Schüler melden sich in einer vierten Klasse in einer Grundschule in Stuttgart.  (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Bernd Weißbrod)

Wegen schlechter Ergebnisse bei Schulstudien

BW will Sprachdefizite von Grundschülern mit hunderten Millionen Euro beheben

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Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik (Foto: Henning Otte)

Künftig sollen nur noch Kinder eingeschult werden, die wirklich schulreif sind. Dafür müssen viele sprachlich mehr gefördert werden. Doch das kostet sehr viel Geld - in Zeiten knapper Kassen.  

Mit einem finanziellen Kraftakt will die Landesregierung in Baden-Württemberg die massiven sprachlichen Defizite bei Grundschülerinnen und Grundschülern beheben. Das Kultusministerium will ein Förderpaket schnüren, das in den nächsten beiden Jahren insgesamt 116,5 Millionen Euro kosten soll.

Das geht aus Berechnungen des Ministeriums hervor, wie in der SWR-Sendung "Zur Sache Baden-Württemberg" am Donnerstag berichtet wurde. Die Förderung soll aber stufenweise mit mehr Lehrkräften intensiviert werden, sodass im Jahr 2029 schon mit Kosten von 211,5 Millionen Euro gerechnet wird.

Ein Drittel der Viereinhalbjährigen hat Förderbedarf

Das Konzept von BW-Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) sieht eine verpflichtende Sprachförderung in der Kita für Kinder mit Förderbedarf vor und eine sogenannte Juniorklasse als Übergang in die erste Klasse der Grundschule. Schopper sagte am Donnerstagabend in "Zur Sache Baden-Württemberg", sie rechne damit, dass etwa ein Drittel der Viereinhalbjährigen, die bei einer Schuleingangsuntersuchung getestet werden, zusätzlich gefördert werden müssen. Das wären ungefähr 30.000 Kinder pro Jahr.

Man müsse früh mit dem Fördern anfangen, "damit die Kinder nicht die Rücklichter des Zuges sehen, sondern im Zug dabei sind". Für den dringend benötigten Förderunterricht in Kita und Grundschule werden aber Pädagogen und Hilfslehrkräfte gebraucht, die erst rekrutiert werden müssen.

Das gesamte Gespräch aus "Zur Sache Baden-Württemberg" vom Donnerstagabend sehen Sie hier:

Schopper verspricht: Kommunen werden nicht an Kosten beteiligt

Zu den konkreten Kosten sagte Schopper, man sei momentan in Verhandlungen. "Wir wissen, das ist ein richtiges Brett, was wir da finanziell auch haben." Man brauche gutes Personal, um die Qualität der Förderung zu verbessern. "Und deswegen werden wir da das Geld und die Priorität draufsetzen." Die Kommunen wüssten, dass das Land ihnen "nicht die Rechnung schicken" werde.

Es sei klar, wenn das Land solche Pläne umsetzen wolle, müsse es diese auch bezahlen. Frank Mentrup, Karlsruher Oberbürgermeister und Städtetagspräsident, verlangte eine Konkretisierung der Pläne. Er frage sich zum Beispiel, wie ein "verbindliches Sprachförderkonzept" im Rahmen eines freiwilligen Kindergartenbesuchs aussehen solle. Geklärt werden müsse auch, ob eine Juniorklasse schon eine Vorbereitungsklasse sei. "Ist das schon Schulpflicht oder nicht?", fragte der SPD-Politiker.

GEW: 1.000 Euro pro Kita sind nicht viel

Die Bildungsgewerkschaft GEW begrüßt einerseits die geplanten Investitionen für Kitas und Grundschulen, verweist aber zeitgleich auch auf einige Baustellen, an denen noch gearbeitet werden müsse. "Sieben Millionen Euro in diesem Jahr für die Kitas klingt viel, bedeutet aber pro Kita nicht einmal 1.000 Euro pro Einrichtung", sagte Monika Stein, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), am Freitag dem SWR. Sie fordert eine Reform der Schuldenbremse für bessere Bildung in Baden-Württemberg. "Die sinnvollen Ziele können nur erreicht werden, wenn deutlich mehr in unsere Bildungseinrichtungen investiert wird", so Stein. Außerdem könnten laut Stein zusätzlich Fachkräfte gewonnen werden, wenn die Arbeitsbedingungen verbessert und die Gruppen in den Kitas sowie die Klassen in den Schulen kleiner gemacht werden.

