Das vorgelesene Buch erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Immer öfter erscheint zu einem auflagenstarken Buch bei der Erstveröffentlichung auch gleich eine Hörbuch-Version.
SWR Kultur stellt Hörbuch-Neuerscheinungen vor sowohl zu aktuellen Büchern, als auch zu Klassikern der Literaturgeschichte.
Hörbuch Distanziert: Nina Kunzendorf liest „Der Vorweiner“ von Bov Bjerg
Die Welt am Ende des 21. Jahrhunderts: In Resteuropa lebt eine Niederschicht davon, dass sie den Anderen einfache Arbeiten anbietet, für die sie bezahlen. Endlich mal wieder dreckige Hände von der Gartenarbeit! Diese Menschen sind so entfremdet, dass sie Geflüchtete als Vorweiner engagieren, damit diese nach ihrem Tod um sie weinen. Ein paar von ihnen, Anna, ihre Tochter Berta und ihren Vorweiner Jan, lernen wir kennen in Bov Bjergs Zukunftsdystopie, die erstaunlich leicht daherkommt, trotz aller Grausamkeiten. Nina Kunzendorf findet dafür die perfekte ironisch-distanzierte Haltung.
Hörbuch Überzeugend: Edith Stehfest liest „Mein Papa, die Unglücksspiele und ich“ von Gundi Herget
Glücksspiele – das hat nichts mit „Mensch ärgere dich nicht“ oder „Memory“ zu tun, das lernt Alina, als ihre Mutter ihren Papa eines Tages vor die Tür setzt. So schockiert Alina zunächst ist, begreift sie doch, dass das nötig war. Zumindest, als ihr endlich jemand erklärt, was eigentlich los ist. Das Hörbuch, mit kindlich überzeugender Stimme von Edith Stehfest gelesen, erklärt das Thema Glücksspielsucht einfach und doch ohne zu beschönigen. Ein überzeugendes Plädoyer dafür, Kindern Probleme nicht zu verheimlichen.
Hörbuch Im Bewusstseinsstrom: Nele Pollatschek liest „Kleine Probleme“
Auf der To-do-Liste von Lars Messerschmidt stehen 11 Punkte und die haben es in sich: Putzen, Steuern, Lebenswerk usw. Bei ihm hat sich so Einiges angestaut und er hat nur noch einen Tag Zeit, um nicht nur Ordnung in sein Haus, sondern auch in sein Leben zu bringen. Nele Pollatschek hat ein furioses Aufräumbuch geschrieben, das nicht nur erklärt, weshalb Ordnung nur theoretisch möglich ist, sondern einen mitreißt in ein wildes Abenteuer des Erledigens. Virtuos gelesen von ihr selbst – da wird es ganz unwichtig, dass es merkwürdig ist, wenn eine junge Frau einem 49-jährigen Ich-Erzähler ihre Stimme gibt.
Hörbuch Zauberhafte Vielfalt: „Märchenland für alle“
Was passiert eigentlich, wenn man Märchen so erzählt, dass auch Menschen vorkommen, die nicht den typischen Bildern entsprechen? Es entstehen neue Märchen. Märchen, die immer noch bekannte Elemente haben und trotzdem überraschen. Gesprochen von einem hochkarätigen Ensemble mit Annette Frier, Jasmin Shaudeen, Markus J. Bachmann u.v.a. entsteht so eine besondere Sammlung von Geschichten, deren Ziel nur eins sein kann: Mit den bekannten Märchen erzählt zu werden, damit sie eben nichts Besonderes mehr sind.
Hörbuch Packend: Tessa Mittelstaedt und Steffen Groth lesen „Die spürst du nicht“ von Daniel Glattauer
Zwei wohlsituierte Familien nehmen das befreundete Flüchtlingsmädchen Aayana mit in den Urlaub. Als Aayana an den Folgen eines Badeunfalls stirbt, ist der Schock groß. Zusätzlich zur privaten Tragödie beginnt ein medial begleiteter Schauprozess: Wie hätte der Tod Aayanas verhindert werden können? Daniel Glattauer erzählt die Geschichte auf zwei Ebenen: Zum einen zeigen Pressemitteilungen, Zeitungsartikel und Online-Kommentare die gesellschaftliche Dimension des Unglücks – vielstimmig in Szene gesetzt von Steffen Groth. Zum anderen durch die Erzählung der fortlaufenden Handlung - brilliant umgesetzt von Tessa Mittelstaedt. Mit einer großen Bandbreite von Stimmlagen und emotionalen Zuständen zeigt sie ihre ganze Wandlungsfähigkeit. Ein mitreißendes Hörbuch, die knapp 9 Stunden vergehen wie im Flug.
Hörbuch Überzeugend: Lea Streisand liest „Hufeland, Ecke Bötzow“
Über die Wende ist viel geschrieben worden – selten aber aus Kindersicht. Franzi ist ungefähr zehn, als die Mauer fällt und sich ihre Welt komplett verändert: Einerseits muss sie nicht mehr aufpassen, was sie zu Hause sagen darf und was in der Schule, und sie kann Omilein besuchen - andererseits: wieso gibt es im Westen so viele Sorten Waschmittel und Leute, die auf der Straße leben? Lea Streisand lässt ihre Protagonistin alles sehr genau beobachten und wortreich kommentieren. Das ist ebenso unterhaltsam wie mitreißend, vorgetragen im Berliner Originalsound.
Hörbuch Anrührend: Gabriele Blum und Patrick Mölleken lesen „Vielleicht der schönste Sommer“ von Eleonore Holmgren
Britta ist sehr erstaunt, als sie Adam in ihrem Haus antrifft. Der junge Mann steckt bis über beide Ohren in Schwierigkeiten. Auch Britta hat es nicht leicht mit ihren 86 Jahren in dem noch älteren Haus. Die beiden raufen sich zusammen, aus der Zweckgemeinschaft wird Freundschaft, doch die findet nicht überall Anklang. Ein Hörbuch so heiter bis wolkig wie ein schwedischer Sommer, von Gabriele Blum und Patrick Mölleken vielschichtig und atmosphärisch interpretiert.
Hörbuch Fantasievoll: Saša Stanišić liest „Wolf“
Eine Woche Ferienlager im Wald, noch dazu mit den Leuten aus der Schule? Für Kemi keine verlockende Vorstellung, aber es geht nicht anders. Dann landet er auch noch mit Jörg in einer Hütte. Kemi findet Jörg eigentlich in Ordnung, aber andere sehen das nicht so: Jörg wird gemobbt – und Kemi schaut zu, allerdings mit wachsendem Unbehagen. Saša Stanišić hat eine Geschichte über Mobbing geschrieben, die hart und humorvoll zugleich ist, voller liebenswerter Figuren und großartiger Wortschöpfungen. Im Hörbuch macht er sie lebendig – wie am Lagerfeuer erzählt.
Hörbar Lebhaft: Max Ruhbaum liest „Kiosk, Chaos, Canal Grande” von Edgar Rai
Noah ist nicht gerade begeistert, dass er die Ferien bei seiner Oma verbringen soll, obwohl diese in Venedig wohnt. Als er aber merkt, dass sie einen Kiosk besitzt und überhaupt eine recht interessante Person zu sein scheint, ist er fast versöhnt. Wären da nicht seine Sorgen um die Eltern zu Hause, die sich „sortieren müssen“, wie sie sagen. Max Ruhbaum macht die Welt des 11-jährigen Noah mit seiner engagierten Lesung sehr lebendig und zeigt, wie ein paar spannende Ferientage reichen, um über sich hinaus zu wachsen.