Drive to Survive auf Netflix (Foto: Pressestelle, Netflix)

Von Formel 1 bis Tennis

Drama bis in die Kabine: Das neue Geschäft mit den Hochglanz-Sportdokus

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AUTOR/IN
Samira Straub

Formel 1, Golf, Tennis und natürlich König Fußball: Das Geschäft mit den Sport-Dokumentationen boomt in den letzten Jahren. Dadurch gewinnt der Sport auch ganz losgelöst von Live-Übertragungen immer mehr an Einfluss auf den Streamingplattformen. Doch was macht dieses Genre so populär?

Als Mannschaftskapitän führte er Deutschland 1974 zum Weltmeistertitel, als TEamchef ein weiteres Mal 1990, als Funktionär war er im Fußballkosmos weltweit geschätzt, fiel dann jedoch durch Korruptionsvorwürfe rund um die Turniere in Deutschland und Katar in Ungnade. Am 7. Januar verstarb die Sportikone im Alter von 78 Jahren im Kreise der Familie.

Karsten Umlauf über die ARD Doku, die zum Nachruf wurde:

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Eine neue ARD-Dokumentation widmet sich dem Leben von Fußball-Legende Franz Beckenbauer. „Beckenbauer – Der letzte Kaiser Deutschlands“ heißt der zugehörige Podcast in der ARD Audiothek.

Die Dokumentation über den Mann, der als „Kaiser Franz“ jahrzehntelang den deutschen Fußball prägte, folgt einem Trend: Schon seit der Corona-Pandemie sprießen in der Welt des Sports angesiedelte Dokumentationen auf allerhand Streaming-Portalen.

Der Sport boomt, und das längst nicht mehr nur bei Fans.

Sport für alle, nicht nur für Fans – Netflix sei dank

Hochglanzproduzierte Biopics und aufwändig inszenierte Doku-Serien gewähren Einblicke in Situationen, die dem gewöhnlichen Fan für üblich verwehrt bleiben. Dramatisch arrangierte Handlungsstränge und intime Blickwinkel: Die Serien erzielen damit Rekorderfolge, die sich oftmals auch auf den Sport selbst niederschlagen.

Den Ausgangspunkt für diesen Hype markierte nicht der Fußball, sondern der Rennsport: Mit „F1: Drive to Survive“ belebte Streaming-Gigant Netflix die Formel 1 wieder, die sich zum damaligen Zeitpunkt bei den Zuschauerzahlen in einem längeren Abwärtstrend befand. Wie gelang das?

Drive to Survive Netflix (Foto: Pressestelle, Netflix)
Die erste Staffel von „F1: Drive to Survive“ zeigt damals noch vor allem die weniger erfolgreichen Fahrer der Weltmeisterschaft in ihrem Kampf um den augenzwinkernden Titel „Best of the Rest“. Prominente Rennställe wie Ferrari oder Mercedes erteilten für die erste Staffel keine Drehgenehmigung.

Das neue Milliardengeschäft mit der Formel 1

Lange Zeit war die Formel 1 eine Büchse der Pandora. Vieles spielte sich, zum Leidwesen der Fans, hinter verschlossenen Türen ab. Cockpits, Fahrerlager und Hauptakteure der Rennställe waren abgeschirmt von der Öffentlichkeit. In dieser Hinsicht läutete „Drive to Survive“ eine Zeitenwende ein.

Die Serie zeigte Rivalitäten zwischen Fahrern, ließ Teamchefs in emotionalen Momenten zu Wort kommen, überspitzte Rennsituationen und machte selbst aus langweiligen Rennen regelrechte Thriller – mit Erfolg.

Drive to Survive auf Netflix (Foto: Pressestelle, Netflix)

„Drive to Survive“ löste vor allem in den USA einen regelrechten Boom um den Sport aus. In den Vereinigten Staaten sind seit der Erstausstrahlung die Zuschauerzahlen im Fernsehen um 40 Prozent gestiegen und auch die Rennen werden deutlich besser besucht. Waren 2018 noch rund 240.000 Zuschauer beim Rennen in Austin, waren es drei Jahren später bereits 400.000 – alleine das generierte einen Mehrumsatz von einer Milliarde Dollar.

Künstliche Überspitzungen und falsche Darstellungen: Wie real sind die gezeigten Momente?

Doch nicht alle der Protagonisten sind glücklich mit der Serie: Max Verstappen, dreifacher Weltmeister in der Formel 1, setzte seine Teilnahme an den Dreharbeiten zwischenzeitlich aus. Er war nicht zufrieden mit dem Bild, das die Serie von ihm zeichnete.

Max Verstappen (Foto: IMAGO, IMAGO/ZUMA Wire)
Verstappen übte harsche Kritik an der Serie: Rivalitäten würden künstlich gepusht, die Fahrer einseitig dargestellt. Nach einem „produktiven Austausch“ mit den Machern der Serie, so der Rennfahrer, kehrte er jedoch zum Format zurück.

