Anne Spiegel vor dem Flut-Untersuchungsausschuss des Landtags in RLP (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)

Aufarbeitung der Flutkatastrophe

Was der Flut-Untersuchungsausschuss in RLP bislang gebracht hat

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Dirk Rodenkirch
Dirk Rodenkirch  (Foto: ARD-Hauptstadtstudio/Jens Müller )

Lücken im Warnsystem und Unklarheiten im Katastrophenschutzgesetz in RLP - der Untersuchungsausschuss des Landtags zur Flutkatastrophe hat schon einiges zu Tage gefördert. Die Arbeit des Gremiums führte außerdem zum Rücktritt einer Ministerin. Eine erste Bilanz:

Der Untersuchungsauftrag

Der Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags soll klären, welche Versäumnisse es bei der Flutkatastrophe im vergangenen Jahr gab und wer dafür verantwortlich ist. Die Flut in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 führte zu verheerenden Zerstörungen im Ahrtal, 135 Menschen kamen ums Leben.

Anfang Oktober vergangenen Jahres nahm der U-Ausschuss seine Arbeit auf, seitdem gab es 22 Sitzungen mit fast 150 Zeugen, die befragt wurden. Die prominentesten: Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Landesinnenminister Roger Lewentz (beide SPD) sowie die frühere Landesumweltministerin Anne Spiegel (Grüne).

Die Landesregierung im Blindflug?

Öffentlich gewordene Chat-Protokolle, aber auch die Aussagen von Ministerpräsidentin Dreyer und Innenminister Lewentz im U-Ausschuss haben den Eindruck vermittelt, dass die Landesregierung lange Zeit keine Ahnung hatte, was am Tag der Flut in den betroffenen Gebieten entlang der Ahr geschah. Es wirkt im Nachhinein wie eine Art Blindflug. Am Abend des 14. Juli 2021 schrieb Ministerpräsidentin Dreyer noch um 21:42 Uhr per SMS an Lewentz: "Ich höre, dass der Höchststand Hochwasser erst Morgen Mittag erreicht ist." Eine Fehlinformation, wie man heute weiß.

Dreyer vertraute nach eigenen Angaben in der Flutnacht darauf, dass der Katastrophenschutz vor Ort funktioniert. Lewentz berichtete im April im Untersuchungsausschuss, er sei bei seinem Besuch am 14. Juli im Kreis Ahrweiler von einem starken Hochwasser ausgegangen. Damals habe er mit Landrat Jürgen Pföhler (CDU) und dem Katastrophenschutzinspekteur des Kreises gesprochen. In der Technischen Einsatzleitung (TEL) habe es kein Szenario für eine Sturzflut gegeben, sagte Lewentz. Seiner Auffassung nach hatte die Einsatzzentrale die Situation im Griff.

Nach den Aussagen der Mitglieder der Einsatzleitung in Ahrweiler zeichnet sich ein ganz anderes Bild. Sie berichteten im U-Ausschuss, dass sie am Flutabend rasch überfordert waren, keinen wirklichen Überblick über die Lage im Kreis hatten und auch kein Personal, um diese selbst zu erkunden. Sie erklärten zudem, dass Lewentz nicht mit ihnen persönlich gesprochen habe und der Minister nur sehr kurz für ein Foto mit Landrat Pföhler in der Einsatzzentrale gewesen sei.

Die Frage der Einsatzleitung

Hätte die Landesregierung die Einsatzleitung in der Flutnacht zum 15. Juli 2021 übernehmen müssen? Das ist eine der zentralen Fragen, die der Untersuchungsausschuss noch klären soll. Das Brand- und Katastrophenschutzgesetz in Rheinland-Pfalz lässt hier offensichtlich Interpretationsspielräume. Das Innenministerium und die Staatsanwaltschaft Koblenz sowie ein Staatsrechtler der Uni Mainz sind der Auffassung, dass die Einsatzleitung für den Katastrophenschutz damals bei den Landkreisen gelegen hat. Wegen der fehlenden Ortskenntnis sei eine Landesbehörde dazu nicht in der Lage.