Kritik äußerte sie hinsichtlich eines fehlenden Angebots eines kostenlosen letzten Kita-Jahres, welches in anderen Bundesländern bereits angeboten werde. Außerdem bemängelte sie die fehlende Zeit für die Leitungen von Kitas und Grundschulen, die für die Organisation von Projekten benötigt werde. Grundschulen in Baden-Württemberg würden zudem auch Poolstunden benötigen, die beispielsweise für Förderangebote genutzt werden könnten.

Berufsschullehrerverband: Defizite kosten viel Zeit

Auch der Berufsschullehrerverband bewertet die geplanten Bildungsinvestitionen positiv. "Immer mehr Schülerinnen und Schüler kommen mit fehlender Grundbildung auch an die beruflichen Schulen", sagte der Landesvorsitzende Thomas Speck dem SWR. Um diese Defizite aufzuholen, müssten Lehrkräfte viel zusätzliche Zeit aufbringen. "Daher ist die Initiative der Kultusministerin absolut richtig", so Speck.

VBE: Problematisch ist der Bedarf an mehr Pädagogen

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) warnt hingegen, dass die Pläne aus dem Kultusministerium an Personalmangel scheitern könnten. VBE-Chef Gerhard Brand erklärte dem SWR, allein weil zeitgleich Pläne für den Ausbau der Ganztagesschule umgesetzt werden sollen, erhöhe sich der Bedarf an ausgebildeten Pädagoginnen und Pädagogen überproportional. Deswegen brauche es auch dringend mehr Studienplätze.

SPD-Landesvorsitzender: Weitere Schritte müssen folgen

Für den SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzenden, Andreas Stoch, scheinen die geplanten Investitionen in Kitas und Grundschulen ein Zeichen dafür zu sein, dass die Landesregierung endlich aufwacht. Die SPD weise seit Jahren darauf hin, dass Kitas als Bildungseinrichtungen behandelt werden müssen. Er erwarte nun, dass die Pläne möglichst schnell umgesetzt und rechtliche Fragen geklärt werden. "Wichtig ist auch, dass dieses Förderpaket gut und dauerhaft aufgestellt wird", betonte Stoch in einer Mitteilung.

Der Chef der FDP-Fraktion Hans-Ulrich Rülke spricht von längst überfälligen Erkenntnissen im Kultusministerium. Sprachförderung im frühkindlichen Bereich sei richtig und wichtig. Jetzt komme es auf ein konkretes Konzept an, so die Mahnung des Liberalen.

BW bei Bildungsstudien abgesackt

Hintergrund für den großen Bedarf: Die Leistungen von Grundschülerinnen und Grundschülern sind in den vergangenen Jahren deutlich eingebrochen. Eine Studie zeigte zum Beispiel im Jahr 2022 schlechte Testergebnisse bei Kindern der vierten Klasse in Mathe und Deutsch: Fast jedes fünfte Kind in BW schaffte die Mindeststandards in diesen beiden Fächern nicht. Als einen Schlüssel zur Lösung der Probleme sieht die Landesregierung die Sprachförderung.

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Priorität im Haushalt: Aber woher kommt das Geld?  

Die Koalition aus Grünen und CDU hat zuletzt mehrfach betont, dass die geplante Sprachförderung mit das wichtigste Projekt für die nächsten Jahre sei und dementsprechend auch finanziell unterlegt werden müsse. Allerdings müssen die Koalitionäre vor der Aufstellung des Haushalts für 2025 und 2026 die Mai-Steuerschätzung abwarten.

Angesichts der schwachen Konjunktur und sinkender Steuereinnahmen hatte Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) schon gesagt, dass die Spielräume deutlich kleiner werden dürften. Bei der Berechnung der Kosten für die Sprachförderung ist zudem unklar, inwieweit das Land noch mit Bundesgeld rechnen kann.     

Einschulung nur noch mit genügend Sprachkenntnissen

Schopper sagte, dass nur noch Kinder eingeschult werden sollen, wenn sie genügend Sprachkenntnisse haben. Mithilfe des Förderpakets will die Ministerin die Sprachprobleme von Kindern in Kitas und Grundschulen angehen. Sieht man Bedarf in der sprachlichen Entwicklung der Kinder, sollen sie eine verbindliche Sprachförderung von vier Stunden pro Woche in Gruppen mit durchschnittlich acht Kindern erhalten. Das geht aus dem Sprachförderkonzept des Ministeriums hervor, das dem SWR vorliegt.

