Backstreet Boys (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / mpi04/MediaPunch)

He wants it that way

30 Jahre Backstreet Boys: Lou Pearlman und das kalkulierte Geschäft mit der Schwärmerei

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Franziska Kiedaisch
Franziska Kiedaisch, Autorin und Redakteurin, SWR Kultur (Foto: SWR, Franziska Kiedaisch)

In den 90ern ließen sie Herzen höher schlagen, bis heute füllen die Backstreet Boys Hallen begeisterter Fans – größtenteils weiblich, oftmals kreischend, dem Teeniealter mittlerweile entwachsen. Die „Boys“ sind heute erwachsene Männer und ihr Erfolg war kein Zufall. Als die Band vor 30 Jahren gegründet wurde, ging es ihrem Erfinder vor allem um eins: Geld. Die Geschichte hinter der Bandgeschichte.

Backstreet Boys (Foto: IMAGO, imago stock&people/teutopress)
Mehr 90er auf einem Bild geht vermutlich gar nicht: Die Backstreet Boys auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs im Jahr 1996.

Es ist nicht die musikalische Passion, die vor 30 Jahren – am 20. April 1993 – Nick, Brian, Kevin, AJ und Howie zusammenführt. Es ist auch nicht die jahrelange Freundschaft unter sangeslustigen Jungs, die die Fünf schließlich als Backstreet Boys gemeinsam auf die Bühne bringt. Es ist die Gier eines einzelnen mächtigen Mannes, der aus den Träumen junger Männer Kapital schlägt und sich auf ihre Kosten bereichert.

Der Mann hinter den Backstreet Boys heißt Louis „Lou“ Pearlman, von seinen Zöglingen lässt er sich „Big Poppa“ nennen. Pearlman ist das, was man gemeinhin einen windigen Typen nennt: ein umtriebiger und exzellent vernetzter Unternehmer mit visionären Ideen, der nicht davor zurückschreckt, seine Ziele auch durch kriminelle Machenschaften zu erreichen.

Lou Pearlman  (Foto: IMAGO, imago images/Everett Collection)
Er hatte ein gutes Händchen für erfolgversprechende Idee: Lou Pearlman gründete viele Boybands und gilt auch als Begründer von Casting-Shows.

Pearlman ist nicht nur der Erfinder der Backstreet Boys, sondern auch der Kopf hinter Bands wie *NSYNC, O-Town oder Natural. Ferner hatte er die Idee zur Strip-Kombo Chippendales und der Casting-Show „Making the Band“.

Vor allem aber ist der 2016 verstorbene Pearlman ein Verbrecher. Was für eine Geschichte verbirgt sich hinter diesem Mann?

Pearlman ging es nicht um Musik, sondern um Profit

Pearlman, der Cousin von Art Garfunkel, baute zunächst ein Helikopter-Unternehmen in New York auf und beförderte damit vorrangig Promis. Als er den Manager der New Kids on the Block kennenlernte und von den exorbitanten Einnahmen der Band erfuhr, beschloss er kurzerhand, selbst eine Boyband zu gründen.

Von Beginn an ging es ihm nicht um die Musik, sondern um die Herzen kleiner Mädchen – mit denen man sehr gut Reibach machen konnte. Einst entgegnete Pearlman auf die Frage, wann es mit dem Boyband-Trend zu Ende sein würde: „Ich sage Ihnen genau, wann es zu Ende gehen wird. Wenn Gott aufhört, kleine Mädchen zu machen. Bis es soweit ist, machen wir weiter.“

Backstreet Boys Fans 1997 (Foto: IMAGO, imago images/BRIGANI-ART)
Mit der Schwärmerei von Teenies machte Lou Pearlman Kasse. Die Aufnahme zeigt das Publikum eines Backstreet-Boys-Konzerts im Jahr 1997.

