Ein Gedenkbuch an 56 Opfer des Holocausts in Tübingen liegt in einem Kunstwerk vor dem Jüdischen Friedhof in Wankheim. Die Anlage ist heute eine Gedenkstätte. (Foto: SWR)

Jüdischer Friedhof in Wankheim

Neues Gedenkbuch erinnert an 56 Opfer des Holocaust rund um Tübingen

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Tobias Faißt
Tobias Faißt arbeitet als multimedialer Reporter im SWR Studio Tübingen.  (Foto: SWR)

Das Kreisarchiv Tübingen hat zwei Jahre lang recherchiert, um die Lebensgeschichten von NS-Opfern zu dokumentieren. Das Ergebnis ist jetzt sichtbar beim Jüdischen Friedhof in Wankheim.

Mit dem Mahnmal vor dem Jüdischen Friedhof in Kusterdingen-Wankheim (Kreis Tübingen) beginnt dort ein neues Kapitel der Erinnerungskultur. Es erinnert an 56 Menschen, die von den Nazis getötet wurden. Auf dem Jüdischen Friedhof gibt es bereits einen Gedenkstein mit 14 Namen, der kurz nach dem zweiten Weltkrieg entstand. Der Förderverein für jüdische Kultur in Tübingen arbeitet an der Erhaltung der Anlage.

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Recherchen in internationalen Archiven

Die Informationen über die jüdischen Opfer mit Bezug zu Tübingen und Wankheim sind in Aluminiumseiten eingebrannt und online jederzeit abrufbar. Am Montag wurde das Mahnmal offiziell eingeweiht. Damit soll an das Anliegen des Shoah-Überlebenden Viktor Marx angeknüpft werden. Die 14 Namen auf dem Gedenkstein, den er errichten ließ, stehen auch im neuen Gedenkbuch. In das Ringbuch können Lebensgeschichten von weiteren Opfern des Holocaust in Zukunft einfach aufgenommen werden.

Auf dem Gedenkstein für die Opfer des Holocaust auf dem Jüdischen Friedhof in Wankheim stehen 14 Namen. Der KZ-Überlebende Viktor Marx hat ihn kurz nach dem Krieg dort errichtet. (Foto: SWR)
Auf dem Gedenkstein für die Opfer des Holocaust auf dem Jüdischen Friedhof in Wankheim stehen 14 Namen. Der KZ-Überlebende Viktor Marx hat ihn kurz nach dem Krieg dort errichtet. Die ersten drei Namen stehen für seine Frau Marga, seine Tochter Ruth und seine Mutter Blanda.

Nach Angaben des Landratsamts hat das Kreisarchiv Tübingen in nationalen und internationalen Archiven für das neue Gedenkbuch recherchiert. Den Lebensgeschichten sind jeweils etwa 20 Anmerkungen beigefügt. Kreisarchivar Wolfgang Sannwald sind die Quellenbelege ein großes Anliegen:

Wir haben uns wirklich immer bemüht, alles sauber exakt zu belegen, damit es überhaupt keine Frage darüber gibt. Gab es den Holocaust wirklich oder nicht? Das sind die Schicksale, das sind die Menschen, die das erleben mussten.

Der Münsinger Künstler Jochen Meyder hat das Gedenkbuch aus Aluminium entworfen. Es ist umgeben von Metallplatten, die mehr als zwei Meter hoch sind. Es liegt dort aus, wie auf einem Pult.

Künstler Jochen Meyder steht vor seinem Kunstwerk am Jüdischen Friedhof in Wankheim und blättert im Gedenkbuch für die Opfer des Holocaust. Die Lebensgeschichten von 56 Menschen sind in Aluminiumseiten gebrannt. (Foto: Mostafa Elyasian, Landratsamt Tübingen)
Der Münsinger Künstler Jochen Meyder steht vor seinem Kunstwerk am Jüdischen Friedhof in Wankheim und blättert im Gedenkbuch.

Jüdischer Friedhof wird erhalten, nicht restauriert

Im Jahr 1941 fand die letzte Beisetzung auf dem Jüdischen Friedhof statt. Der Förderverein für jüdische Kultur in Tübingen hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Gedenkstätte zu erhalten. Dabei geht es ausdrücklich um eine Konservierung statt um eine Restaurierung, erzählte der stellvertretende Vorsitzende dem SWR:

Es wird nichts restauriert, es wird erhalten, was jetzt da ist. Was jetzt verloren ist, ist verloren und man versucht es so zu halten, dass es weiterhin lesbar ist - wenigstens in dem Zustand, wie es heute ist.

Zum jüdischen Verständnis von Gedenken gehört laut Karl, dass das sichtbar Vergehende dazu gehört. Bis Ende des Jahres will der Verein mit den Arbeiten auf dem Jüdischen Friedhof in Wankheim fertig sein. Die Erinnerung an die ehemalige jüdische Gemeinde im Kusterdinger Ortsteil soll so noch lange bleiben. Das Gedenkbuch bietet dazu seit Montag eine weitere Gelegenheit.

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