Portrait von Theresa Schopper (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)
Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) fordert: Es sollen nur noch Kinder mit ausreichenden Sprachkenntnissen eingeschult werden.

Lehrkräfte in die Kitas zur Sprachförderung

Hierfür sollen Lehrkräfte in die Kitas geschickt werden. Schon im kommenden Schul- und Kindergartenjahr soll die Förderung von Kindern mit großen Sprachdefiziten beginnen und dann stufenweise ausgeweitet werden. In diesem Jahr will die Ministerin nach SWR-Informationen 7 Millionen Euro investieren. Im Doppeletat 2024/2025 dann schon insgesamt 33,5 Millionen Euro und dann ab 2028 66,5 Millionen Euro.

Das Kultusministerium will aber auch die Sprachförderung für alle Kinder verstärken. Hier soll es Maßnahmen zur durchgängigen Sprachbildung geben, die im Doppelhaushalt 2025/2026 rund 12,5 Millionen Euro kosten sollen. Im Jahr 2029 sind dafür 50 Millionen Euro vorgesehen. Außerdem will Schopper das Konzept der Sprach-Kitas fortsetzen, deren Förderung momentan nur bis Ende 2024 finanziell gesichert ist. Das würde das Land nochmal 30,5 Millionen Euro im Jahr kosten. Die Kitas, die einen entsprechenden Antrag gestellt haben, werden laut Ministerium mit einer halben Fachkraftstelle und einer halben Fachberatungsstelle gefördert.

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Eine "Klasse null" für Kinder mit Sprachproblemen  

Laut Konzept sollen die Kinder ein halbes Jahr vor der Einschulung nochmal getestet werden. Wer dann noch Förderbedarf hat, kommt in der Schule erstmal in eine Juniorklasse und wird vertieft gefördert. Das Ministerium stellt in dem Konzept fest: "Bisher bleibt es dem Zufall überlassen, ob Schülerinnen und Schüler, die vom Schulbesuch zurückgestellt werden, in diesem Jahr eine gezielte und wirksame Förderung erhalten." Künftig soll es deshalb keine Zurückstellung mehr geben, sondern die Juniorklasse, die das Ministerium auch als "Klasse null" bezeichnet. Diese ist der Klasse 1 vorgelagert und soll mit 22 Wochenstunden eingerichtet werden. Hier müssen die kommunalen Schulträger eingebunden werden. Denn: "Die Grundschulförderklassen müssen weiterentwickelt und entsprechende Standorte ausgebaut werden", schreibt das Kultusministerium.

Wie viele Kinder künftig zunächst in Juniorklassen gefördert werden sollen, lässt sich laut Schopper nicht genau sagen. Wenn trotz eines gewissen Förderbedarfs damit gerechnet werden kann, dass ein Kind die erste Klasse gut bewältigt, sollen diese auch dort zusätzliche vierstündige Kurse besuchen. Die verstärkte Förderung in der Grundschule soll nach den Plänen des Ministeriums im Jahr 2026 mit 10 Millionen Euro unterlegt werden. Ab 2027 soll dies mit 35 Millionen Euro und ab 2028 mit 49 Millionen Euro gefördert werden. 

"Lernen mit Rückenwind" zur Stärkung der Grundschulen

Darüber hinaus will das Ministerium das in Corona-Zeiten entwickelte Konzept "Lernen mit Rückenwind" weiter nutzen. Statt sich aber auch pandemie-bedingte Lernlücken zu konzentrieren, soll das Programm vor allem darauf ausgerichtet sein, die Basiskompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen an Grundschulen noch stärker zu fördern. Hier könnten womöglich Bundesgelder aus dem Startchancenprogramm genutzt werden.

Daneben möchte das Kultusministerium mehr sogenannte multiprofessionelle Teams in die Grundschulen schicken. Bisher gibt es im Rahmen eines Modellversuchs an jeweils vier Standorten in den vier Regierungsbezirken solche Teams. Diese setzen sich aus Menschen mit unterschiedlichen Fachkenntnissen zusammen. Zum Beispiel gehören Handwerker oder Künstler dazu oder Physiotherapeuten und auch junge Menschen, die ein Freiwilliges Pädagogisches oder Freiwilliges Soziales Jahr oder einen Berufsfreiwilligendienst machen.

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