Eine Zeitungsannonce steht am Anfang der Backstreet Boys

1992 schaltete er in Orlando eine Zeitungsannonce und lud mehrere hundert junge Männer zum Casting in einem seiner Hangars ein. Orlando galt seinerzeit als Hollywood der Popbranche, mit Freizeitparks wie Disney World und der Sendung Mickey Mouse Club war es der Ort, an dem der Traum vom großen Durchbruch, vom Leben auf der Bühne, vom Star-Sein und Bewundert-Werden für junge Menschen greifbar wurde.

Alexander James McLean, genannt AJ, und Howard „Howie“ Dorough kannten sich bereits von anderen Castings. Auch Nicholas Gene Carter, aka Nick, und Kevin Richardson wussten zu gefallen. Schließlich holte Richardson im Nachgang noch seinen Cousin Brian Littrell dazu – die Backstreet Boys, die Pearlman nach einem Flohmarkt in Orlando benannt hatte, waren damit komplett.

Das Lügen beginnt

Größtenteils kannten sich die Jungs vorher nicht, nach außen wurde von Pearlman aber die Legende einer jahrelangen Freundschaft kolportiert. Wie verschlagen Pearlman war, zeigt sich etwa bei einem Interview, das er 1997 dem Focus gab. Auf die Frage, wo er die Backstreet Boys kennengelernt habe, antwortet der Musik-Manager: „Die Backstreet Boys habe ich bei einem Schulfest in Orlando gehört. Ich habe sie spontan verpflichtet und dem ehemaligen Tourmanager der New Kids On The Block gesagt: ,Hier hast du ein neues Baby, und nun mach einen Goldesel draus!‘“. In Wahrheit hatten sie ihren ersten Auftritt bei einer Wal-Show im Sea Life in Orlando.

Es sollte nicht die einzige Lüge bleiben. Das Image der Band musste, entsprechend der Zielgruppe, schwiegermuttertauglich sein: das Aussehen glatt, die Lebensentwürfe harmlos.

Es gab klare Anweisungen vom Management: Alkohol und Zigaretten waren tabu, ebenso wie Piercings oder Tätowierungen. Die Boys mussten für die Öffentlichkeit Single sein und heterosexuell: Das perfekte Ziel für jugendliche Schwärmereien. Das alles war jedoch nur Schein: Sowohl Nick als auch AJ berichteten später von ihrer Alkohol- und Drogensucht und offensichtlich hatten alle Jungs immer wieder Freundinnen.

Sarah Connor und Marc Terenzi (Natural) im Jahr 2005 (Foto: IMAGO, IMAGO / Future Image)
Strenge Regeln gab es auch bei anderen Pearlman-Projekten: Als Marc Terenzi, Mitglied der Band Natural, 2002 seine spätere Frau Sarah Connor kennenlernte, versuchte Lou Pearlman zunächst, die Beziehung zu verhindern und schließlich den Sänger zu ersetzen. Am Ende löste sich die Band 2004 auf, weil sie nicht ohne Terenzi weitermachen wollte.

Auch sonst kontrollierte Pearlman das Leben der Jungs auf und hinter der Bühne, mit Knebelverträgen und Unehrlichkeit. Wie sich im Nachhinein zeigte, wussten weder die Backstreet Boys noch *NSYNC, seinerzeit die größten Konkurrenten im Boyband-Business, dass Pearlman Manager beider Bands war.

Lou Pearlman steckt sich den Gewinn selbst in die Tasche

Seinen Zöglingen enthielt er Gagen mit der Begründung, in Vorleistung für ihren Erfolg gegangen zu sein. Obwohl jedes Bandmitglied Ende der 90er-Jahre millionenschwer hätte sein müssen, zahlte er AJ, Nick, Kevin, Howie und Brian nur 12.000 Dollar im Jahr aus. Die Sänger von *NSYNC erhielten übrigens einen Tagessatz von 35 Dollar. Fast alle Bands, die von Pearlman gegründet wurden, klagten deshalb später erfolgreich gegen den Unternehmer.

