Zwei Polizisten im Alter von 27 und 26 Jahren müssen sich von Freitag an vor der Schwurgerichtskammer am Landgericht Mannheim verantworten. Es geht um den Tod eines 47-jährigen Psychiatrie-Patienten auf dem Mannheimer Marktplatz am 2. Mai 2022.
Die Anklage gegen den 27-jährigen Oberkommissar als Hauptangeklagten lautet: Verdacht der Körperverletzung mit Todesfolge im Amt. Der zweite Polizist, ein 26-jähriger Polizeihauptmeister, muss sich wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen verantworten.
Anklage sieht Schuld bei den Polizisten
Die Anklage geht davon aus, dass der Oberkommissar dem 47-jährigen Psychiatrie-Patienten Pfefferspray ins Gesicht gesprüht und vier Mal mit der Faust gegen den Kopf geschlagen hatte. Weiter schreibt die Staatsanwaltschaft: "Durch die lange und ungünstige Fixierung auf dem Bauch und eine Blockierung der oberen Atemwege durch eingeatmetes Blut litt der 47-Jährige unter Sauerstoffmangel." Das habe letztlich zu seinem Tod geführt.
Verteidigung erhebt Vorwürfe gegen Gericht und Staatsanwaltschaft
Die Verteidigung der beiden Angeklagten sieht das anders. Der Tod sei nicht durch die Polizisten verursacht worden, sondern durch gesundheitliche Probleme. Der Mann sei schwer herzkrank gewesen. Das Blut aus der Nase habe den Erstickungstod nicht verursachen können. Um diese Thesen zu beweisen, hat die Verteidigung eigene Sachverständige geladen.
Gleichzeitig griff eine der beiden Verteidigerinnen das Gericht und die Staatsanwaltschaft scharf an. Das Gericht habe wechselnden Rechtsanwälten der Nebenklage Akteneinsicht gewährt, ohne den Angeklagten vorher darüber zu informieren. Dieses Verfahren sei rechtswidrig. Im Prozess tritt die Mutter des Verstorbenen als Nebenklägerin auf.
Aussagen zweier Augenzeugen
Direkt neben dem Tatort saßen zwei Brüder beim Mittagessen. Sie bekamen das Geschehen aus nächster Nähe mit. Einer der beiden sagte aus, er habe den Eindruck gehabt, dass der aufgewühlte Mann ruhig gestellt werden musste.
Die Schläge eines der Polizisten zum Kopf des Mannes hat er nicht gesehen. Er berichtete zudem, dass der 47-Jährige sich mit enormer Kraft gewehrt habe. Der Zeuge hat türkische Wurzeln, ist seit 1992 Rettungssanitäter und privat DFB-Fußball-Schiedsrichter. Er beteiligte sich an den Reanimationsmaßnahmen für den Bewusstlosen und berichtete auch von den vielen Beleidigungen der Polizei gegenüber bei dem Einsatz.
Sein Bruder, der mit ihm im Restaurant saß, sagte ebenfalls aus. Er habe gesehen, wie ein Polizist den 47-jährigen im Stehen geschlagen habe. Dies ließ sich aber anhand eines im Gericht gezeigten Überwachungsvideos für den Marktplatz nicht nachvollziehen. Dort ist nur zu sehen, wie der 47-jährige dem Polizisten einen Faustschlag versetzt.
Strenge Einlass-Kontrollen
Der Prozessauftakt am Freitagmorgen stieß auf enormes Interesse. Vor dem Landgericht bildeten sich lange Schlangen. Die Sicherheitsvorkehrungen waren ebenfalls außergewöhnlich: Es gab Personenkontrollen am Eingang des Gerichts und auch vor dem Gerichtssaal.
ZI-Patient aus Mannheim war psychisch krank
Der 47-jährige Verstorbene litt an paranoider Schizophrenie. Er war Patient im Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim. An diesem 2. Mai ging er dorthin, weil sich sein Zustand verschlechtert hatte. Um kurz nach 12 Uhr verließ er das ZI wieder. Sein behandelnder Arzt folgte ihm - weil er befürchtete, dass sich sein Patient selbst gefährden könnte.