Der Staatsrechtler Bernd Grzeszick kommt in seinem Gutachten für den Untersuchungsausschuss zu einem anderen Schluss: Demnach geht die Einsatzleitung in bestimmten Fällen automatisch auf die Landesregierung über: Etwa wenn sich ein Starkregenereignis über mehrere Landkreise erstrecke und Ressourcen knapp seien. Das war bei der Flutkatastrophe sicherlich der Fall.

Laut Grzeszick müssen die Behörden in solchen Situationen selbst aktiv nachforschen, wie die Sachlage ist. Sie könnten nicht darauf warten, dass die Landkreise darum bitten, die Einsatzleitung zu übernehmen. Das Innenministerium hat sich jedoch stets darauf berufen, dass eine solche Bitte weder an das Ministerium noch die rheinland-pfälzische Aufsichtsdirektion ADD herangetragen worden sei. Insofern sei es auch nicht zu einer Übernahme der Einsatzleitung gekommen.

Der Untersuchungsausschuss hat zwei weitere Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, um möglichst klarzustellen, welche Gesetzesauslegung für die Flutnacht zutreffend ist. Sollte sich bestätigen, dass das Land die Einsatzleitung hätte übernehmen müssen, könnte das politisch noch unangenehm für Innenminister Lewentz werden. Die CDU hat schon erklärt, dass der SPD-Politiker erneut vor den Ausschuss geladen werden sollte.

Die gestürzte Ministerin

Als Anne Spiegel im März als Zeugin vom Untersuchungsausschuss befragt wurde, war der Druck auf die damalige Bundesfamilienministerin bereits enorm. Am Ende war es einer ihrer letzten öffentlichen Auftritte. Die Aufarbeitung der Geschehnisse rund um die Flut führte zum Rücktritt der ehemaligen rheinland-pfälzischen Umweltministerin. Veröffentlichte Chatprotokolle, ein wenig glaubwürdiger Auftritt als Zeugin im U-Ausschuss und lückenhafte Erklärungen dazu, wie Spiegel rund um die Flut agiert hat, hinterließen insgesamt den Eindruck eklatanter Führungsschwäche.

Dort wo Entscheidungen und Führung nötig waren, verwies die Grünen-Politikerin wiederholt auf Einschätzungen ihres Staatssekretärs Erwin Manz, an denen sie sich orientierte. Eigenständiges Handeln war kaum erkennbar. So sah die damalige Umweltministerin am 14. Juli 2021 davon ab, selbst ins Flutgebiet zu fahren, um sich ein Bild von der Lage zu machen, weil Manz davon abriet.

Die Lücken beim Hochwasserschutz

Eine wesentliche und zugleich erschreckende Erkenntnis aus Zeugenbefragungen: In mehreren betroffenen Landkreisen entlang der Ahr gibt es keinen Alarm- und Einsatzplan (AEP) für Hochwasser, obwohl die Landkreise und Gemeinden gesetzlich dazu verpflichtet sind, solche Pläne zu erstellen. Auch im von der Flut am meisten geschädigten Kreis Ahrweiler gibt es keinen AEP.

Darin soll unter anderem festgeschrieben sein, was die Einsatzkräfte bei Hochwasserlagen wann zu tun haben. Im Kreis Ahrweiler gibt es auch keine so genannte Warnkette. Viele Feuerwehrleute aus dem Kreis, die in der Flutnacht im Einsatz waren, erklärten im U-Ausschuss somit auch, dass sie keine Nachbargemeinde gewarnt hätten oder selbst gewarnt worden seien.  

Der Kreis Mayen-Koblenz beispielsweise dagegen verfügt nach eigenen Angaben über Alarm- und Einsatzpläne für Hochwasser an Rhein und Mosel sowie Starkregenereignisse am Rhein-Nebenfluss Nette. Dort gibt es auch Warnketten. Verbandsgemeinden am Oberlauf eines Flusses müssen bei Hochwasserlagen immer nach unten über den aktuellen Stand informieren - jeweils die nächsten beiden Verbandsgemeinden.