Auch McLaren-Fahrer Lando Norris kritisiert das Format: Es biege sich die Wahrheit zurecht und entfremde Rennszenen aus ihrem Kontext, so der Rennsportler. Kritik hagelte es auch von zahlreichen Rennsport-Experten: Die Serie sei zu inszeniert und habe mit der Realität nicht immer etwas gemein.

Als Insider erkennt man gleich, dass die Serie gekünstelt ist und dramatisiert wurde. Das macht aber nichts, weil die Doku ganz auf den jungen Fan, besonders eben aus den USA, zugeschnitten ist.

Der nächste Aufschlag: Mit „Break Point“ soll auch das Tennis-Geschäft angekurbelt werden

Nachdem sich in Folge von „F1: Drive to Survive“ das Durchschnittsalter der Formel1-Anhänger um vier Jahre verjüngte und der Sport weltweit Millionen neue Fans gewinnen konnte, schossen auch die Zahlen in den sozialen Netzwerke in die Höhe. Schnell brachte der Erfolg in der Formel 1 auch andere Sportarten und ihre Verbände auf den Plan.

Mit „Break Point“ machte Netflix 2023 den nächsten großen Aufschlag in Sachen Sport-Dokutainment: Ähnlich aufgesetzt wie die Formel-1-Serie steht hier der Tennis im Fokus.

Ons Jabeur in "Break Point" (Foto: Pressestelle, Netflix)
Die tunesische Tennis-Spielerin Ons Jabeur ist eine der Protagonistinnen der Serie, die ihren Weg ins Wimbledon-Finale von 2022 nachzeichnet. Jabeur träumt davon, die Sportart in ihrem Heimatland populärer zu machen, kann ihre Erfolgsgeschichte jedoch nicht mit einem Finalsieg krönen.

Auch hier gilt die Zuschauerschaft als alternd, die großen Stars wie Roger Federer oder Serena Williams verabschiedeten sich unlängst in den Ruhestand – Tennis braucht dringend frischen Wind in Sachen Stars und Anhängerschaft.

Intime Einblicke und Rivalitäten als Geheimrezept für Erfolg?

Break Point auf Netflix (Foto: Pressestelle, Netflix)
Weder vor Schlafzimmern noch vor Umkleidekabinen macht die Kamera halt

Das Rezept hinter der Serie bleibt gleich. Auch beim Tennis setzt man auf intime Einblicke, die den Zuschauer eng an die Sportler binden sollen. Die Protagonisten werden in emotionalen Ausnahmezuständen gezeigt, immer gepaart mit dramatisch verkürzten Sequenzen ihrer teils karriereentscheidenden Spiele. Wie auch bei „F1: Drive to Survive“ handelt es sich viel mehr um Dokutainment als um reine Dokumentation.

Als Tennis-Fan kennt man natürlich die Ergebnisse des Turniers, lässt sich jedoch von der Atmosphäre bereitwillig mitreißen. Der reine Sport ist bei Dokumentationen dieses Formats ohnehin nur einer von vielen Aspekten, die den Zuschauer begeistern sollen, die Unterhaltung sticht die reine Berichterstattung aus.

Nick Kyrgios in Break Point (Foto: Pressestelle, Netflix)
Nick Kyrgios gilt als Bad Boy des Tennissports: Er pöbelt, er flucht und er eckt mit seinem provokanten Verhalten in der sonst eher steifen Tenniswelt an, bei Spielern wie Fans. Kurzum: Ein Spieler wie Kyrgios ist ein Glücksfall für Produzenten von Sport-Dokutainment.

Die Formate richten sich ferner nicht ausschließlich an Fans, wollen mit ihrer spannenden Aufmachung viel mehr neue Zielgruppen für den Sport begeistern.

Der DFB zeigt: Nicht immer führen intime Einblicke auch zum Erfolg

Doch das Konzept scheint nicht in allen Fällen Früchte zu tragen: Die deutsche Fußballnationalmannschaft, die sich bei der letzten WM in Katar mit dem Vorrundenaus blamierte, ließ sich während des Turniers von einem Filmteam begleiten. „All or Nothing“ heißt die Doku-Serie auf Amazon Prime, die für den DFB allerdings nach hinten losging.

DFB in Katar (Foto: Pressestelle, Amazon Prime / Philipp Reinhard)
Ähnlich blass wie auf dem Feld erschienen die Spieler der deutschen Fußballnationalmannschaft in der Prime Doku, die in Fankreisen wie eine Comedy-Sendung behandelt wurde.

Nach der Schmach in der Wüste folgte die Schmach im Netz: Schonungslos legte die Dokumentation den Finger in die Wunde und zeigte vor allem Bundestrainer Hansi Flick in einem schlechten Licht. Im Netz wurde sein Auftreten in der Serie schnell zum Meme, sein ohnehin schon angekratztes Ansehen schwand weiter. Nicht immer nützen solche Dokumentationen dem Sport also.

