconi auf seinen Fernsehkanälen einen gewissen politischen Ton vorgab, wehe wer ausscherte, ließ er seine Buchverlage tun und lassen was sie wollten.

Der Eigentümer von Verlagsriesen wie Mondadori und Einaudi war nur an guten Umsätzen interessiert. Ob da auch Bücher von politischen Gegnern oder Berlusconifeinden veröffentlicht wurden kratzte ihn herzlich wenig.

Das galt auch für die Filme, die seine eigene Kinokette Medusa Cinema ausstrahlte. Nervös wurde Berlusconi aber in seiner Rolle als Zeitungsmacher. Das viel gelesene Wochenmagazin “Panorama” und die Tageszeitung “il Giornale” verkamen unter ihrem Eigentümer zu Propagandablättern. 

Audio herunterladen (9,8 MB | MP3)

Riesiger kulturpolitischer Einfluss mit Berlusconi-TV

Seinen wohl größten kulturpolitischen Einfluss hatte der Frauenheld, der Unternehmer, der Politiker und Möchtegernkönig von Italien unbestritten mit seinen national ausstrahlenden Fernsehsendern. 

Je mehr Erfolg sie hatten und je mehr Werbung sie auf sich konzentrieren konnten, dank eines Berlusconi eigenen Werbeunternehmens, um so mehr versuchten die RAI-Gewaltigen die privaten Sender nachzuäffen.

Plötzlich traten die attraktiven “signorine” auch im Staatsfernsehen auf

Plötzlich waren mit ihren Körperrundungen reizvoll wackelnde und tanzende Mädels in Massen auch in den immer häufigeren Shows des Staatsfernsehens zu sehen. Auch die ausgestrahlten Filme wurden immer oberflächlicher und so glichen sich – bis auf den dritten Kanal der Rai, der immer von den Linken kontrolliert wurde – das Staats- und Berlusconis Fernsehen immer mehr an.

Zum ersten Mal homosexuelle Liebe im italienischen Fernsehen gezeigt

In diesem Sinn hat Berlusconi die Medienlandschaft nachhaltig beeinflusst. Oder auch “versaut”, wie seine Kritiker meinen. Aber er war auch jener im katholischen Italien erstaunlich weltoffene Fernsehmacher, der in den 1990er Jahren zum ersten Mal überhaupt Serien und Filme zu so heißen Themen wie homosexueller und lesbischer Liebe und alternative Familienkonzepte ausstrahlte und damit viele Diskussionen sowie einen Bewusstseinswandel auslöste.

Gespräch Zum Tod von Silvio Berlusconi - „In jeder Hinsicht ein ungewöhnlicher Politiker“

Sicherlich sei Silvio Berlusconi ein Populist gewesen, sagt Nino Galetti, Leiter der Konrad Adenauer Stiftung in Rom, aber „ein positiver Populist“.

SWR2 Kultur aktuell SWR2

Zum Tod vom Silvio Berlusconi Charmanter Blender – Eine Italienerin nimmt Abschied von Silvio Berlusconi

Die Italiener haben Berlusconi gemocht, so Redakteurin Giordana Marsilio in SWR2. Er habe ihn weisgemacht, sie hätten keine Probleme.

SWR2 Journal am Mittag SWR2

Stand
AUTOR/IN
Thomas Migge
ONLINEFASSUNG
Clemens Zoch