Der abgetauchte Landrat

Von Jürgen Pföhler war auch im Untersuchungsausschuss am 8. Juli 2022 nicht zu erfahren, was er in der Flutnacht getan oder auch nicht getan hat. Weil die Staatsanwaltschaft Koblenz gegen den früheren Landrat des Kreises Ahrweiler ermittelt - wegen womöglich zu später Warnungen und Evakuierungen - verweigerte der CDU-Politiker im U-Ausschuss die Aussage und machte von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.

Berichte anderer Zeugen belasten den ehemaligen Landrat: Demnach war Pföhler in der Flutnacht mehr oder weniger abgetaucht. In der Einsatzzentrale des Kreises wurde er nur kurz gesehen, etwa für einen kurzen Fototermin mit Innenminister Lewentz.

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Auch telefonisch war er offenbar nur schlecht zu erreichen, wie Mitglieder der Einsatzleitung oder auch Cornelia Weigand (parteilos), die frühere Bürgermeisterin von Altenahr und heutige Landrätin des Kreises Ahrweiler, berichteten. Die Einsatzleitung hatte er an den Katastrophenschutzinspekteur des Kreises abgetreten, gegen den ebenfalls ermittelt wird.

Der Aussage eines Zeugen zufolge soll sich Pföhler auch beim so genannten Jahrhunderthochwasser 2016 herausgehalten und die Einsatzleitung kaum unterstützt haben. Generell habe sich Pföhler nicht sonderlich für den Katastrophenschutz interessiert, so die Schilderung. Dafür spricht auch, dass die TEL in einem Kellerraum der Kreisverwaltung untergebracht war. Dort gab es nicht mal stabilen Handyempfang.   

Die (zu) vielen Zeugen

In mittlerweile 22 Sitzungen hat der Untersuchungsausschuss Flutkatastrophe fast 150 Zeugen befragt. Darunter waren 51 Rettungskräfte bzw. Feuerwehrleute, einige von ihnen mussten sogar mehrfach erscheinen. In vielen Fällen hatte man als Beobachter den Eindruck, dass die Einsatzkräfte von den Flut-Erlebnissen noch traumatisiert sind, auch weil sie oder ihre Familien und Freunde häufig selbst unmittelbar von der Katastrophe betroffen waren. Einige brachen bei ihrer Befragung in Tränen aus, fast alle schien der Termin im Ausschuss sehr zu belasten, weil sie das Erlebte erneut schildern und durchleben mussten.

Einige Feuerwehrleute konnten keine wesentlichen neuen Erkenntnisse beitragen, weil sie weder Einblicke hatten, wo wann welche Entscheidungen getroffen wurden, noch in der Flutnacht Kontakt zur Einsatzleitung, dem jeweiligen Landrat oder gar zu Landesbehörden hatten. Einigen hätte man die sichtbar quälende Befragung wohl ersparen können, ohne Erkenntnislücken befürchten zu müssen.

Die politischen Interessen

Der offizielle Auftrag der Ausschussmitglieder ist bekannt. Es gibt jedoch auch einen inoffiziellen Part, der während der Sitzungen immer wieder durchscheint. So bemühen sich SPD- und Grünen-Abgeordnete im Ausschuss, ihre Regierungsmitglieder aus der Schusslinie zu nehmen, die Aufmerksamkeit und die Richtung der Beweisaufnahme vom Regierungshandeln während der Flut wegzulenken.

Im Fall der Grünen-Ministerin Spiegel ist die Taktik bekanntermaßen gescheitert, vermutlich weil die Lage schlicht aussichtslos war. Die SPD aber versucht weiterhin, einen Schutzschild um Ministerpräsidentin Dreyer und Innenminister Lewentz aufrecht zu erhalten. Die vielen Zeugen aus dem Bereich der Einsatzkräfte sind offenbar Teil der SPD-Strategie, um den Ball möglichst lange im kommunalen Feld zu halten, statt in Zonen, die für die Landesregierung brenzlig werden könnten. Das überschaubare Engagement der FDP dürfte darauf basieren, dass Minister der Liberalen bei der Flut-Aufarbeitung nicht im Fokus stehen.