DFB in Katar (Foto: Pressestelle, Amazon Prime / Philipp Reinhard)
Dokumentationen wie „All or Nothing“ müssen von den Verbänden vor Ausstrahlung autorisiert werden. Warum sich der DFB in diesem Fall für eine Ausstrahlung entschied, ist für viele Fans unklar. Manche vermuten, man wollte so das Ende des Bundestrainers einläuten, der kurz darauf entlassen wurde.

Vom Sommermärchen keine Spur mehr

Dabei machte der DFB mit Dokumentationen in der Vergangenheit gute Erfahrungen: Als 2006 das sogenannte Sommermärchen Fußballdeutschland begeisterte, war Regisseur Sönke Wortmann mit der Kamera stets an der Seite von Trainerstab und Spielern. Seine Dokumentation „Deutschland – Ein Sommermärchen“ brachte im Herbst 2007, als Video on Demand noch in den Kinderschuhen steckte, die Kinokassen zum Klingeln.

Sönke Wortmann (Foto: IMAGO, imago-images)
Bei der Heim-WM 2006 saß Wortmann mit der Kamera sogar auf der Trainerbank, kombinierte seine Aufnahmen mit Aufzeichnungen der Spiele.

Doch Wortmanns Dokumentation unterscheidet sich maßgeblich von den glattpolierten Hochglanzserien von Netflix und Co.: Das Licht nicht immer optimal, das Bild auch mal verwackelt – „echt“ eben. Dementsprechend unbegeistert zeigt sich der Regisseur vom neuen Trend zur aalglatten Dokumentation. Wortmann sieht Serien wie „All or Nothing“ als „Marketinginstrument“, wie er der Sports Illustrated in einem Interview sagte.

Es fehlt an journalistischer Form, ich sehe nur das Marketing-Ding. Es sieht gut aus, aber da fehlt mir das Herz und die Authentizität.

In der Kabine des FC Bayern in der Serie "Behind the Legend" (Foto: Pressestelle, Amazon Prime)
Auch bei Fußballclubs sind die Serien beliebt. International erfolgreiche Vereine wie Arsenal London, Juventus Turin oder der FC Bayern München ließen sich von Amazon Prime bereits eine ganze Saison begleiten. Vorbild für die Doku-Serien waren vergleichbare Formate mit amerikanischen Football-Teams.

Eine Chance, um dem Konkurrenzkampf im Live-Geschäft zu entgehen

Live-Übertragungsrechte für Sport-Ereignisse sind extrem teuer und der Markt dafür hart umkämpft. Mit dem vermehrten Fokus auf Sport-Serien konzentrieren sich die Streaminganbieter also auf ihr Kerngeschäft, ohne dabei die zahlungskräftige Zielgruppe der Sportfans außen vor zu lassen.

Dabei sind es gerade Individualsportarten, die zu profitieren scheinen. Mit Golf („Full Swing“, Netflix) und Radsport („Tour de France: Im Hauptfeld“, Netflix) wurden erst kürzlich zwei Sportarten mit einer Serie bedacht, deren Sport-Events im Gegensatz zu Fußball & Co. nicht immer medial omnipräsent sind.

Full Swing (Foto: Pressestelle, Netflix)
Golf hat in der Gesellschaft ein elitäres Image inne, öffentlichkeitswirksame Stars gibt es so gut wie keine. „Full Swing“ auf Netflix soll das Image des Sports ändern.

Ganz nebenbei lassen sich mit Biopics und Dokutainment ganz neue Zielgruppen erschließen: Viele Zuschauer, die sich bislang wenig oder gar nicht für eine Sportart interessierten, lassen sich von aufwändig inszenierten Porträts begeistern und werden durch die Serien nicht selten zum Fan, wie zahlreiche Recherchen nahelegen.

Mit Streaming die Jugend an den Sport heranführen

Auch die Sportverbände haben ein großes Interesse an den Umsetzungen der Streaminganbieter, nutzen die Serien als Marketing-Instrument für ihre Schützlinge und erhoffen sich so mehr Zulauf, vor allem in den dringend benötigten jungen Bevölkerungsgruppen.

Die Hoffnung ist, dass das Interesse am Sport auf lange Sicht vielleicht auch die gebeutelten Jugendabteilungen der Vereine wieder belebt. Ganz nebenbei generiert ein Hype immer auch Einnahmen, für Streaming-Anbieter wie Verbände. Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.

Die Zahlen legen nahe, dass das Ende der Fahnenstange im Hype um den Sport noch nicht erreicht ist. Bis dahin dürfen sich Sportfans und jene, die es noch werden wollen, weiterhin auf spannenden Output der Streaming-Giganten freuen, der vielleicht hier und da überzeichnet, aber dem Sport irgendwo zwischen Comedy, Drama und Fantasy mehr Sichbarkeit verschafft.

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