Grundschüler mit Schulranzen (Archivbild) (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)

Auftaktgespräche zwischen den Parteien

Bildungsallianz: Welche Schulreformen in Baden-Württemberg anstehen

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Simone Steffan

Um größere Schulreformen für längere Zeit abzusichern, wollen Opposition und Regierung über eine Bildungsallianz verhandeln. Baustellen gibt es genug.

In Stuttgart findet an diesem Freitag ein erstes parteiübergreifendes Gespräch zum Thema Bildung statt. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat die Fraktionsvorsitzenden von Grünen, CDU, SPD und FDP ins Neue Schloss in Stuttgart eingeladen. Die Parteien wollen über eine mögliche Bildungsallianz sprechen - also über gemeinsam getragene Bildungsreformen, die über die nächste Landtagswahl hinaus Bestand haben sollen. Nicht eingeladen zu dem Gespräch wurde die AfD-Fraktion.

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Eigentlich, so hatte es Grün-Schwarz im Koalitionsvertrag vereinbart, sollte die Bildungsstruktur in Baden-Württemberg in dieser Wahlperiode nicht verändert werden. Weil aber eine Elterninitiative mehr als 100.000 Unterschriften für eine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium (G9) sammelte und auch ein Bürgerforum dies empfahl, stieg der Druck auf die Landesregierung. Mitte Dezember verkündete Grün-Schwarz schließlich eine Richtungsänderung. Die Zukunft des Gymnasiums ist nicht die einzige Baustelle in der Bildungspolitik. Ein Überblick über die meistdiskutierten Themen:

Wann kommt die flächendeckende Rückkehr zum G9?

Dass G9 flächendeckend wieder eingeführt wird, darin sind sich Grüne, CDU, SPD und FDP einig. Wann es allerdings so weit sein soll, ist offen. Wenn es nach Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) geht, soll die Rückkehr zu G9 mit Beginn des Schuljahres 2025/2026 kommen. Ihr Ministerium arbeitet derzeit an einem Entwurf für ein modernisiertes G9-Modell und führt dazu Gespräche mit Bildungswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern sowie ausgewählten Personen aus der Praxis. Ein Konzept dazu soll bis spätestens Mitte April vorliegen.

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Schopper will neben dem neunjährigen Weg zum Abitur Kindern auch weiter ermöglichen, die Schule schon in acht Jahren mit dem Abitur zu beenden. Sie selbst hat nach eigenen Angaben Sympathien für das Modell in Bayern. Grob gesagt sei dort G9 der Regelfall, so Schopper in der "Heilbronner Stimme". Allerdings können Schülerinnen und Schüler in Bayern mit einer zweijährigen Vorbereitung ab der achten Klasse vorzugsweise die 11. Klasse überspringen.

Die CDU-Fraktion lehnt dieses Modell allerdings als "nicht sinnvoll" ab. Fraktionschef Hagel sagte, man plädiere für ein modernes, grundständig aufwachsendes G9 ab Schuljahr 2025/26 und befürworte die flächendeckende Option der Schulen für ein G8-Angebot für leistungsstarke Schüler. Demnach sollten alle Gymnasien auf G9 umstellen. Wenn es genug Anmeldungen für G8 gibt, sollten die Schulen eigene G8-Klassen bilden. Die Entscheidung darüber sollte dann beim Schulträger liegen.

In Baden-Württemberg ist momentan das achtjährige Gymnasium Standard. G9 gibt es nur noch an 43 staatlichen Schulen landesweit.

Wird die verbindliche Grundschulempfehlung wieder eingeführt?

Die verbindliche Grundschulempfehlung könnte bei der Rückkehr zu G9 wieder eine Rolle spielen - in welcher Form auch immer. Seit 2012 können sich Eltern in Baden-Württemberg über den Rat der Lehrkräfte hinwegsetzen und selbst entscheiden, auf welche weiterführende Schule ihr Kind gehen soll. Es gibt Expertinnen und Experten, die einen Ansturm auf neunjährige Gymnasien befürchten, wodurch andere Schularten "ausgehungert" würden. Ministerpräsident Kretschmann hält es deshalb für möglich, dass man die Grundschulempfehlung wieder "verbindlicher" macht.

Im SWR deutete Kretschmann Ende Januar an, dass es vielleicht noch eine zusätzliche Prüfung für die Kinder geben könne. Das sei derzeit alles in der Debatte. Die CDU-Fraktion will die derzeitige Regelung überprüfen, die SPD-Fraktion an ihr festhalten, die FDP-Fraktion will zurück zur verbindlichen Grundschulempfehlung.

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Stärkung der frühkindlichen Bildung: Sprachförderung für Kita-Kinder

Fast jedes fünfte Kind in der vierten Klasse in Baden-Württemberg hat bei der IQB-Bildungsstudie 2022 die Mindeststandards in Mathe und Deutsch nicht erfüllt. Als einen Schlüssel zur Lösung der Probleme sieht die Landesregierung die Sprachförderung in Kitas und Grundschulen und will diese verpflichtend machen. Kinder sollen erst eingeschult werden, wenn sie genügend Sprachkenntnisse haben. Sie liefen sonst Gefahr, schnell abgehängt zu werden, sagte Ministerium Schopper der "Südwest Presse". 