Weil der Psychiater es selbst nicht schaffte, den Mann zurück ins ZI zu bringen, bat der Arzt die Polizei um Hilfe. Doch auch den Beamten gelang es nicht, den Mann zur Rückkehr zu bewegen. Die Polizisten benutzten laut Anklage dann Pfefferspray - das zeigte aber keine Wirkung. Sie wollten den Mann festhalten, doch der 137 Kilogramm schwere 47-Jährige wehrte sich laut Anklage mit Faustschlägen. Dann brachten die Beamten den Mann mit vereinten Kräften zu Boden, so die Anklage und auch die Aussage des Hauptangeklagten. Er habe ihm dann vier Mal mit der Faust gegen den Kopf geschlagen, schreibt die Staatsanwaltschaft.
Prozess: Hätte zweiter Polizist den Tod verhindern können?
Die Anklage geht davon aus, dass der zweite Polizist, ein 26-jähriger Polizeihauptkomissar, am Sprühen von Pfefferspray und den Schlägen nicht beteiligt war. In seinem Fall geht es um fahrlässige Tötung durch Unterlassen: Ihm wird vorgeworfen, dass er nach der Fixierung des 47-Jährigen nicht dafür gesorgt hat, den Mann in eine Seitenlage zu bringen, "wodurch dessen Tod nach der vorläufigen Einschätzung der Rechtsmedizin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte vermieden werden können", so die Anklage.
Verfahren gegen Psychiater eingestellt
Gegen den Psychiater aus dem ZI lief ein gesondertes Ermittlungsverfahren. Er soll nach der Polizeiaktion erst nach einiger Zeit versucht haben, den leblosen 47-Jährigen wieder zu beleben. Das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft im November 2023 gegen Auflage eingestellt.
Ermittlungen des LKA: "Pfefferspray und Schläge nicht gerechtfertigt"
Laut Anklage seien weder der Einsatz des Pfeffersprays noch die insgesamt vier Schläge durch den Polizeioberkommissar nach polizeirechtlichen oder sonstigen Vorschriften gerechtfertigt gewesen.
Die Ermittlungen hatte aus Neutralitätsgründen das Landeskriminalamt geführt. Es waren ein Hinweistelefon und ein Hinweisportal eingerichtet worden. Aus 120 Videosequenzen wurde ein einstündiger, chronologischer Zusammenschnitt erstellt, der den Ablauf des Geschehens zeigt.
91 Augenzeugen aus Mannheim wurden vernommen
Von den mehreren hundert Menschen, die sich als Zeugen meldeten, wurden letztlich 91 als echte Augenzeugen vernommen. Das Landeskriminalamt hat zudem rund 5.900 Beiträge auf sozialen Plattformen gesichtet.
Scharfe Kritik von "Initiative 2. Mai" gegen Polizeigewalt
In Mannheim hat sich nach dem Tod des 47-jährigen Kroaten die "Initiative 2. Mai" gebildet. Sie begleitet den Prozess kritisch. Ermittlungen gegen Polizisten würden oft nicht konsequent geführt und Gerichte würden der Verteidigung von Polizisten "allzuleicht Glauben schenken", heißt es auf der Homepage. Die Initiative hat mehrere Mahnwachen und Demonstrationen organisiert.
Die Initiative zitiert den früheren Kriminologen der Ruhr-Uni Bochum, Thomas Feltes. Er schätzt, dass Opfer von Polizeigewalt zu 75 Prozent psychisch erkrankte Menschen seien. Zudem würden Menschen von Polizei und Justiz "kriminalisiert, misshandelt und getötet", behauptet die Initiative. Das betreffe besonders Menschen "die von struktureller Gewalt und Armut betroffen [sind], in migrantischen Vierteln leben, häusliche und sexualisierte Gewalt erfahren."