Charlie Chaplins Film „Lichter der Großstadt“ (Foto: IMAGO, Everett Collection)

Charlie Chaplin

„Lichter der Großstadt“: Warum uns Chaplins Tramp noch heute berührt

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Dominic Konrad

Charlie Chaplins Stummfilm „Lichter der Großstadt“, der am 6. Februar 1931 in New York Premiere feiert, wird zum Erfolg, obwohl der Tonfilm sich bereits fest etabliert hat und damit in Hollywood ein Generationenwechsel stattfindet. Dass der Film auch über 90 Jahre nach seiner Premiere noch gut geschaut werden kann, liegt an der emotionalen Tiefe und unsterblichen Komik von Chaplins größter Rolle: des Tramps.

Charlie Chaplins Film „Lichter der Großstadt“ (Foto: IMAGO, Allstar)
Eine der größten Ikonen der Filmgeschichte: Chaplin spielte die Figur des Tramps zwischen 1914 und 1940 in über 60 Filmen.

Stummfilm – allem technischen Fortschritt zum Trotz

Es ist der 6. Februar 1931. Charlie Chaplin präsentiert dem New Yorker Publikum seinen neuesten Film „Lichter der Großstadt“ (englisch: „City Lights“) – endlich! Drei Jahre hat Chaplin an diesem Film gearbeitet. Zeitweise stand das Projekt sogar ganz auf der Kippe.

Der perfektionistische Regisseur und Hauptdarsteller brütet teilweise wochenlang über dem Drehbuch und sucht nach glaubwürdigen Lösungen für die eigentlich banale Geschichte über einen armen Schlucker, der sich in ein blindes Blumenmädchen verliebt, das ihn wiederum für einen reichen Mann hält. Während Chaplin am Skript feilt, wartet die Filmcrew im Studio und wird von Chaplin, der den Film aus eigener Tasche finanziert, fürs Nichtstun bezahlt.

Zur Premiere ist der Film bereits technisch überholt. 1927 wurde mit „Der Jazzsänger“ der erste Ton-Spielfilm veröffentlicht und seither geht es in Hollywood für den Stummfilm bergab. Viele Schauspieler*innen der Stummfilmära schaffen den Sprung zum neuen Medium nicht: Pola Negri, Emil Jannings oder Gloria Swanson, die 1950 nochmal in Billy Wilders „Boulevard der Dämmerung“ als in der Bedeutungslosigkeit verschwundene Stummfilmdiva Norma Desmond eine übersteigerte Version ihrer selbst spielen wird.

SWR2 Zeitwort zur New Yorker Premiere von „Lichter der Großstadt“

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Die Vorteile des Tonfilms nutzen ohne Tonfilm zu machen

Aller Zeichen zum Trotz entscheidet sich Chaplin dafür, „Lichter der Großstadt“ in der Art eines Stummfilm zu drehen. Zu groß ist die Furcht, dass die körperliche Komik seiner Figur unter dem Tonfilm leiden würde. Doch streng genommen wäre es nicht richtig, diesen Film als Stummfilm zu bezeichnen.

Chaplin macht sich die weiterentwickelte Technik durchaus zunutze. Bereits für seine vorherigen Filme gab er minutiös vor, welche Musik von den Musiker*innen der Stummfilmkinos gespielt werden müssen. Durch die Tonspur, mit der der Film nun in die Kinos kommt, ist Chaplin selbst Herr über die musikalische Gestalt seines Werks.

Szene aus „Lichter der Großstadt“: Der Tramp lernt die Blumenverkäuferin kennen

Chaplin komponiert selbst das musikalische Leitmotiv. Mit Saxofonen vertont er die Enthüllungsreden für ein neues Denkmal zu Beginn des Films und nutzt Tonelemente für Komikeffekte, etwa wenn seine Figur in einer Feierszene eine Trillerpfeife verschluckt und daraufhin mit Schluckauf kämpft.

Charlie Chaplins Film „Lichter der Großstadt“ (Foto: IMAGO, Cinema Publishers Collection)
Die Schauspielerin Virginia Cherrill spielt das Blumenmädhen, in das sich der Vagabund verliebt. Am Set herrschte weniger traute Zweisamkeit. Chaplin feuerte die unbekannte Schauspielerin sogar zeitweise und stellte sie nur wieder ein, um nicht alle Szenen mit ihr nachdrehen zu müssen.

Chaplins Tramp funktioniert auch nach über 90 Jahre

Melone, Bürstenbärtchen, viel zu kleine Weste und sackige Hosen: Mit dem namenlosen Tramp kreiert Charlie Chaplin eine der bis heute denkwürdigsten Figuren der Filmgeschichte. Im kollektiven Gedächtnis sind Künstler und Kunstfigur längst miteinander verschmolzen.

Erstmals spielt Chaplin seine Paraderolle 1914. Über das Aussehen seiner Figur sagte er später in einem Interview:

„Ich wollte, dass die Kleidung eine Masse an Widersprüchen ist (…). Um einen komischen Touch hinzuzufügen, trug ich einen kleinen Schnurrbart, der meinen Gesichtsausdruck nicht verbergen würde. (…) Die Kleidung schien mich mit dem Geist der Figur zu erfüllen. Er wurde tatsächlich ein Mann mit einer Seele – einem Standpunkt.

Tatsächlich ist es neben der ungemeinen Körperlichkeit der Darbietung und der immer noch bewundernswerten Präzision des komödiantischen Timings vor allem das Sehnsuchtsvoll-Romantische in Chaplins Spiel, das Zuschauer*innen bis heute am Tramp begeistert.

Ob in „Goldrausch“, „Der Vagabund und das Kind“ oder eben „Lichter der Großstadt“: Vielleicht lacht man am Anfang über den Tramp, aber dann lacht mit ihm. Das Publikum wird zum Komplizen seiner Scherze und wird Teil seines emotionalen Wegs, so auch bei der Liebesgeschichte mit der schönen Blumenverkäuferin.

Chaplins flammende Rede in „Der große Diktator“ (1940)

Die Rolle spielt Chaplin in rund 60 Filmen und Kurzfilmen, offiziell zuletzt 1936 in „Moderne Zeiten“. Noch ein allerletztes Mal kommt der Tramp aus der Versenkung im Kriegsjahr 1940: als jüdischen Frisör, der in „Der große Diktator“ unfreiwillig zum Doppelgänger des Diktators wird. Der Film endet mit einem flammenden Appell für Menschlichkeit und Freiheit. Zu guter Letzt hat der Tramp seine Stimme gefunden.

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Dominic Konrad