Auch Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs wurden laut: In der Vanity Fair sprach Pearlmans ehemaliger Assistent Steve Mooney 2007 von der Vorliebe Pearlmans für junge Männer und davon, dass er Erfolgsversprechen dazu nutzte, sie gefügig zu machen. Pearlman bestritt die Vorwürfe zeitlebens und auch vonseiten der Band-Mitglieder wurden sie nicht bestätigt.

Backstreet Boys 1996 (Foto: IMAGO, IMAGO / teutopress)
1993 haben sie ihren ersten Auftritt (von links nach rechts): Kevin Richardson, Nicholas „Nick“ Gene Carter, Howard „Howie“ Dorough, Brian Littrell und Alexander James McLean, genannt AJ. Bild in Detailansicht öffnen
Backstreet Boys 1998 (Foto: IMAGO, imago images/Mary Evans)
Mit mehr als 130 Millionen verkauften Tonträgern sind die Backstreet Boys nach wie vor die kommerziell erfolgreichste Boyband aller Zeiten. Bild in Detailansicht öffnen
Backstreet Boys bei Wetten Dass?! (Foto: IMAGO, imago stock&people)
Auch in Deutschland sind die fünf Jungs aus den USA Stars und sorgen bei den Fans für Begeisterungsstürme. Insgesamt fünf Mal treten sie bei „Wetten Dass..?“ auf, zum ersten Mal 1996. Bild in Detailansicht öffnen
Backstreet Boys Fans 1999 (Foto: IMAGO, imago images/BRIGANI-ART)
Collagen aus Bravo-Postern, selbstgebastelte und gemalte Liebesbekundungen, Zahnspangen und Gekreische: So werden die Backstreet Boys in den 90ern von den jungen, meist weiblichen Fans empfangen ... Bild in Detailansicht öffnen
Howie 1998  (Foto: IMAGO, IMAGO / teutopress)
... für die Bandmitglieder gleicht diese obsessive Fanliebe oftmals einem Spießrutenlauf. Bild in Detailansicht öffnen
Backstreet Boys 2000 (Foto: IMAGO, imago stock&people)
Um die Jahrtausendwende lässt der Boyband-Hype allmählich nach und Mitglieder anderer Casting-Bands wie Robbie Williams oder Beyoncé starten erfolgreiche Solo-Karrieren. Auch einige der „Boys“ versuchen solo durchzustarten, am Ende aber folgt nach einer kurzen Bandpause 2005 mit dem Album „Never Gone“ ein fulminantes Band-Comeback inklusive Europatour und ausverkauften Konzerthallen. Bild in Detailansicht öffnen
Lou Pearlman  (Foto: IMAGO, imago images/Everett Collection)
Die graue Eminenz hinter der Band: Unternehmer und Musik-Manager Lou Pearlman. Er gründet die Boyband, sieht in dem Konzept das große Geld und nutzt die jungen Männer schamlos aus. Bild in Detailansicht öffnen
Nick Carter und Paris Hilton als Paar 2004 (Foto: IMAGO, picture-alliance / dpa/dpaweb)
Er bindet die Sänger an Knebelverträge, die ihnen unter anderem verbieten, eine Freundin zu haben – schließlich sollen die Fans weiterhin denken, ihre Lieblinge seien noch zu haben. 2004 machen Nick Carter und die Hotelerbin Paris Hilton jedoch ihre Beziehung öffentlich. Bild in Detailansicht öffnen
Backstreet Boys AJ und Nick (Foto: IMAGO, imago stock&people)
Die Bandmitglieder verpflichteten sich für ihre Karriere zu einem Saubermann-Image. Alkohol oder Zigaretten sind nach außen tabu. 2001 wird jedoch bekannt, dass AJ alkohol- und drogenabhängig ist, 2009 erklärt auch Nick, dass er seit zehn Jahren süchtig nach Drogen und Alkohol ist. Bild in Detailansicht öffnen
Walk of Fame, 2020 (Foto: IMAGO, imago images/Rüdiger Wölk)
Nach 20 Jahren Bandgeschichte erhalten die Backstreet Boys 2013 einen Stern auf dem Walk of Fame in Hollywood. Bild in Detailansicht öffnen
Backstreet Boys 2021 (Foto: IMAGO, IMAGO / agefotostock)
Howie, Kevin, Nick, AJ und Brian (von links nach rechts) im Jahr 2021. Aus den einstigen „Boys“ sind Männer geworden ... Bild in Detailansicht öffnen
Backstreet Boys Fans gealtert (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / dpa / Adam Warzawa)
... und auch die Fans sind keine kleinen Mädchen mehr. Doch ist der Kult um die Boyband der 90er-Jahre ungebrochen, die Backstreet Boys wecken auch Erinnerungen an die eigene Jugend. Bild in Detailansicht öffnen
Backstreet Boys 2022 (Foto: IMAGO, IMAGO/Cover-Images)
2022 touren die Backstreet Boys durch Europa. Und erneut zeigt sich: Auch nach 30 Jahren funktioniert das Konzept Boyband. Bild in Detailansicht öffnen

