Heftige Krawalle haben Frankreich tagelang erschüttert, zahlreiche Kulturveranstaltungen mussten kurzerhand abgesagt werden. Doch das Opernfestival in Aix-en-Provence findet wie geplant statt. Regisseur Thomas Ostermeier eröffnete das Festival mit seiner Inszenierung von Bertolt Brechts und Kurt Weills „Dreigroschenoper“, in französischer Sprache gespielt von Ensemble-Mitgliedern der Comédie-Française.
Brechts „Dreigroschenoper“ inmitten anhaltender Proteste
Brennende Autos, Plünderungen, hunderte Festnahmen. Frankreich hat in den vergangenen Tagen eine beispiellose Welle der Gewalt erlebt. Die gesellschaftliche Debatte darüber ist im vollen Gange – und prägt auch das Festival von Aix.
„Die Dreigroschenoper, dieses Jahr im Festival, greift die Frage der Aufstände, der Randale auf, die Frankreich gerade so beschäftigt“, erklärt Dramaturg Timothée Picard, „der Zufall will es, dass mehrere Opern sich mit einem Motiv immer wieder auseinandersetzen: den Krisen unserer Zeit.“ Das Festival sei auch ein Forum, um gesellschaftliche Missstände offen anzusprechen.
So ist es in Aix-en-Provence seit der ersten Stunde. 1948 als kleines Festival gestartet, hat sich Aix international schnell einen Namen gemacht. Heute ist es ein Magnet für Uraufführungen großer Opernproduktionen in besonderer Klangkulisse.
Sandrine Ratier verkauft in ihrer Boutique im alten Stadtkern Kunst aus der Provence. Auf die Festivalzeit freut sie sich ganz besonders: „Es gibt viele Konzerte draußen in der Stadt, auch kostenlose. Nicht alle können sich Operntickets leisten. So können sie auch etwas anschauen.“
Brecht erzählt über Kriminalität als Akt des Widerstands
Der Auftakt der 75. Ausgabe von Aix: „Die Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht mit der Musik von Kurt Weill. Entstanden ist das Stück vor fast 100 Jahren in Berlin und war seinerzeit bahnbrechend. Es ist eine Gesellschaftskritik, die die Ausgegrenzten der kapitalistischen Moderne in den Blick nimmt.
Thomas Ostermeier sieht gewisse Parallelen zur Gegenwart: „Das Stück erzählt, man könnte ja fast sogar sagen, über Kriminalität als Widerstand. Es steht ja ein Krimineller im Mittelpunkt und vielen in den Banlieues wird ja auch vorgeworfen, dass sie als Kleinganoven und Dealer unterwegs sind“, so der Regisseur. „Man kann darin natürlich auch eine Form des Widerstands sehen, gegen diesen Staat, der ihnen nicht viel anzubieten hat.“
Ostermeier hat sich in Frankreich bereits einen Namen gemacht. Für die „Dreigroschenoper“ hat er erneut mit Schauspielern der Comédie-Française zusammengearbeitet. Viele spielen das erste Mal Brecht, so etwa Claïna Clavaron in der Rolle der Lucy. „Selbst wenn das Stück vor langer Zeit geschrieben worden ist, gibt es doch viele Stellen, die aktuell bleiben“, findet die Schauspielerin. „Brecht setzt sich mit der Frage des Klassenkampfes auseinander.“
Eine unkonventionelle Wahl für Aix, aber virtuos inszeniert
Die Inszenierung schafft den Spagat zwischen Klamauk, dynamischen Balladen und virtuosen Musikern, die je nach Genre das Instrument wechseln. Die Schauspieler beziehen das Publikum immer wieder mit ein.
Brecht in Aix aufzuführen, das ist vielleicht etwas unkonventionell. Ganz sicher aber eine bewusste Entscheidung von Ostermeier. Ihm bedeute es sehr viel, die „Dreigroschenoper“ in Frankreich zu zeigen, gerade in diesem Moment. Aix sei, so der Regisseur, „der einzige Ort in diesem Moment, der das leisten kann, weil es doch eine sehr aufwendige Produktion mit Orchester, mit Spielenden, mit Chor, mit einem sehr gewichtigen Team von Video, Bühne. Deswegen bin ich sehr froh, das hier in Aix zeigen zu können.“
Gleich mehrere Opern im Programm zeigen eine Gesellschaft vor der Zerreißprobe, etwa Strawinskys „Ballets russes“ und Meyerbeers „Le Prophète“. Auch eine Mozart-Oper darf zum 75. Jubiläum des Festivals natürlich nicht fehlen: „Così fan tutte“ holt Neapel mitten in die Provence, mehr Sommer und Süden geht nicht! Die Hoffnung auf ruhigere Nächte schwingt mit.