Die Opposition arbeitet mehr oder weniger geschlossen daran, den Scheinwerfer auf die Ampel-Regierung zu richten, um auszuleuchten, wie diese während der Flut agiert hat. Unschön für die CDU, dass der damals entscheidende Akteur in Ahrweiler ihr Parteibuch trägt und das schlechte Licht immer wieder auf den Ex-Landrat fällt. Für die Freien Wähler und die AfD ist der Ausschuss eine Bühne, zu zeigen, dass sie ein aktiver und konstruktiver Teil des Parlamentes sind, der die Aufklärung der Flut voranbringt. Vor allem die Freien Wähler zeigen sich in den Sitzungen sehr gut vorbereitet.

Die bisherige Bilanz

Trotz der zum Teil etwas gegenläufigen Aufklärungsmotive der Landtagsfraktionen hat der Untersuchungsausschuss bereits eine Menge bewegt und dabei auch keine Arbeit gescheut. In Sitzungen von zehn, zwölf, aber auch mal 16 Stunden haben die Mitglieder Beweise gesammelt, Fragen gestellt, bei Unklarheiten nachgebohrt und im Zweifel auch die Glaubwürdigkeit von Zeugen hinterfragt.

Ob der Rücktritt einer Ministerin ein Erfolg ist, darüber lässt sich streiten. Er macht aber deutlich, dass sich auch Regierungsmitglieder für ihr Verhalten am Ende verantworten müssen. Die Arbeit des U-Ausschusses hat mit dafür gesorgt, dass deutlich wurde, dass Anne Spiegel ihren Aufgaben und ihrer Verantwortung als Umweltministerin rund um die Flut nicht gerecht wurde. Nicht mehr und nicht weniger.

Die Landesregierung, insbesondere die SPD, sendet Signale, dass sie keinen weiteren Bedarf mehr sieht, das Regierungshandeln während der Flut zu beleuchten. Dass weitere Gutachter nun klären sollen, ob das Land die Einsatzleitung hätte übernehmen müssen, dürfte bei den Sozialdemokraten für eine gewisse Unruhe sorgen. Die CDU hat schon angekündigt, Innenminister Lewentz erneut als Zeugen laden zu wollen.

Die Konsequenz dieser offensichtlich unklaren Gesetzeslage sollte möglicherweise eine Überarbeitung des Brand- und Katastrophenschutzgesetzes des Landes sein. Deutlich wurde im Untersuchungsausschuss auch, dass es nicht reicht, den Kommunen Alarm- und Einsatzpläne für Hochwasser gesetzlich vorzuschreiben, wenn von der Landesregierung nicht kontrolliert wird, ob solche Vorgaben auch eingehalten werden.

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Thematisiert werden sollte darüber hinaus: Wie viel Last und Verantwortung in Katastrophenlagen ehrenamtlichen Helfern aufgebürdet werden kann. Und wie sichergestellt wird, dass ausreichend Personal für eine funktionierende Einsatzleitung vorhanden ist. Die Zusammensetzung der Einsatzleitung im Kreis Ahrweiler am 14. Juli 2021 war ein reines Zufallsprodukt. Das wurde im Ausschuss deutlich. Mehrere Mitglieder kamen dort am Flutabend zum ersten Mal zum Einsatz, einige kannten sich überhaupt nicht.

Dass viele Ehrenamtliche nun das Gefühl haben, sich für die enorme freiwillige Einsatzbereitschaft im Ausschuss rechtfertigen zu müssen, dürfte auch Spuren hinterlassen. Eine Motivation, künftig solche Ehrenämter zu übernehmen, dürfte das nicht unbedingt sein.   

Das offene Ende

Auch nach neun Monaten Aktenauswertung und Beweisaufnahme sehen die Ausschussmitglieder weiterhin Aufklärungsbedarf. Wann der "Untersuchungsausschuss Flutkatastrophe" seine Arbeit beenden und einen Abschlussbericht vorlegen wird, ist aktuell nicht absehbar. So gibt es auch für die Zeit nach der parlamentarischen Sommerpause bereits Sitzungstermine bis in den Oktober hinein. Der Ausschuss-Vorsitzende Martin Haller (SPD) erklärte: "Der Ausschuss dauert so lange, wie wir noch Fragen haben."

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