Einfach unverbesserlich  

2007 wird Lou Pearlman auf Bali festgenommen. Der Vorwurf lautet Anlagebetrug in Millionenhöhe. 2008 gibt der Boyband-Erfinder zu, Anleger mit einem Schneeballsystem um 300 Millionen Dollar betrogen zu haben. Ähnlich wie der Flowtex-Gründer Manfred Schmider baute er ein Lügengerüst auf, das den Investoren vorgaukeln sollte, er habe ein florierendes Charter-Unternehmen, dabei besaß er nur drei Flugzeuge.

Lou Pearlman, Entdecker der Backstreet Boys, nach seiner Verhaftung 2008 (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / AP Images)
Nach der Anzeige gegen ihn tauchte Lou Pearlman 2007 für vier Monate unter und lebte unter falschem Namen auf Bali. Dort wurde er in einem Luxusressort von deutschen Touristen erkannt und schließlich verhaftet.

Pearlman wurde 2008 zu 300 Monaten Haft verurteilt, ein Monat je veruntreuter Million. Das Gericht räumte ihm die Möglichkeit ein, für jede zurückgezahlte Million einen Monat Haftverkürzung zu erhalten – was macht Lou Pearlman also?

Er will ein Band-Casting in seiner Zelle organisieren, um die 1.700 Betrugsopfer zu entschädigen. Er versucht, das Gefängnis zu überzeugen, doch das Casting wird nicht erlaubt. 2016 stirbt Pearlman im Gefängnis an einem Herzstillstand.

Währenddessen füllen die Backstreet Boys weiter Hallen mit begeisterten Fans, starten Anfang 2017 eine Las-Vegas-Show und arbeiten an ihrem neunten Album. Im vergangenen Jahr tourten die Jungs, die längst erwachsene Männer sind, durch Europa. Dass das Boyband-Konzept nach wie vor funktioniert und lukrativ ist, zeigt auch der große Erfolg von K-Pop-Bands wie BTS oder NCT.

Machtmissbrauch im Pop-Business der 90er-Jahre

Die Geschichte der erfolgreichsten Boyband aller Zeiten erzählt vom Machtmissbrauch im Pop-Business der 90er-Jahre ebenso wie von der Geldgier eines kriminellen Unternehmers, der die Musikbranche nur als eine von vielen möglichen lukrativen Einkommensquellen sah.

Sie erzählt aber auch davon, wie viel Menschen bereit sind, für ihren Traum aufzugeben und wie das Geschäft mit der Schwärmerei kleiner Mädchen auch 30 Jahre nach ihrer Erfindung noch immer funktioniert.  

Die Dokumentation „The Boyband Con: The Lou Pearlman Story“ auf YouTube:

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