Die Pläne des Kultusministeriums sehen Folgendes vor: Viereinhalbjährige Kinder sollen bei der Schuleingangsuntersuchung auf ihre sprachliche Entwicklung getestet werden und bei Bedarf eine verbindliche Sprachförderung erhalten. Angedacht sind vier Stunden pro Woche. Ein halbes Jahr vor der Einschulung soll dann wieder ein Test stattfinden. Wer dann noch Förderbedarf habe, solle in der Schule erstmal in eine Juniorklasse kommen, so Schopper. Wie viele Kinder das betreffen könnte, lässt sich bislang nur ungefähr abschätzen. Das Ministerium erwartet, dass rund 30 Prozent der Viereinhalbjährigen einen Förderbedarf haben werden.

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Für die Grünen-Fraktion hat die frühkindliche Bildung Vorrang vor der Rückkehr zu G9. Aus Sicht der SPD-Fraktion sind beide Vorhaben finanzierbar und dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Wird aus dem dreigliedrigen ein zweigliedriges Schulsystem?              

Während sich bei G9 und frühkindlicher Bildung Kompromisse abzeichnen, dürfte es bei weiteren Reformen schwierig werden. Die Grünen dringen schon länger darauf, das weitverzweigte Schulsystem zu verschlanken. Statt Realschulen, Werkrealschulen, Hauptschulen und Gemeinschaftsschulen aufrechtzuerhalten, streben sie perspektivisch eine Art Verbundschule an. Das würde bedeuten, das dreigliedrige System auf zwei Säulen zu beschränken: Gymnasium und eine Schule für die Sekundarstufe 1. Es wäre ein Modell wie etwa in Hamburg, das zuletzt häufiger als Vorbild genannt wird. Die oppositionelle SPD sieht das ähnlich wie die Grünen.

CDU und FDP haben allerdings andere Vorstellungen. Sie halten insbesondere Real-, Werkreal- und auch kleinere Hauptschulen für wichtige Bestandteile des Bildungssystems, insbesondere um Jugendliche auf eine Berufsausbildung vorzubereiten. Für viele Abgeordnete spielt auch eine wichtige Rolle, dass sie kleinere Schulen in ihrem Wahlkreis erhalten wollen. 

Kommt der Zusammenschluss von kleineren Grundschulen?

Baden-Württemberg hat bei den kleinen Grundschulen auf dem Land eine Dichte wie kein anderes Bundesland. Laut Statistischem Landesamt gibt es 776 Grundschulen mit weniger als 100 Schülerinnen und Schüler. 164 haben sogar weniger als 50 Grundschulkinder. Um den Bestand zu sichern, fordert das Ministerium kleinere Schulen auf dem Land zusammenzulegen. Anordnen kann das Ministerium das nicht, zuständig für die Schulen sind die Kommunen und die Schulträger.

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In manchen Gemeinden gebe es 15 Teilschulen. Hier müssten dringend Schulverbünde und ein gemeinsames Team im Kollegium gegründet werden. Es gehe auch darum, Unterrichtsausfälle zu vermeiden und die Qualität des Unterrichts zu verbessern. Kleine Schulen zu schließen und zu größeren Einheiten zu verschmelzen, sei jedoch politisch nicht gewollt, erklärte Schopper im SWR. Hier herrsche die Devise: "Kurze Beine, kurze Wege, das ist politisch mehr oder weniger in Stein gemeißelt." Das bedeute, dass keine Schule geschlossen werden könne und sei sie noch so klein, so Schopper.

Was die Gespräche bringen könnten

Der Tübinger Bildungsexperte Thorsten Bohl hofft, dass die aktuelle Diskussion um die Wiedereinführung von G9 andere "deutlich wichtigere Baustellen im Bildungssystem" nicht überlagert. Für Bohl sind die wesentlichen Herausforderungen der hohe Anteil leistungsschwächerer Schülerinnen und Schüler, die Integration von Geflüchteten und der Lehrermangel. Die Wiedereinführung von G9 trage zur Bewältigung dieser Herausforderungen nicht entscheidend bei, sondern erschwere sie aufgrund der finanziellen Belastung und des hohen Lehrerbedarfs sogar, sagte Bohl dem SWR. Er hoffe deshalb, dass es Grünen, CDU, SPD und FDP gelingen werde, einen Konsens zu finden, der über die Legislatur hinaus dauere und der das Bildungssystem "qualitativ deutlich" nach vorne bringe.

Ministerpräsident Kretschmann warnte vor überzogenen Forderungen in den Gesprächen. Man habe nicht irgendwelche Geldsäcke mit Milliarden, die man bisher nicht ausgegeben, sondern gehamstert habe, sagte Kretschmann. Die Gespräche ergäben nur einen Sinn, wenn keine Seite mit unrealistischen Vorstellungen dort hineinginge. Baden-Württemberg habe das komplexeste Schulsystem aller Länder. Diese Komplexität zu reduzieren, sei das eigentlich Wichtige, so Kretschmann. 

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